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Was Corona mit dem Reisen macht

Sommer, Sonne, Urlaub: Das gehörte bisher zusammen. Nun ändern sich nicht nur die Ziele. Drei Reisebüros über ihre Situation und die Zukunft.

Von Heike Sabel
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Katja Bläsner vom Heidenauer Reisebüro hat viele Reiseziele im Angebot. Die erste Buchung ging jetzt an die Ostsee. Noch ist offen, welche der 31 europäischen Hauptreiseländer wieder öffnen.
Katja Bläsner vom Heidenauer Reisebüro hat viele Reiseziele im Angebot. Die erste Buchung ging jetzt an die Ostsee. Noch ist offen, welche der 31 europäischen Hauptreiseländer wieder öffnen. © Daniel Schäfer

Mit dem Juni beginnt die Hauptreisezeit des Jahres. Einiges ist schon wieder möglich, weiteres soll folgen. Trotzdem bleiben Kunden vorsichtig. Zu viele Fragen. Auch für die Reisebüros. Deren Betreiber schwanken zwischen Optimismus, Wut, Schmerzen und Hilferufen. Schafft  Außenminister Heiko Maas (SPD) am 3. Juni mehr Klarheit? Was wird dieses Jahr mit dem Reisen und wird es viele kleine Reisebüros in einem Jahr noch geben?  Drei Beispiele.

Lieber nicht ins Ausland

Birgit Büttner hält durch, wie ist eine andere Frage. „Das wird sich nicht einrenken“, sagt die Chefin vom Pirnaer Reisebüro Erlbeck. „Die Bundesregierung erkennt unsere Situation in den Reisebüros nicht.“ Birgit Büttner geht zu jeder Demonstration und hofft, es bringt etwas für die Branche. "Ich habe alle Kosten reduziert, die möglich waren. Auch mein Azubi ist jetzt in Kurzarbeit. Das tut so weh."

Um das zu verstehen, muss man wissen: Kunden buchen manchmal schon zwei Jahre im Voraus. Gerade Fernreisen und Reisen in den Ferien werden langfristig gebucht um gute Konditionen zu erhalten oder überhaupt gerade "die" Rundreise zu "dem" Zeitpunkt machen zu können. „Wir als Reisebüros erhalten die Provisionen von dem jeweiligen Veranstalter entweder nach der Buchung oder nach der durchgeführten Reise“, sagt Birgit Büttner. Das heißt: Jetzt finden seit März 2020 die Reisen nicht mehr statt, für die sie und die Mitarbeiter in allen Reisebüros seit August 2019 gearbeitet haben. Reisebüros müssen entweder bereits gezahlte Provision an den Veranstalter zurückzahlen oder der bucht sie ab oder das Reisebüro erhält keine Provision, weil die Reise ja nicht stattfindet – so oder so: Das Reisebüro hat voriges Jahr umsonst gearbeitet und kein Geld mehr verdient, wohl aber Mitarbeiter, Miete und sonstige Verbindlichkeiten bezahlt. Inzwischen ist Birgit Büttner allein im Büro. Für sie der Super-Gau: „Die gesamte Rückabwicklung der vom Veranstalter stornierten Reisen mache ich jetzt allein.“ Ihre vier Mitarbeiter sind in Kurzarbeit – „denn wer soll die Mitarbeiter noch bezahlen?“ Für die Rückabwicklung gibt es keinen Cent, weder vom Reiseveranstalter noch vom Kunden. „Also, auch jetzt wieder gratis arbeiten.“

Die erste Reise, die jetzt wieder bei Birgit Büttner gebucht wurde, war eine ab nächstem Montag in den Allgäu. Die Provision bekommt das Reisebüro erst, wenn der Kunde reist. Wenn also jetzt jemand für 2021 bucht, sieht auch das Reisebüro erst dann das Geld für die Arbeit, die es jetzt gemacht hat. Wie schnell das Null ist, haben sie jetzt gemerkt. „Schuld daran ist auch die neue unausgereifte Pauschalreiserichtlinie“, sagt Birgit Büttner. „Da sitzen Politiker im Bundestag, die meinen zu wissen, wie die Touristik funktioniert. Und haben keine Ahnung davon.“

Wie sich das Buchungsverhalten der Kunden entwickeln wird? „Ich habe keine Glaskugel, aber es wird in Zukunft anders gereist.“ Viele wollen ihren Sommerurlaub nicht im Ausland verbringen und nehmen sogar Stornogebühren in Kauf. „Ich bin froh, wenn die bis Februar 2020 gebuchten Kunden  noch nicht alle ihre Reisen für Juni, Juli usw. stornieren.“ Die Kapazitätsgrenze von 60 Prozent in vielen Hotels schwebt da wie ein Damoklesschwert. 

Die meisten Kunden sind so verständnisvoll wie verunsichert, verängstigt, zurückhaltend. Es wird dauern, bis sich die Reisebranche erholen wird. Birgit Büttner rechnet mit zwei Jahren. Was in dieser Zeit aus ihrem gesunden Unternehmen wird? „Ich durfte kräftig Steuern zahlen. Ich habe nichts falsch gemacht. Ich beschwere mich auch nicht, dass wir seit März 2020 keine Einnahmen haben. Aber dass wir das erwirtschaftete Geld zurückgeben müssen, das gibt es in keiner Branche.“

Eine große Hilfe hat Birgit Büttner bekommen: von ihrem Vermieter. Der hat ihr die Miete für ein Jahr um die Hälfte reduziert. 

