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"Offener Brief" an Udo Lindenberg

Der Panikrocker meint, Sachsen sei mit dem Wahlergebnis mit einem blauen Auge davongekommen. SZ-Redakteurin Johanna Lemke beruhigt das nicht.

Von Johanna Lemke
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Bei der Eröffnung seiner Ausstellung in Leipzig sagte Udo Lindenberg mit Blick auf die Wahl: „Blaue Augen gehören auch zur Demokratie.“
Bei der Eröffnung seiner Ausstellung in Leipzig sagte Udo Lindenberg mit Blick auf die Wahl: „Blaue Augen gehören auch zur Demokratie.“ © Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

Wenn wir Sie nicht hätten! Was würden wir dann nur tun? Vermutlich würden wir hier im Osten in Selbstmitleid zerfließen, wir würden uns grauenvoll Sorgen über die Zukunft Sachsens machen, schrecklich wäre das! Aber dank Ihnen wissen wir: Ist alles halb so schlimm.

Fast ein Drittel der sächsischen Wählerinnen und Wähler hat am letzten Wochenende die Stimme für eine Partei abgegeben, die Rechtsextremisten in ihren Reihen toleriert und Migranten Menschenrechte abspricht, die nur noch deutsche Kultur fördern und am liebsten nur Familien, die aus Mutter-Vater-Kindern bestehen. Fast 30 Prozent, die hier leben, finden solche Ideen also zumindest nicht sehr problematisch – da könnte man ja schon mal etwas skeptisch werden, oder? Aber zum Glück haben wir ja Sie. Bei der Eröffnung Ihrer Ausstellung in Leipzig sagten Sie mit Blick auf die Wahl: „Blaue Augen gehören auch zur Demokratie.“ Mensch, da bin ich irgendwie total beruhigt.

Vielleicht mache ich das nächste Woche mal mit meinem Chef: „Ich habe den Text nicht fertig gekriegt, aber hey, das ist Zeitung!“ Oder zur kranken Nachbarin: „Bronchitis? Ist halt Herbst.“ Mein Kind wäre sicherlich auch irre getröstet, wenn ich sagen würde: „Deine Sitznachbarin knufft dich immer, bis du blaue Flecken hast? Stell dich nicht so an, das gehört zum Leben dazu.“

Ich hatte übrigens mal ein blaues Auge. Fragen Sie nicht, es war Nacht und die Reifen meines Fahrrads passten ziemlich gut in die Straßenbahnschienen. Jedenfalls weiß ich, wie schlecht so ein Veilchen verheilt. Wochenlang bin ich zu wichtigen Gesprächen nur mit Brille gegangen, obwohl ich sonst immer Kontaktlinsen trug, aber so verdeckte der Rahmen die Schattierungen von Blau, Grün und Gelb etwas. Ich wurde trotzdem gefragt, ob es mir in meiner Beziehung nicht gut ginge. „Stürze auf Straßenbahnschienen gehören zum Fahrradfahren dazu“, sagte ich immer wieder. Die Skepsis in den Augen der Fragesteller blieb.

Wissen Sie was, Herr Lindenberg, so unter uns: Manchmal bringt es was, Tacheles zu reden. Als Thomas de Maizière vor ein paar Jahren in Bezug auf die Terrorgefahr in Deutschland sagte: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“, glauben Sie, dass sich da irgendwer sicher fühlte? Genausowenig hilft es, von blauen Augen zu reden, wenn eigentlich eine Gehirnerschütterung vorliegt.

Ich antwortete auf die Frage, was mir denn passiert sei, irgendwann jedenfalls so: „Weißt du, ich hatte ein Bier getrunken, das Licht an meinem Fahrrad war kaputt und die Straßenbahnschienen waren nass. Ich konzentrierte mich nicht richtig und dann, fiel ich hin, überschlug mich, das Fahrrad flog im hohen Bogen nach oben und landete mit dem Lenker genau auf meinem Auge. So war das.“

Erst jetzt waren die Fragenden beruhigt.

Ihre Johanna Lemke

Der "Offene Brief" ist eine satirische Rubrik im Wochenend-Magazin der Sächsischen Zeitung.