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Corona-Protestler wittern Verschwörung

Der Soziologe Raj Kollmorgen hat eine Theorie, warum gerade rund um Zittau der Protest seinen Ausgang nahm und sich problematischer Argumente bedient.

Von Anja Beutler
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Raj Kollmorgen, Professor für Soziologie und Management sozialen Wandels an der Hochschule Zittau/Görlitz.
Raj Kollmorgen, Professor für Soziologie und Management sozialen Wandels an der Hochschule Zittau/Görlitz. © Hochschule Zittau/Görlitz (Archiv)

Eine große Mehrheit der Deutschen findet die Corona-Maßnahmen, so wie sie sind, richtig. Die Zahlen variieren je nach Institut - von Deutschlandtrend bis Yougov - aber der Tenor ist immer gleich: Die Mehrheit ist mit der Strategie der Bundesregierung zufrieden und hält die Ausgangsbeschränkungen für richtig. Dazu passt: Lautstarke Kritik oder Proteste aus der Bevölkerung hat es bislang kaum gegeben. Warum also ist das im Süden des Landkreises anders? Hier gibt es inzwischen einen offenen Brief und einen Aufruf von rund Hundert Corona-Kritikern, die die Maßnahmen für überzogen halten und sich einer gefährlichen Beschneidung ihrer Grundrechte ausgesetzt sehen. Der Anstoß und das Gros der Kritiker kommen dabei aus dem Süden des Landkreises.

Professor Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau/Görlitz beobachtet das mit Interesse. Überrascht hat es den Mann, der seit Kurzem Prorektor Forschung ist und die Professur Management sozialen Wandels inne hat, im Grunde nicht. Denn so begrüßenswert er es ausdrücklich findet, dass es eine solche Initiative gibt, Entscheidungen kritisch zu hinterfragen, auf Probleme hinzuweisen und zu diskutieren -  so erkennt er darin doch Grundmuster in der Argumentation, die ihn besorgen.

Äpfel mit Birnen verglichen

Zwei Motive sind es, die sowohl im ersten Brief als auch im Aufruf eine zentrale Rolle gespielt haben, die in Kollmorgens Augen ein Problem sind: "Der Bezug zu '89/'90 ist in diesem Zusammenhang wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen", sagt Kollmorgen. Das würde nur dann tragen, wenn es sich bei den Corona-Beschränkungen um eine dauerhafte, dem System- und Machterhalt dienende Anordnung einer autoritären Gewalt handeln würde. "Dieses populistische Argument hier zu bedienen, auf die gute, alte partizipatorische Vergangenheit anzuspielen, halte ich für problematisch."

Damit unterstellen die Corona-Kritiker nämlich, dass irgendjemand oder irgendetwas Dinge verheimlichen würde, um seine Macht autoritär zu erhalten - sie kreieren eine Verschwörungstheorie. "Das verbindet sich dann mit der Unterstellung, Eliten führten generell etwas gegen das Volk im Schilde, sie hätten nichts Gutes im Sinn", führt Kollmorgen die Konsequenz weiter aus. Eine These, die nicht verfängt, sagt der Professor: "Der Bundesrepublik oder dem Freistaat vorzuwerfen, sie würden sich mit dem Problem der Bürgerrechts-Beschneidung nicht auseinander setzen, ist gerade im europäischen und weltweiten Vergleich Unsinn."

Einstellung kommt aus Vergangenheit

Raj Kollmorgens These lautet nun: "Diese Einstellung geht tiefer in die Geschichte zurück, man kann sie, wenn man will, bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen." Vor allem in den ländlich-periphären Grenzregionen - nicht nur Sachsens - seien die Menschen von jeher mit zwei Dingen konfrontiert gewesen: Mit einer Abschottung gegen die anderen jenseits der Grenze - vor allem auch während der DDR-Zeit in starkem Maße. Und mit dem Phänomen, dass diese Randregionen oft von Entwicklungen abgeschnitten blieben und hinterwäldlerisch belassen wurden. "Das hat eine Grunddistanz zu staatlicher Ordnung über Generationen geprägt", formuliert der Soziologe die Konsequenzen. Eine Demokratie und eine so komplexe Gesellschaft wie Deutschland mit seinem Föderalismus brauche aber ein Grundvertrauen, kein Grundmisstrauen.

Denn die Folge dieses Misstrauens ist: Jede Krise, jede Schwierigkeit, werde stärker als anderswo auf sich selbst bezogen: "Es gibt sofort eine Grundabwehr, die sagt: ,Achtung, hier will jemand uns ins Unglück stürzen'", skizziert Kollmorgen die Mechanismen. Dabei stellt er mitnichten infrage, dass es hier in der Region wirtschaftlich schwieriger ist als anderswo, sich etwas aufzubauen: "Die Existenzangst ist plausibel und auch das Empfinden, nach der Wende übers Ohr gehauen worden zu sein - da ist was dran", sagt er und schiebt nach: "Aber das Motiv wird überstrapaziert, es unterstellt, seit 30 Jahren habe es hier keine Förderung, keine Chancen gegeben." Dieses Argument, diese Angst tauche übrigens immer wieder auf - beispielsweise auch beim Thema Strukturwandel. Auch hier befürchten die Menschen dann, man wolle ihnen nur etwas wegnehmen, aber nichts Adäquates geben.

Wie soll man einer solchen demokratiefeindlichen Mischung nun aber begegnen - denn ohne Grundvertrauen geht es nicht? "Man muss sich kritisch auseinander setzen - mit Vorbehalten, Verschwörungstheorien und Eliten-Bashing - und versuchen, die Menschen besser in den Prozess der Interessenabstimmung mit einzubeziehen", sagt Kollmorgen.

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