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Tausendfache Lebensretter

Kröten, Frösche und Molche sind auf Wanderschaft. Für den gefährlichen Weg brauchen sie viele hilfreiche Hände.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Vorbeirauschende Autos lassen den nassen Asphalt vibrieren. Birgitt Kieschnick würdigt die Fahrer keines Blicks. Die 56-Jährige hat an diesem Morgen nur Augen für Kröten, Frösche, Molche und Unken. Langsam schreitet sie den mobilen Amphibienzaum an der Straße zwischen Leipgen und Steinölsa ab. In unregelmäßigen Abständen sind Eimer in der Erde vergraben. Ein Lächeln huscht über das Gesicht der Naturwacht-Rangerin. Drei Erdkröten tummeln sich im Behälter. Liebevoll nimmt sie ein Exemplar in die Hand. „Einer mit Krone war noch nie dabei“, sagt sie schmunzelnd.

In Freiheit: Im Zulauf der Teichgruppe Romanik werden die Tiere wieder ausgesetzt.
In Freiheit: Im Zulauf der Teichgruppe Romanik werden die Tiere wieder ausgesetzt. © Uwe Soeder
Der Teichmolch gehört zu den kleinsten Lurchen im Heide- und Teichland, das größte Exemplar ist der Kammmolch.
Der Teichmolch gehört zu den kleinsten Lurchen im Heide- und Teichland, das größte Exemplar ist der Kammmolch. © Uwe Soeder
Bergmolche sind am besten an ihrem orangen Bauch ohne schwarze Flecken zu erkennen.
Bergmolche sind am besten an ihrem orangen Bauch ohne schwarze Flecken zu erkennen. © Uwe Soeder

Auch die beiden anderen Tiere kommen nach kurzer Begutachtung in den mitgebrachten Eimer. In dieser Woche verantwortet Birgitt Kieschnick den Bringedienst zwischen Winterquartier und Laichgewässern, der Teichgruppe Romanik, für die kleinen Lurche. Neben dem Eimer hat sie auch noch eine Liste dabei. Für jede Art gibt es eine Extraspalte, um am Ende der Amphibienwanderung genau sagen zu können, wie viele sich auf den Weg gemacht haben. Im vergangenen Jahr wurden im Biosphärenreservat mehr als 100 000 Tiere an den Schutzzäunen umgesetzt.

Kritische Abschnitte

Wieder rast ein Auto vorbei. „Unsere mobile Schutzzäune stehen dort, wo es für die Amphibien gefährlich ist, aufgrund des Verkehrs über die Straße zu kommen“, sagt Dirk Weis, Beauftragter für Arten- und Biotopschutz im Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft. Insgesamt ziehen sich an kritischen Abschnitten 15 Kilometer mobile Zäune durch die Teichlausitz. Das Schutzprojekt begann vor 20 Jahren, 1997, an Birgitt Kieschnicks heutigem Einsatzort. Unterstützt werden die Mitglieder der Naturwacht bei der Rettung der Warzentiere mit Frühlingsgefühlen durch ehrenamtliche Helfer der Naturschutzstation Neschwitz und den Förderverein für die Natur der Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft.

Aus dem Eimer in der Hand der Rangerin kommt eher ein Fiepen denn das zu erwartende Quaken. Birgitt Kieschnick stellt ihn wieder neben einen in der Erde eingelassenen Behälter. Auch dort tummeln sich Erdkröten. Der Rücken der bis zu elf Zentimeter großen Amphibien ist bräunlich gefärbt und mit einer Vielzahl von Warzen übersät. Sie ist eine der häufigsten Arten Europas. Die gelernte Rinderzüchterin und Agraringenieurin greift nach einem Exemplar. Vorsichtig säubert sie ihm die Finger. „Männer sind gut an ihren schwärzlichen Schwielen am Daumen und den nächsten beiden Fingern gut zu erkennen. Das sind wieder drei Kerle“, sagt sie und verlegt das Trio in den Transporteimer.