Bei Klarheit wird wieder gebucht

Der Klassiker: die Ostsee. Das war Katja Bläsners erste Buchung eines Kunden jetzt wieder. Es ist nach wie vor eine Seltenheit, dass gebucht wird. Denn auch innerhalb Deutschlands halten sich die Kunden – noch – zurück, sagt die Heidenauer Reisebürochefin. Man muss jetzt abwarten, wie es nach dem 14. Juni weitergeht und welche der 31 europäischen Hauptreiseländer wieder öffnen. Das ist nicht die einzige Hürde. Denn entscheidend ist letztlich, welche Regelungen dann dort gelten. Davon, wie sich andere Länder öffnen, welche Vorschriften dort gelten, wie und von wo aus die Flieger gehen, wie die Konzepte vor Ort in den Hotels sind, wie  alles abläuft – davon und auch von der Bundesregierung hänge viel ab, sagt Katja Bläsner.

Aktuell kann nur Deutschland gebucht werden, ab 14. Juni kann man auch wieder nach Österreich oder Südtirol fahren. „Beides wunderbare Ziele, wo man auch mit der Familie eine Menge erleben kann“, sagt Katja Bläsner. Sie ist optimistisch: „Wenn das hundertprozentig klar ist, wird die Nachfrage auch wieder steigen.“ Urlaubsländer wie Griechenland und Portugal wollen ja ab Juni wieder öffnen, Italien zum Beispiel ab dem 3. Juni. Wie die Kunden reagieren, ist nicht berechenbar. Es wird die geben, die nur darauf warten und die, die vorsichtig bleiben. Derzeit sagen viele: „Wenn es geht, wollen wir im September bzw. Herbst nochmal weg, und dann auch fliegen.“

Noch ist das Hauptgeschäft nicht das Buchen von Reisen, sondern das Abwickeln von Absagen, Stornierungen, das Umbuchen bzw. die Herausgabe von Gutscheinen. Wofür sich die Kunden entscheiden, hängt nach Erfahrung von Katja Bläsner sehr vom Reiseveranstalter ab und was er anbietet. Bei von den Reiseveranstaltern abgesagten Reisen haben sich die meisten für eine Rückzahlung der geleisteten Zahlungen entschieden. Bei Kreuzfahrten haben einige umgebucht und somit das Geld für die neue Reise verwendet. Ähnlich wie bei Busreisen bzw. bei den Busreiseveranstaltern. Gutscheine haben die Kunden gewählt, die längerfristig Sicherheit wollen, denn solche Reisen können auch nach dem 14. Juni kostenlos storniert werden. Gutscheine sind in der Regel bis Ende 2021 gültig und werden bei Nichteinlösung ab 2022 ausgezahlt. „Das Geld ist also für die Kunden nicht verloren“, sagt Katja Bläsner. Für sie wie die anderen Reisebüros ist viel Geld verloren gegangen. „Wir benötigten einen Rettungsfonds, aber die Regierung stellt sich bisher taub. Ihnen ist es wohl lieber, wenn Millionen Arbeitsplätze den Bach hinunter gehen.“ 

Sicherheit wird wichtiger

Künftig wird eine Frage in Reisebüros mehr gestellt werden, sagt Sylke Zenker von der Reisezeit in Pesterwitz. "Wie sicher ist mein Reiseziel?" Nicht im Sinne von Überfällen, Kriegen, Terrorismus, sondern hinsichtlich Gesundheit und Geld, sagt die Mitinhaberin des Reisezeit-Büros. Und es wird mehr auf die Erfahrungen mit den aktuellen Bedingungen ankommen. "Da werden wir als Reisebüros noch mehr als bisher gefragt sein." Doch bisher ist noch niemand unter den neuen Bedingungen gereist. Auf wessen Erfahrungen also zurückgreifen?

Schon jetzt gibt es von den Agenturen vor Ort viele Informationen, wie ist die Lage in den Hotels, welche Bedingungen gibt es, was ist offen und was geschlossen, was möglich, was nicht?, sagt Sylke Zenker. Wer das in Kauf nimmt, wird reisen, wer nicht, der nicht. Schon jetzt zeigt sich in Pesterwitz, dass es Kunden gibt, die alles akzeptieren, weil sie unbedingt reisen wollen, andere verzichten oder suchen nach Alternativen. Die Prämissen, die es bei jeder Reisewahl schon immer gegeben hat, ändern sich. 

Sylke Zenker ist vorsichtig. Wenn Kroatien zum Beispiel die Grenzen wieder öffnet, heißt das nicht automatisch, dass die Deutschen wieder in eines ihrer Lieblingsländer reisen können. Noch ist die Ostsee der Renner der Saison. Auch Thüringen und die Müritz wurden gewählt. Alle hoffen auf den 3. Juni und mehr Klarheit vom Außenminister. 

Beraten und beruhigen sind aktuell die beiden Hauptaufgaben von Sylke Zenker und ihrem Mitinhaber. Es gehe auch darum, wie die Kunden ohne Schaden durchkommen, sagt sie. Für ihre Branche ist der Schaden groß. "Wir arbeiten zum Nulltarif." Genau genommen sogar zum Minustarif. Vonwegen Spaßbranche, sagt Sylke Zenker. So werde die Reisebranche oft abgetan. Spaß vielleicht für die Urlauber, für die Reisebüros ist es jetzt bitterer Ernst. 

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