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Reg’ dich ab!

Bestseller-Autorin Evelyn Sumhammer erklärt, wie Sie souverän mit Ärger und Aggressionen umgehen. Und warum das ausgerechnet im Sommer so schwer ist.

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Brüllen tut gut, aber hilft nicht.
Brüllen tut gut, aber hilft nicht. © Karikatur: Mauritius

Blödmann! Affe! Heini! Jeder ist mal auf einen anderen stinksauer und könnte die Wände hochgehen vor Wut. Das hilft aber nicht, sagt Evelyn Summhammer. Die Verhaltenstherapeutin und preisgekrönte Vortragsrednerin befasst sich seit 25 Jahren mit Persönlichkeitsentwicklung und der Stärkung von menschlichen Potenzialen. Sie verrät im SZ-Gespräch, warum Dampfablassen nichts bringt.

Frau Summhammer, heute Morgen hat mir so ein Schnösel die Vorfahrt genommen, um dann sofort links abzubiegen. Dabei hat er mich ausgebremst und nicht einmal geblinkt. Ich war auf 180 und habe lauthals gezetert. Das hat erstmal geholfen. Aber wenn ich jetzt an die Situation denke, geht der Puls schon wieder hoch. Ist das normal?

Ja, das ist es ganz bestimmt. Ich kenne das auch. Manchmal wollen wir uns in den Ärger und die Wut hineinsteigern. Diese negativen Emotionen gehören ja auch zu unserem Leben. Klugerweise tun wir das aber nur in Situationen, in denen wir uns nicht schaden, zum Beispiel im Auto – und nicht im Job. Ich kann meinen Ärger anzündeln und intensivieren. Zum Beispiel, wenn mir einer einen Parkplatz vor der Nase wegschnappt. Dann beginne ich zu schimpfen: „Das war ja eh klar, dass der mir den wegnimmt, der sieht schon so aus mit seinen Tätowierungen.“ Da gehe ich in meine Vorurteile, heize mich selber an und lasse ordentlich Dampf ab. Das ist alles in Ordnung – bis zu einem bestimmten Punkt.

Welcher wäre das?

Ich laufe Gefahr, dass ich generalisiere und die Differenzierung aufhebe. Dann bin ich nicht mehr fair und entspreche nicht mehr der Realität. Das kann sehr gefährlich werden, weil man dann im Dialog mit jemandem anderen vollkommen überzogen kommuniziert und handelt. Bleiben wir bei dem Beispiel: Der eine Tätowierte hat mir den Parkplatz weggeschnappt. Wenn ich das generalisiere, behandle ich irgendwann alle Tätowierten als Feinde – sie haben aber gar nichts gemacht. Deshalb wird man beim Dampfablassen sehr schnell wirklich unfair.

Evelyn Summhammer ist Psychotherapeutin, Wirtschaftspsychologin und Ratgeberautorin. Sie lebt in Wien. 
Evelyn Summhammer ist Psychotherapeutin, Wirtschaftspsychologin und Ratgeberautorin. Sie lebt in Wien.  © Severin Dostal

Nun habe ich aber diesen Frust. Wie kriege ich den denn los und komme runter, ohne jemanden zu verletzen?

Wenn Sie in der Hochspannung sind, der Ärger am intensivsten ist, dann hilft nur Ablenkung. Lenken Sie den Geist auf etwas Positives um. Wenn Sie in einer beruflichen Situation sind und merken, dass Sie sich nicht mehr im Griff haben, die Selbstkontrolle nicht mehr funktioniert, dann sollten Sie kurz unterbrechen und hinaus gehen. Wenn das nicht möglich ist, denken Sie an wunderschöne Erlebnisse. An einen Urlaub, an die nächste Urlaubsplanung. Lenken Sie ihren Geist ab. Zählen Sie in siebener Schritten von 100 zurück auf null, sodass Sie den Geist beschäftigen. Sie müssen ihn wegbringen vom Problem, sonst bleiben Sie darin verhaftet.

Ich denke also beim nächsten Vorfahrtrowdy an meinen Urlaub? Warum?

Damit Sie sich beruhigen und das Problem in einer neutralen Emotion anschauen können. Wenn man mit Distanz auf die Dinge blickt, dann sieht man sie klarer. Es kommt darauf an, wie groß das Problem und wie intensiv die Emotion ist. Bei manchen Dingen ist man schon in einer Stunde wieder in der Balance, über andere muss man eine Nacht schlafen. In der Emotion sind wir niemals objektiv und fair.

Was mache ich, wenn ich schon total gereizt bin und weiter provoziert werde? Versuche ich trotzdem, mich abzulenken?

