Ein Schloss schreit nach Liebe

Fragt man Jens Höhnel, warum auf dem Kuckuckstein kein Kuckuck ruft, findet er das gar nicht so lustig. Regenwälder verschwinden, in den Ozeanen schwimmen Berge von Plastik, "und bei uns hört man den Kuckuck immer seltener rufen". Dass er das im beschaulichen Liebstadt sagt, der kleinsten Stadt Sachsens, tut da nichts zur Sache. Auch hier gibt es in punkto Nachhaltigkeit eine riesige Aufgabe: das Schloss. Zwar hat es Mauern, die teils über drei Meter dick sind. Doch die Zukunft, sagt Höhnel, hängt am seidenen Faden.
Der Kuckuckstein ist ein Glanzstück der Schlösserromantik. Sein Kern entstammt dem Mittelalter. Die märchenhafte Optik erhielt er vor gut 200 Jahren. Damals ließen die Carlowitzens, sächsischer Uradel, den Kuckuckstein im Geschmack ihrer Zeit umbauen, als Sinnlichkeit, Mut zum großen Gefühl und Liebe zur Natur Auftrieb bekamen. Die Denkmalschutzbehörde des Landkreises nennt Kuckuckstein "ein authentisches und seltenes Zeugnis einer durch mittelalterliche Formensprache gekennzeichneten Bautätigkeit der Frühromantik".

Dass dieses Zeugnis nicht verschwindet, darum geht es Jens Höhnel und seiner Frau Susanne. Die beiden sind Liebstädter und fest verwurzelt mit der Heimat, wie sie sagen. Das Schloss, dreißig Meter über dem Marktplatz auf seinem Fels thronend, war stets ein Fixpunkt in ihrem Leben. Im Rittersaal hatte Jens Höhnel als Schuljunge Turnunterricht, lernte im Funk-Zirkel das Morsen. Letztlich kannte die ganze DDR den Kuckuckstein, dank Magier Peter Kersten und seiner Fernsehauftritte vorm Kamin.
Der Verfall des Schlossen aber ließ sich nicht wegzaubern. Die letzten größeren Investitionen stammten noch aus der Vorkriegszeit. Auch ein Unternehmer aus Österreich, der 2007 Herr auf Kuckuckstein wurde, hielt den Niedergang nicht auf. Nach zähem Rechtsstreit gab er das Schloss 2018 an die Kommune zurück. Da hatten sich die Höhnels bereits zum Handeln entschlossen. "Für uns stand es außer Frage, uns der großen Herausforderung zu stellen und das Schloss zu kaufen", sagt Jens Höhnel, "um den ruinösen Zustand zu beenden."

Das Paar, er gelernter Elektro-Installateur, sie einst als Kauffrau ausgebildet, hat sein Auskommen unter anderem im Tourismus gefunden. Keine fünf Kilometer Luftlinie vom Schloss, im Trebnitzgrund, haben die Höhnels eine ehemalige Wassermühle als Ferienobjekt hergerichtet. Weitere historische Gemäuer in Pirna und im Bielatal sind in Arbeit, Gemäuer, in denen kein Leben mehr steckte, kein Sinn. Ähnlich wie beim Schloss.
Doch das Schloss ist anders. Zwar haben die Höhnels es gekauft - über den Preis wird geschwiegen - und in ihre Natur Romantik GmbH eingegliedert. Als Schlossherren sehen sie sich aber keineswegs. Die Zeiten, da Herren ihre Schlösser für sich behielten, sind vorbei, findet Jens Höhnel. "Schlösser gehören in die Öffentlichkeit." Der Kuckuckstein, so die Vision, soll ein Ort der Begegnung werden, ein kultureller Anker für die Region, ein Schloss zum Benutzen. "Wir wollen hier kein Museum hüten."

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, heißt es. Oder aber einen Verein gründen. Von Anfang an war klar, sagen die Höhnels, dass der Erfolg auf dem Kuckuckstein viele Schultern braucht. Sich engagieren statt nur konsumieren - so allein geht es, sagen sie. Etwa zur selben Zeit, als sie das Schloss kauften, gründete sich der Verein der Kuckucksteinfreunde, das Schwarze Kleeblatt. Der Name ehrt die Carlowitzens, die das dreieinige Kleeblatt im Wappen führten.
Das Schwarze Kleeblatt hat etwa zwanzig Mitglieder, darunter Lehrling, Student, Handwerker, Hausfrau, Arzt, Ingenieur, Rentner. Auch Zauberer Kersten ist dabei. Vordringliche Aufgabe: Angebote entwickeln, Gäste wie Einheimische auf den Kuckuckstein locken, neue Mitstreiter gewinnen. "Ein Mitmachprojekt läuft nur, wenn viele mitmachen", sagt Jens Höhnel.

Damit es läuft, ist aber auch Geld nötig. Viel Geld. Rissige Mauern, offene Fugen, Durchnässung, Frostzermürbung, Ausbrüche, Bewuchs - ohne umfassende Sanierung stehen alle Visionen infrage. So sucht der Verein auch nach Spendern und Sponsoren. Jens Höhnel hat keine Zahl parat, was die Reparaturen insgesamt kosten würden. Wozu auch, sagt er. Es kann sowieso nur Schritt für Schritt gehen. "Das Wichtigste zuerst."
So wurden während der letzten beiden Jahre marode Mauern am Burgwall, der abgesackte Rosengarten und der Übergang zur Zugbrücke stabilisiert. Risse in den Wänden des Torhauses und des Wasserhauses wurden mit stählernen Nadeln und Beton verschlossen. Jetzt wäre das brüchige Dach dran. Zweimal schon wurde groß geflickt. Doch lange geht das nicht mehr gut. Zurückbauen, erneuern, ertüchtigen - allein für den ersten Bauabschnitt rechnet Jens Höhnel mit etwa 800.000 Euro, zuzüglich Eigenmittel.

Der Geldbedarf übersteigt die Möglichkeiten der sächsischen Fördertöpfe. Die Schlossfreunde hoffen auf das Denkmalschutz-Sonderprogramm des Bundes. Der Antrag liegt samt Empfehlungsschreiben von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer zur Entscheidung in Berlin. Sobald es dort grünes Licht gibt, könnte es hier losgehen mit dem Bauen. Am liebsten noch dieses Jahr.
Was geht sonst los im Schloss? Geplant war einiges. Die öffentliche Besuchszeit, bisher jeder zweite Sonntag im Monat, sollte erweitert werden. Man dachte an ein historisches Biwak, an Vorträge, Theater, Besuche der Freimaurer, und natürlich an Zauberei und an Hochzeiten. Durch Corona liegt vorerst alles auf Eis. Nur nicht der Mut der Macher. Jens Höhnel hat einen Spruch parat: "Was nicht existiert, hat man nicht genügend gewollt."