SZ + Görlitz
Merken

Sieht so ein eiskalter Killer aus?

Zwei holländische Juristen fordern ein Ausgehverbot für Katzen zugunsten des Vogelschutzes. Görlitzer Tierkenner sehen das kritisch.

Von Ines Eifler
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Soll dieser junge Kater ein Killer sein, der das Aussterben der Singvögel befördert?
Soll dieser junge Kater ein Killer sein, der das Aussterben der Singvögel befördert? © André Schulze

Es ist keine Frage, und jeder Halter weiß das: Katzen sind geschickte Jäger. Das ändert sich auch im engen Zusammenleben mit Menschen in einer Wohnung und guter Fütterung nicht. Dass freilaufende Katzen aber eine unterschätzte Gefahr für die Artenvielfalt seien, wie zwei Umweltrechtler aus den Niederlanden jetzt behaupten, sehen die meisten Görlitzer Katzenhalter und Tierexperten anders.

„Kein Verbot! Um eine Tierart zu schonen, soll eine andere leiden? So ein Humbug!“ So und ähnlich klingen Antworten von Görlitzer Tierfreunden, die auf Facebook angefragt wurden, was sie von einem „Ausgehverbot“ für Katzen zugunsten des Vogelschutzes halten. Manche haben sich bewusst gegen den Freigang ihrer Katze entschieden: „Kein Haustier hat zu wildern. Auch die Hauskatze nicht.“ Andere hängen ihrer Katze ein Glöckchen um, das die Vögel warnen soll. Und wieder andere schützen Vogelhäuser und Nistkästen mit einem Ring um den Baumstamm, den Katzen am Hochklettern hindert.

Auch Wohnungskatzen bleiben Jäger. Diese beiden belauern Vögel am Fenster.
Auch Wohnungskatzen bleiben Jäger. Diese beiden belauern Vögel am Fenster. © Ines Eifler

Pestizide schaden mehr als Katzen

Anlass für die Anfrage war das Gutachten der beiden Juristen Arie Trouwborst und Han Somsen von der Universität Tilburg, die auf die Pflicht aller EU-Staaten hinweisen, heimische Vögel zu schützen. Die Staaten seien laut Tierschutzgesetz seit 1992 aufgefordert, dagegen vorzugehen, dass Singvögel absichtlich getötet oder in der Aufzucht ihrer Jungen behindert werden. Da Katzen das aber tun und weil schon deren Anwesenheit in einem Garten Vögel am Brüten hindere, dürften sie nur noch kontrolliert Freigang haben, also unter Aufsicht, im Gehege oder an der Leine. Am besten sollten sie in der Wohnung bleiben.

Mehrere Görlitzer Katzenhalter schreiben, dass ihre Katze auf Freigang durchaus Vögel fange, aber seltener als Mäuse, und wenn, seien sie oft schon krank oder verletzt. Die meisten sprechen sich gegen ein Ausgangsverbot aus. Vor allem, weil andere Faktoren wesentlich schädlicher für die Artenvielfalt seien. Kristina Seifert, Sprecherin der Grünen in Görlitz, meldete sich, weil sie selbst zwei Katzen hat. „Wir haben sie angeschafft, damit keine Mäuse ins Haus kommen“, sagt sie. Der Niederhof in der Kastanienallee, wo sie mit ihrer Familie wohnt, ist ein alter Bauernhof, im Wald dahinter singen im Frühling viele Vögel. Höchstens einmal im Jahr bringe eine Katze einen Vogel mit heim. „Pestizide in der Landwirtschaft und die Einschränkung der natürlichen Lebensräume für Vögel sind viel dramatischere Faktoren für die Bedrohung vieler Singvogelarten.“

Waschbären gefährlicher als Katzen

Genau das bestätigt der Görlitzer Biologe und Ornithologe Bernhard Seifert vom Senckenberg-Museum. Zu den Hauptfaktoren für die Bedrohung geschützter Singvogelarten zähle neben dem Einsatz von Insektenbekämpfungs- und Unkrautvernichtungsmitteln auch die expansive Flächennutzung durch die Landwirtschaft, mit der wichtige Lebensräume und Brutplätze verloren gehen. „Sind Arten dezimiert und überwiegen jagenden Arten, können diese zur Gefahr werden“, sagt er. Noch vor 70 Jahren wurde zum Beispiel das Rebhuhn zu Tausenden vom Menschen gejagt, ohne dass die Population abnahm. Heute könne jeder größere Raubvogel, jeder Fuchs den Erhalt der noch 200 Rebhühner zählenden Population in Sachsen gefährden.