Ja, dann müssen Sie sich sogar ablenken. Sonst sind Sie ein Risikofaktor.

Warum?

Weil Sie in der Provokation etwas tun könnten, das eine negative Wirkung hat. Dann kann ein Konflikt eskalieren. Wenn Sie auf die Provokation einsteigen, sind Sie mit verantwortlich für das Ergebnis.

Hilft es, Stänkerer zu ignorieren?

Ignoranz kann ich als Provokation einsetzen oder dem Anderen signalisieren: Ich bin im Moment nicht mehr so aufmerksam. Wenn man merkt, dass jemand im Gespräch geistig abdriftet, dann heißt das nicht unbedingt, dass man das als Provokation empfindet. Wenn der das aber mit einem Pokerface tut, und zeigt: „Haha, mit mir nicht“, dann ist es eine Provokation. Und die heizt Situationen eher weiter an.

Evelyn Summhammer. „Komm doch mal runter! Vom souveränen Umgang mit Ärger, Wut und Aggressionen.“ Goldegg, 219 Seiten, 19,99 Euro
Evelyn Summhammer. „Komm doch mal runter! Vom souveränen Umgang mit Ärger, Wut und Aggressionen.“ Goldegg, 219 Seiten, 19,99 Euro © PR

Besonders wenn es heiß ist, meckern viele mehr herum als sonst. Woran liegt das? Der Sommer ist doch eigentlich eine schöne Jahreszeit.

Das liegt daran, dass uns die Hitze anstrengt. Wenn man müde und erschöpft ist, dann gerät man schneller in Ärger und Wut. Dann ist man einfach schneller gereizt, weil man nicht so viele Ressourcen zur Verfügung hat. Wenn wir uns wohlfühlen und ausgeruht sind, haben wir ausreichend Selbstkontrolle. Das lässt sich mit einem Sprachbild gut erklären: Jeder hat eine Art Selbstkontrollbehälter. Das ist das Ausmaß, wie viel Selbstkontrolle wir in uns vereinen. Je besser ich trainiert bin, desto größer ist mein Behälter. Wenn wir Tage haben, an denen wir angespannt und belastet sind, wenig zur Ruhe kommen, sinkt die Kapazität dieses Behälters. Natürlich habe ich, wenn ich frisch aus dem Urlaub komme, Ressourcen für diese Hitze. Wer aber vor dem Urlaub ist, viel erledigen und abarbeiten muss, und dann kommt die Hitze noch hinzu, der ist sehr stark belastet, dessen Behälter ist fast leer. Der sucht sich Situationen, in denen er nicht so viel Selbstkontrolle braucht, um den Ärger loszuwerden – da sind wir wieder im Auto.

Welche Faktoren gibt es außerdem für Aggressivität?

Die Hitze ist das, was wir in der Psychologie einen situativen Faktor nennen. Dann gibt es die anhaltenden Faktoren. Das sind unsere emotionalen Wunden und Vorurteile. Sie spielen bei Ärger, Wut und Zorn eine sehr große Rolle. Wenn ich zum Beispiel einen autoritären Vater oder Lehrer hatte, der mich immer mit einem negativen Tonfall angesprochen hat – und jetzt spricht mich wieder jemand so an, dann werde ich getriggert. Dann interpretiere ich das sofort als respektlos, auch wenn es vielleicht gar nicht so gemeint ist, weil die Person in einer anderen Beziehung zu mir steht. Je reflektierter wir sind und je besser wir diese dauerhaften Faktoren erkennen, desto besser können wir gegensteuern.

Die dauerhaften Faktoren tragen wir in uns?

Genau. Das sind Denkprägungen. Das ist ganz oft eine Frage der Bewertung, die mit der eigentlichen Situation nichts zu tun hat, mit der wir aber meistens verurteilen. Das ist gefährlich, weil wir damit Schieflagen in Beziehungen bringen. Am wenigsten Ärger und Wut produziere ich, je weniger ich bewerte und verurteile.

Wie kann ich das umsetzen?

Indem Sie eine Faustregel einhalten: Je besser wir mit uns umgehen, je zufriedener wir sind, desto weniger reizbar sind wir. Wenn man entspannt aus dem Urlaub kommt, tangiert einen Vieles nicht mehr. Das ist ein Schutzschirm, für den ich selbst verantwortlich bin und den ich selbst erarbeiten muss. Ich muss darauf achten, dass ich ausreichend regeneriere, relativ gut ausgeschlafen bin, dass ich positive Erlebnisse habe, dass ich wirklich gut auf mich schaue. Das kann mir niemand abnehmen.

Das Gespräch führte Susanne Plecher.