Sie mögen es mild und nass

Die langen Zweige der Him- und Brombeeren machen das Laufen schwer. Etwa zwei Meter entfernt von der Straße verläuft der mobile Schutzzaun. Professionelle Firmen haben sie in diesem Jahr Anfang März aufgebaut. „Am besten ist für Amphibien, wenn die Winter streng sind und das Frühjahr schnell kommt“, sagt Dirk Weis. Die meisten Arten verbringen die warmen Jahreszeiten in der Nähe von Gewässern, im Winter vergraben sie sich gern im Waldboden und leben dort von den angefressenen Reserven. Die Körperfunktionen der wechselwarmen Tiere gehen, je kälter es wird, gegen null. Aber wechselnde Plus- und Minusgrade bringen sie richtig in Stress.

An diesem Morgen zeigt das Thermometer neun Grad. In der Nacht hat es geregnet, am Tag vorher zeigte sich die Sonne bereits von ihrer frühlingshaften Seite. „Amphibien mögen es mild und nass, dann kann ihre Wanderung beginnen. Die meisten sind nachts und in der Morgendämmerung unterwegs“, sagt der Artenschutzbeauftragte. Der Zaun bremst abrupt ihren Weg zum Laichgewässer, auf der Suche nach einem Weiterkommen plumpsen die meisten in den Eimer. Um für sie den Stress so gering wie möglich zu halten, beginnt für die Retter die Schicht schon sehr früh. Wieder kniet sich Birgitt Kieschnick an einem vergrabenen Eimer nieder.

Im Klammergriff auf der Dame

Aus dem Zuber fischt die Mitarbeiterin der Biosphärenverwaltung ein sogenanntes „Actionpack“. Ein kleiner Erdkröterich hockt im Klammergriff auf dem Rücken einer großen Erdkrötendame. Die Männchen lassen sich nämlich gern huckepack zum Gewässer tragen. Neben diesem verkuppelten Krötenpaar hockt ganz unscheinbar am Eimerboden ein Winzling. Gerade einmal streichholzgroß hat sich ein Teichmolch dazu gesellt. „Er gehört zu den kleinsten Molch-Arten, die es hier gibt. Nur der Fadenmolch ist noch kleiner. Bei den kleinen Beinen kann man sich vorstellen, wie lange er über die gefährliche Straße braucht“, sagt die Rangerin.

Auch die filigranen Kammmolche, der größte der Art, und der eine Bergmolch an diesem Morgen wirken eher winzig gegenüber den gut gebauten Kröten. – Zwölf Amphibienarten gibt es im Oberlausitzer Heide- und Teichland. „Den größten Anteil stellen die Knoblauchkröten und Moorfrösche, am seltensten sind dagegen Rotbauchunken und Kammmolche“, sagt Dirk Weis. Zwei Drittel der wanderfreudigen Tiere, schätzt er, können so vor dem Tod im Straßenverkehr geschützt werden. Amphibien gehören weltweit zu den am stärksten gefährdeten Tiergruppen. „Und ohne sie gebe es noch mehr solcher Plagegeister wie Mücken und Schnecken“, so der Artenschutzbeauftragte. In diesem Jahr wurden bereits 602 Erdkröten, 22 Knoblauchkröten, 17 Grasfrösche, 107 Moorfrösche, ein Grünfrosch, 115 Teichmolche, 62 Kammmolche und 12 Bergmolche über die Straße geholfen.

Birgitt Kieschnick muss den Eimer leeren. Sie steigt über den Zaun. Auf der anderen Seite plätschert ein Teichzulauf. Ganz vorsichtig kippt sie ihre kostbare Fracht in das strömende Wasser mit den Worten: „Bisschen Service ist Ok, aber Sport muss auch sein“. Manche Tiere lassen sich sofort forttreiben, andere genießen erst einmal das unverhoffte Bad und strecken ihre Nasen aus dem Nass. Die Rangerin beobachtet das Treiben der Minis. Dann kehrt sie auf die andere Straßenseite zurück. Denn noch warten Kröten, Frösche, Molche und Unken auf ihre Lebensretterin.

Amphibien-Wanderung mit Ranger Mario Trampenau am 2. April ab 14 Uhr. Treffpunkt am Haus der Tausend Teiche, Warthaer Dorfstr. 29, 02694 Malschwitz OT Wartha. Bitte festes Schuhwerk mitbringen.