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Opa Merkels Sachsenkiwi erobert die Welt

Aus einem Hobby aus DDR-Zeiten hat der Enkel ein Geschäft gemacht. Damit kann nun jeder die Beeren im Garten anbauen.

Von Susanne Plecher
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Frisch vom Strauch in den Mund - Die Schale der Die Sachenkiwi kann man mitessen, weil die Beeren keine Haare haben wie die großen Kiwis.
Frisch vom Strauch in den Mund - Die Schale der Die Sachenkiwi kann man mitessen, weil die Beeren keine Haare haben wie die großen Kiwis. © 123rf

Hätte es die DDR nicht gegeben, würden heute in Niederwiesa bei Chemnitz wahrscheinlich keine Mini-Kiwis gezüchtet werden. Das klingt paradox, hat aber eine einfache Erklärung: botanische Sammelfreude im Außendienst. „Mein Opa Werner war als Vertriebler für den VEB Ifa viel im Ausland unterwegs“, sagt Richard Hamann. „Da hat er mitgebracht, was ihn an Pflanzen interessierte.“ 

So kamen diverse Kamelien- und Jostabeerensorten in den damaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt. Und Mini-Kiwis, oder Kiwi Berrys, wie die kleinfuchtige Art des Scharfzähnigen Strahlengriffels auch genannt wird. Kiwibeere lässt sich einfach leichter aussprechen.

Die Pflanzen stammen ursprünglich aus dem östlichen Asien. Es gibt sie auf Sachalin, Kamtschatka, in Korea, Japan, Taiwan, China. „Sie wachsen in den Wäldern Sibiriens und Nordchinas, sogar im Himalaya auf Höhen bis zu 3.600 Metern“, sagt Hamann. Das schafft nur, wer mit sehr tiefen Temperaturen klarkommt.

Frost ist für die Schlingpflanze bis minus 30 Grad Celsius kein Problem. In der Natur kommt sie meist an Waldrändern vor, wo sie in die Bäume hineinwächst. Daher braucht sie humusreichen Boden. Schatten ist ihr ganz recht, aber Sonne mag sie auch. Allerdings verdunstet die Pflanze über ihr dichtes Laub viel Wasser.

Familienangelegenheit: Opa Werner Merkel mit Enkel Richard Hamann in der Kiwibeerenplantage.
Familienangelegenheit: Opa Werner Merkel mit Enkel Richard Hamann in der Kiwibeerenplantage. ©  privat

Werner Merkel pflanzte die Schützlinge ein, die er auf seinen Reisen ins sozialistische und nicht sozialistische Ausland gesammelt hatte. Er hegte und pflegte sie und erntete bald viele der zwei bis vier Zentimeter langen Früchte. „Ich bin schon als Kind mit den verschiedensten Kiwibeeren aus dem eigenen Garten verpflegt worden“, berichtet Enkel Richard. Frisch vom Strauch in den Mund. Die Schale kann man mitessen, weil die Beeren keine Haare haben wie die großen Kiwis. 

Aufgeschnitten sehen sie genauso schön aus, aber sie sind viel aromatischer. „Sie schmecken wie eine Mischung aus Goldkiwi, Feige und Stachelbeere. Nur weniger sauer.“ Wegen ihres feinen süßlich-fruchtigen Geschmacks werden sie auch als Honigbeeren bezeichnet. Werner Merkel fing an, die Pflanzen zu selektieren und zu vermehren. „Mitte der 2000er Jahre hat er sich dann mit den neuen Hybriden Julia und dem dazugehörigen Romeo einen Namen gemacht“, sagt Richard Hamann.

Wer ernten will, braucht weibliche und männliche Pflanzen

Julia ist eine echte Sachsenkiwi. Gezüchtet in Chemnitz im Garten hinter Merkels Wohnhaus hat sie einen kompakten Wuchs, ein intensives Fruchtaroma und bringt einen verlässlichen Ertrag. „Sie trägt jährlich unabhängig von klimatischen Bedingungen mindestens zehn Kilo an über zehnjährigen Pflanzen“, sagt Hamann. In manchen Jahren sind auch schon mehr als 20 Kilo Früchte im Korb gelandet.

Romeo ist Mittel zum Zweck. Als männliche Pflanze ist er zum Bestäuben der weiblichen Blüten unverzichtbar. Hobbygärtner sollten das wissen: Kiwibeeren sind zweihäusig getrenntgeschlechtlich. Wer ernten will, muss mindestens zwei Pflanzen kaufen – eine weibliche und eine männliche. 

