"Ich suchte als 19-Jähriger nach Orientierung"

Er hat eines der herausgehobensten Ämter inne, die politische Parteien vergeben können: Lutz Jankus steht an der Spitze der AfD-Fraktion im Görlitzer Stadtrat. Erst durch einen SZ-Bericht wurde jetzt aber bekannt, dass er der AfD gar nicht angehört. Nicht angehören kann und darf. Denn Jankus war auch schon mal Mitglied der NPD, und deren Mitglieder dürfen nicht das AfD-Parteibuch haben. So sagt es eine Unvereinbarkeitsliste aus. Insofern liegt der "Fall" Jankus anders als der des früheren brandenburgischen Partei- und Fraktionschefs Andreas Kalbitz, der seine Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Vereinigung bei seiner Aufnahme in die AfD verschwieg.
Trotzdem stellen sich im Fall Jankus doch viele Fragen. Wie kam es überhaupt dazu? Und wie ehrlich ist die Distanzierung vom Rechtsextremismus gemeint. Bislang wollte sich der Görlitzer Fraktionsvorsitzende dazu nicht äußern. Doch jetzt spricht Lutz Jankus im SZ-Interview.

Herr Jankus, in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Sie eine NPD-Vergangenheit haben. Wie kam es dazu?
Ich bin im Frühjahr 1990 bei den Mitteldeutschen Nationaldemokraten eingetreten. Im Laufe des Jahres vereinigte sich diese Gruppierung mit der NPD.
Im Frühjahr 1990 herrscht im Osten Deutschlands doch noch eine große Euphorie über die Entwicklung, die Wiedervereinigung schien möglich. Warum traten Sie dann in die NPD ein?
Im Nachhinein betrachtet war es wohl eine Trotzreaktion. Ich wollte Offizier bei der NVA werden und wurde noch Ende August 1989 gezogen. In Löbau begann ich das Studium bei den Landstreitkräften, das ich später in Zittau noch bis 1991 fortsetzte. Damals war ich als 19-Jähriger der Ansicht, dass die DDR eine gute Sache ist, dafür wollte ich einstehen. Doch dann kam die politische Wende.
Wie haben Sie die erlebt?
Es war lange nicht klar, ob wir gegen die Proteste eingesetzt werden. Es hieß immer nur: Wenn Ihr rausrückt, dann mit Waffen. Wer das nicht will, der soll das sagen. Niemand hat etwas gesagt. Im September nahmen wir dann auch an Parteiveranstaltungen teil und wurden gedrängt, doch Kandidat der SED zu werden. Schließlich herrschte erhöhte Gefechtsbereitschaft, also Ausgangs- und Urlaubssperre. Sie wurde am 11. Oktober 1989 aufgehoben. Ich erinnere mich so genau daran, weil ich am 11. Oktober Geburtstag habe. Nach und nach bekam ich dann mit, wie die DDR uns mit dem Sozialismus von Anfang bis zum Ende belogen hatte.
Und wie kamen Sie dann mit den Mitteldeutschen Nationaldemokraten in Kontakt? Sie waren doch in Löbau.
Anfang 1990 mussten wir zum Kohleeinsatz bei Leipzig. In den vier Wochen nahm ich an den Montagsdemos teil, an der sich auch rechte oder rechtsextreme Parteien beteiligten, darunter eben die Mitteldeutschen Nationaldemokraten. Da bekam ich einen Aufnahmeantrag in die Hand gedrückt, den habe ich ausgefüllt. Hauptsache, das waren keine Roten, war meine Motivation dabei.
Vom Parteiprogramm hatten Sie zu jener Zeit wenig gehört?
Gar nichts. Erst später kamen dann die Parteiprogramme.
Nun war es im Osten in jenen Tagen keine Massenerscheinung, dass Menschen rechtsextremen Parteien beitraten. Bei allen Umbrüchen und Problemen. Warum Sie?
Ich sehe es heute als Trotzreaktion an, von einem Extrem zum nächsten. National stand ja auch die SED hoch im Kurs. Da hieß es doch, dass wir stolz sein können, das erste sozialistische Land auf deutschem Boden zu sein. Wir waren schon mehr Deutschland, weniger Sozialisten. Und dann hatte sich mein gesamter Lebensentwurf im Nichts aufgelöst. Ich war in dem Moment orientierungslos. Als 19-Jähriger suchte ich nach anderen Angeboten, mit denen ich mich identifizieren konnte. Hauptsache weg von der SED/PDS.
Was haben denn Ihre Eltern dazu gesagt?
Ich habe ihnen davon gar nicht erzählt, sie wussten das nicht.
Stammen Sie aus einem Elternhaus, das die DDR gut fand?
Ja. Mein Vater war Mitglied der SED. Es war eine Art Dankbarkeit, dass er als Flüchtlingskind die Möglichkeit hatte, das Abitur zu machen und anschließend auch zu studieren. Als Mitarbeiter des Kaffeewerkes in Halle war er dann auch Reisekader in nicht-sozialistische Länder. Er reiste nach Laos und Vietnam, aber auch nach Hamburg. Meine Mutter kommt eher aus einem bäuerlich geprägten Milieu. Sie war schon der Meinung, dass die DDR das bessere Deutschland ist, aber sie stand dem Staat nicht unkritisch gegenüber. Aber eine Opposition zur DDR war das nicht.
Wie war denn das Parteileben bei der NPD?
Es gab in Halle praktisch keins. Man bekam die "Deutsche Stimme" zugeschickt. Nur vereinzelt traf ich neue Parteimitglieder. Ich hatte dann irgendwie das Gefühl, dass das nicht mein Niveau ist. Und als dann die NPD durch einen Vorsitzendenwechsel neben "national" auch noch "sozial" betonte und radikal wurde, da packte ich den Parteiausweis in einen Brief und schickte ihn zurück. Das war meiner Erinnerung nach 1991, als ich schon Rechtswissenschaften studiert habe.