Die Katze könne für das Aussterben von Singvögeln nicht verantwortlich gemacht werden, zumal die meisten Katzen in Städten lebten. Dort brüteten vor allem körnerfressende Vogelarten, die auf Mais- oder Rapsfeldern keine Nahrung mehr finden. Meistens seien diese aber nicht geschützt. Viel schlimmere Vogelfeinde seien invasive Arten wie der Waschbär, der auch in städtischen Gebieten wie der Görlitzer Nikolaivorstadt auf Dächer klettere und dort ganze Gelege von Vögeln ausraube. Katzen den Freigang zu verbieten, hält Bernhard Seifert für nicht artgerecht. Auch wenn nur mutige Katzen große Ratten fangen, halte eine Katze Mäuse und Ratten fern. Schon deshalb Freigang haben dürfen.

Problem sind verwilderte Katzen

Tierarzt Hubertus Thomas erkennt den Konflikt zwischen Vogelschützern und Katzenhaltern an. „Natürlich jagen Katzen auch Vögel“, sagt er. Aber deshalb den Freigang zu verbieten, sei nicht die Lösung. „Es sollte dabei gar nicht um in der Wohnung gehaltene Katzen auf Freigang gehen, sondern um verwilderte Katzen.“ Die Zahl der Katzen insgesamt sei in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen. Seit dem Jahr 2000 habe sich die Zahl der Katzen in Deutschland auf fast 15 Millionen verdoppelt. Eine genaue Zahl für Görlitz gibt es nicht, weil Katzen nicht meldepflichtig sind, aber man könne die Zahl der Hunde mal 1,5 nehmen, sagt der Tierarzt. Bei 2.278 Hunden kommt man also auf rund 3.400 gehaltene Katzen, davon zwei Drittel mit Freigang. Hinzu kommen die wild lebenden. Deren Zahl schätzt Hubertus Thomas auf proportional geringer ein als in anderen Städten. „Denn Görlitz gehört zu den wenigen Gemeinden in Deutschland, die Kastrationen verwilderter Katzen bezahlen“, sagt er. „Das ist der Stadt hoch anzurechnen.“ Er selbst und andere Tierärzte nehmen regelmäßig Kastrationen freilaufender Kater und Katzen vor, die Mitarbeiter des Tierheims und engagierte Stadtbewohner einfangen.

Katzen brauchen einen Chip

Katzenhaltern empfiehlt Hubertus Thomas, von der Wohnlage abhängig zu machen, ob eine Katze rausgehen darf oder drinbleibt. An befahrenen Straßen würden die Tiere zu oft überfahren, dort empfehle er Wohnungshaltung. "Aber gesünder und schlanker sind Katzen, die auch rausgehen." Dann aber sollten sie kastriert sein, um nicht für wilden Nachwuchs zu sorgen. Außerdem ziehe ein zeugungsunfähiger Kater kleinere Kreise und habe einen geringeren Jagdtrieb. Einen Chip zur Wiedererkennung eines Tiers, wie der junge Kater auf dem Foto gerade einen eingepflanzt bekommt, wünscht er sich aber für alle Katzen. Manchmal falle eine Wohnungskatze aus dem Fenster, werde gefunden und lande im Tierheim. Sei sie registriert, könne der Halter leicht ermittelt werden.

Um den Schutz der Vögel zu verbessern, empfiehlt er, Vogelhäuser und Nistkästen nicht so anzubringen, dass Katzen in nächster Nähe lauern und angreifen können. Von einem Glöckchen um den Hals der Katze rät er ab, weil es das empfindliche Gehör der Katze quälen kann. Dem Vogelschutz helfe es, wenn Freigängerkatzen von Mitte Mai bis Mitte Juli in den Morgenstunden in der Wohnung bleiben. Denn dann füttern die Vögel ihre Jungen. Sind sie mit der Abwehr einer lauernden Katze beschäftigt, können sie sich nicht um sie kümmern, die Vogelfamilie wird geschwächt und leichte Beute. Sind sie jedoch ungestört, braucht die Katze nicht zum Killer zu werden.

Mehr Nachrichten aus Görlitz und Umgebung lesen Sie hier.

Mehr Nachrichten aus Niesky und Umgebung lesen Sie hier.