Allerdings schafft ein Romeo bis zu sechs Julias. Oder Cinderellas. Oder Lucys. Romeo ist da nicht sortentreu. Und er muss nicht direkt neben den Damen stehen. Je nach Hauptwindrichtung oder Insektenflug kann er mehrere Meter entfernt wachsen. Es gibt auch einige wenige Sorten, die selbstfruchtbar sind. Jenny zum Beispiel braucht keinen Mann.

Rund 200 Sorten befinden sich im Kiwibeeren-Genpool

Richard Hamann, als Kind auf den Geschmack gekommen, machte aus dem Hobby seines Großvaters ein Geschäft. 2012 baute er den Internetversand kiwiri.de auf, über den Pflanzen aus eigener Produktion und zugekaufte vermarktet werden, mehrere Tausend pro Jahr. Bis sie zwei Jahre alt sind, werden alle Pflanzen in Gewächshäusern in Niederwiesa großgezogen. 

Selbstbewusst bezeichnet Hamann sein Team und sich als „die Kiwi-Spezialisten in Europa“ mit dem „weltweit größten Sortiment an Kiwibeeren.“ Bei großen Anbietern im Internet kosten die Pflanzen ab elf Euro. Der Pflanzenspezialist Dehner oder die Züchter aus Niederwiesa verlangen um die 15 Euro pro Stück.

Der Kiwibeeren-Genpool von Opa Werner und Enkel Richard umfasst derzeit rund 200 verschiedene Sorten. 25 bis 30 davon verkaufen sie. Neun hat die Landesanstalt für Weinbau in Veithöchstheim bei Würzburg über Jahre geprüft und für leistungsfähig befunden. Die Jungpflanzen werden aus den Mutter- und Vaterpflanzen geklont.

Mit den ersten Früchten ist drei bis vier Jahre nach der Pflanzung zu rechnen. Etwa 40 Kiwibeeren wachsen im Hausgarten in Niederwiesa, schätzt Hamann. Kein Mensch kann so viele Früchte essen. Die Familie und das Team von Opa und Enkel verarbeiten die Beeren deshalb zu Marmeladen, Likör, Secco, Chutneys, Senf, Saft und Smoothies. Für Letzteres kombinieren sie die Kiwibeere mit Roter Rübe und Johannisbeere oder mit Karotte und Mango. Die Beeren haben fast doppelt so viel Vitamin C wie die großen Kiwis. „Der Gehalt liegt deutlich über dem der Zitrone“, sagt Hamann. Auch Kalium und Kalzium sind enthalten.

Kiwi braucht kalte Füße

Die Beeren werden in unseren Breiten von Mitte September bis Mitte Oktober reif. Bis in den Spätherbst hinein kann man sie auch in Supermärkten und Discountern kaufen. Sie lassen sich auch einfrieren oder einkochen. „Das Schöne ist, dass man sie im eigenen Garten anbauen kann. Dort können sie am Strauch ausreifen und werden nicht unreif gepflückt und um die halbe Welt transportiert“, sagt Hamann. 

Es gibt flachwüchsige Sorten, die sich auch auf dem Balkon anbauen lassen. Voraussetzung dafür: Die Pflanzkübel sind mindestens 1,50 Meter breit. Die Pflanzen werden etwa fünf Meter hoch. Im Herbst werfen sie ihr Laub ab. Als Schlingpflanzen brauchen sie zwingend eine Rankhilfe: Spalier, Pergola, Zaun oder Rosenbogen. „Idealerweise werden sie am Spalier erzogen mit einem Haupttrieb in der Mitte, von dem fächerartig die Seitentriebe abgehen“, sagt Hamann. So lasse sich auch besser ernten.

Und noch einen Tipp hat der Kiwi-Kenner: „Die Kiwi möchte kalte Füße haben.“ Hamann empfiehlt daher, die Pflanze nicht zu nah an Hauswände zu setzen und die Baumscheiben generell mit Rasenschnitt oder Mulch abzudecken. „Das schützt den Flachwurzler vor Verdunstung und zu viel Wärme.“ Eine gute Pflanzzeit ist nach der Frostperiode im Mai oder im Herbst.

Und was sagt Opa Werner? Nichts. Er ist im Urlaub – und vielleicht auf der Suche nach neuen botanischen Besonderheiten.