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Hannelore John führte 14 Jahre lang die DB-Agentur im Hauptbahnhof. Viele werden ihren Service vermissen.

Von Jens Hoyer
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Hannelore John hat seit 2005 in der DB Agentur im Döbelner Hauptbahnhof Bahnreisende beraten. Jetzt geht sie in den Ruhestand. Dann ist endlich Zeit für einen längeren Urlaub.
Hannelore John hat seit 2005 in der DB Agentur im Döbelner Hauptbahnhof Bahnreisende beraten. Jetzt geht sie in den Ruhestand. Dann ist endlich Zeit für einen längeren Urlaub. © Jens Hoyer

Döbeln. Mittagspause. Hannelore John hatte die Glasschiebetür ihrer DB-Agentur im Hauptbahnhof schon geschlossen, als es an die Scheibe klopft. Sie lässt die Kundin über einen Seiteneingang herein. „Die Kundin wollte eine Wochenkarte. Da kann man doch nicht so sein“, sagt sie. 

Seit gefühlt ewigen Zeiten berät sie die Reisenden, sucht die besten Verbindungen und Preise heraus, stellt Fahrkarten aus. Am Sonntag um 18 Uhr wird Hannelore John die Glasschiebetür ihre Agentur zum letzten Mal verschließen. Sie geht in den Ruhestand.

Als sie 1972 die Lehre bei der Bahn begann, war der Lagerraum neben ihrer Agentur noch das Zimmer des Bahnhofschefs. Zwei alte rostige Wandtresore erinnern daran, dass das Eckzimmer mal eine andere Funktion hatte. 

Sie machte eine Ausbildung im Transport- und Verkehrswesen. „Wir haben alle Stationen durchlaufen, waren im Stellwerk, haben als Zugbegleiter gearbeitet, in der Gepäckaufbewahrung und der Fahrkartenausgabe.“ In Letzterer ist Hannelore John schließlich geblieben. Ihr ganzes Berufsleben lang. Früher hatten der Fahrkartenschalter von 4 bis 23 Uhr geöffnet. „Da ging der letzte Zug nach Stralsund. So lange musste offen sein“, erzählt sie. Als die Kinder da waren, war der Schichtdienst passé.

Die Eisenbahnerin wechselte zur Auskunft und dem Auslandsschalter. Bei ihr suchten sich auch die gen Westen reisenden Rentner Rat, wenn sie Verwandte hinter der Grenze besuchen wollten. Das Problem: Sie durften nur einen bestimmten Grenzübergang benutzen. „Da waren manchmal große Umwege nötig.“ Die zu planen, dafür gab es damals noch keinen Computer. „Das dauerte länger als heute. Das Kursbuch war so dick“, sagt Hannelore John und zeigt die Dimensionen zwischen Daumen und Zeigefinger. Die wichtigsten Verbindungen und Streckennummern hatte sie im Kopf. Hannelore John muss lachen. „Nach der Wende wollte man uns bei einem Seminar Verkehrsgeografie beibringen.“

Bei der Reichsbahn und später der Bundesbahn war Hannelore John die meiste Zeit ihres Berufslebens angestellt. Der Bruch kam 2005, als sich die Bahn von vielen Bahnhöfen trennte. „Ich hätte irgendwo weit weg arbeiten müssen. Eine andere Arbeit zu finden, war damals auch schwierig“, sagte sie. Von einem Tag auf den anderen ging sie in die Selbstständigkeit. Seitdem gibt es die DB-Agentur im Bahnhof. Öffnungszeiten: außer Sonnabend jeden Tag. Am Sonntagnachmittag geht es schon wieder los mit den Azubis, Pendlern und Monteuren, erzählt sie.

Nach der Wende wollten immer weniger Leute mit der Bahn reisen, das Auto stand hoch im Kurs. „Damals sind viele Strecken eingegangen.“ Mittlerweile bemerkt Hannelore John aber eine Rückbesinnung. Viele kommen schon sehr zeitig, um sich beraten zu lassen. Sie suchen einen günstigen Preis oder eine Verbindung mit kurzer Fahrzeit. „Die meisten planen im Voraus und nehmen den Frühbucherrabatt in Anspruch.“ 

Ein Kunde wollte mal mit einem Kanu im Gepäck nach Rumänien, andere die Fahrräder nach Ungarn mitnehmen. Viele reisen auch mit der Bahn nach Hamburg und radeln an der Elbe zurück. Auf die radfahrenden Bahnreisenden sei die Bahn nur schlecht eingerichtet, sagt Hannelore John. Es gebe schlichtweg zu wenig Mitnahmemöglichkeiten für die Räder.

In den 14 Jahren hat Hannelore John miterleben müssen, wie der Hauptbahnhof in die Bedeutungs- und Trostlosigkeit versank. „So einen großen Bahnhof hätte die Bahn nie verkaufen dürfen“, sagt sie. In ihre Agentur ist eingebrochen worden. Auch einen Überfall hatte sie mitgemacht. An das Jahr kann sie sich nicht erinnern. „Aber es war ein Montag. Von 11.15 Uhr bis 11.18 Uhr. Am helllichten Tag.“ Der Täter war über den Tresen gesprungen und hatte die Kasse ausgeräumt, war durch den Hinterausgang und den Fußgängertunnel geflohen. „Da war ich völlig fertig.“

Mit 63 Jahren und acht Monaten – sie arbeitet keinen Tag länger als sie muss – lässt Hannelore John jetzt den Beruf hinter sich. Jahre, in denen sie höchstens mal eine Woche Urlaub gemacht hat – wenn überhaupt. Jetzt will sie auch mal länger verreisen. Natürlich auch mit der Bahn.

Für die Kunden geht es weiter. Die Mitteldeutsche Regiobahn will die Agentur fortführen. Nach einer Renovierung wird voraussichtlich Mitte November wieder eröffnet, sagte ein Mitarbeiter der Pressestelle. „In der Zwischenzeit können Tickets an den Automaten und in den Zügen beim Kundenbetreuer erworben werden. Wir empfehlen aber, ihn gleich im Zug zu suchen und nicht zu warten, bis er kommt.“