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Der schwierige Alltag eines Jobcenter-Beraters

Motivieren, aber auch mal hart durchgreifen – Torsten Schumann aus dem Jobcenter Dresden über seine Arbeit mit Langzeitarbeitslosen.

Von Julia Vollmer
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Rund 5000 Langzeitarbeitslose gibt es in Dresden.
Rund 5000 Langzeitarbeitslose gibt es in Dresden. © Symbolfoto: dpa

Fast 11 Jahre lang bekam Marlies Bernin Hartz IV. Seit 2008 ist sie arbeitslos. Die gelernte Fleischerin blickt auf eine lange Karriere der wechselnden Berufe zurück. Die heute 54-Jährige arbeitete in der Küche, auf dem Bau und als Geräteführerin. Doch dann kam die lange Zeit ohne Job. Ihr Selbstbewusstsein, aber auch die Motivation sank immer weiter. 

Der monatliche Termin beim Jobcenter wurde Routine. Dabei kreuzten sich die Leben von Marlies Bernin, die im wahren Leben anders heißt und das von Torsten Schumann. Schumann ist Teamleiter im Dresdner Jobcenter und kümmert sich um Menschen wie Marlies. Langzeitarbeitslose heißen sie im Behördendeutsch. So definiert die Agentur alle, die länger als ein Jahr keinen Job finden. Rund 5 000 Männer und Frauen zählen dazu. „Wir geben niemanden auf, sondern versuchen, jeden zu motivieren, auch wenn es schwer ist“, erzählt Schumann. Und so schafften es der 32-Jährige und sein 20-köpfiges Team es auch, Marlies Bernin wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ab Mai arbeitet sie nach einer Umschulung als Buchhalterin. Ein Erfolg. Für sie, aber auch für das Team.

Denn ihre Kunden, wie die Leute im Jobcenter und Arbeitsagentur ihre Klientel nennen, sind so unterschiedlich, wie es Menschen nur sein können. Die einen sind jahrelang arbeitslos, weil sie krank sind. Andere sind drogen- oder alkoholabhängig, wieder andere alleinerziehend. Oder sie sind arbeitslos in der zweiten oder dritten Generation. „Sie kennen dieses Leben auch aus ihrem Umfeld nicht anders“, so Schumann. Haben die Betroffenen eine Drogen- oder Alkoholkarriere hinter sich, rät ihnen Schumann erst mal Entzug. „Wenn diese Probleme nicht geklärt sind, müssen wir die anderen noch nicht in Angriff nehmen“, sagt Schumann, der schon seine Ausbildung in der Arbeitsagentur absolviert hat und sich über die Jahre hocharbeitete.

Doch auch wer nicht abhängig war, muss nach Jahren der Arbeitslosigkeit oft wieder fit gemacht werden für einen „normalen“ Tagesablauf. Früh aufstehen, pünktlich sein, Körperhygiene – wer all das jahrelang nicht gemacht hat, kommt manchmal aus der Übung, beobachtet Schumann. „Auch wenn es einem schwerfällt, aber wir müssen den Kunden auch sagen: Eine Dusche gegen den Körpergeruch wäre angebracht“, sagt er.

Ähnlich bei der Ernährung, hier vermitteln Schumann und seine Kollege Gesundheitsberatungen. „Wenn jemand in einem körperlich anstrengenden Beruf wie Fliesenleger arbeitet, aber stark übergewichtig ist, raten wir zum Abnehmen.“ Schumann will ein offenes Ohr bieten und eine Anlaufstelle sein, Sanktionen will er möglichst vermeiden. „Aber natürlich können wir nicht nur Händchen halten, im Notfall müssen wir auch hart bleiben und auch mal das Geld kürzen, wenn jemand überhaupt nicht kooperiert“, sagt er.

Torsten Schumann an seinem Arbeitsplatz
Torsten Schumann an seinem Arbeitsplatz © Christian Juppe

Kunden, die nicht kooperieren, sondern die Mitarbeiter im Jobcenter und Arbeitsagentur beleidigen oder körperlich angegriffen werden immer mehr, erzählt Sprecherin Grit Löst. Es gab in den vergangenen Monaten verbale und körperliche Übergriffe, die drei Strafanträge als auch Hausverbote und Verwarnungen zur Folge hatten.„Du blöde Kuh“ oder „Wir bekommen raus, wo du wohnst“ – all das hören die Angestellten. 

Die Büros sind mit einem Sicherheitsknopf ausgestattet, drückt man diesen, ertönt ein lautes Alarmsignal. Torsten Schumann selbst erlebte noch keinen Übergriff, aber Tacker, Locher oder Ähnliches, das man auch als Wurfgeschoss nutzen könnte, hat er wie alle anderen Mitarbeitern nicht auf seinem Schreibtisch stehen. Auch von Familienfotos neben dem Rechner wird den Jobcenter-Mitarbeitern abgeraten. Damit mögliche aggressive Kunden erst gar keine Chance haben, etwas Privates zu erfahren.

Doch Torsten Schumann lässt sich davon nicht abschrecken, sondern kämpft um jeden Einzelnen. Um die 100 Arbeitslose betreut jeder Mitarbeiter aus seinem Team. „Das sind weniger als in der Arbeitsagentur, da wir speziellere Fälle haben“, so der Dresdner. Seine Kunden werden auf Wunsch auch zu Vorstellungsgesprächen begleitet. „Das gibt den Menschen Sicherheit und wir können auch gleich die möglichen Vorbehalte bei den Arbeitgebern abbauen“, erklärt er. Und davon gibt es reichlich. 

Wer jahrelang arbeitslos war, kommt sicher nicht pünktlich oder ist nicht mehr auf dem neuesten Stand – lauten zwei davon. Die Firmen profitieren aber auch davon, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen. Sie bekommen Förderung vom Jobcenter. Bis zu 100 Prozent der Lohnkosten übernimmt das Center in Einzelfällen und auch die Kosten für eventuelle Weiterbildungen. Selbst bewerben ist für die Langzeitarbeitlose sehr schwer, beobachtet Torsten Schumann. „Sie werden von den Personalern meist sofort aussortiert.“