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Union jetzt Nr. 1 im Osten - wie reagiert Dynamo?

Der Aufstieg bringt den Berlinern einen enormen Mitgliederzuwachs. Und was sagt Dynamo zu dem Verlust der Spitzenposition, Herr Präsident?

Von Sven Geisler
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Beide Vereine haben zahlreiche Fans, aber mit dem Aufstieg in die Bundesliga hat Union nun Dynamo bei der Mitgliederzahl wieder überholt. Das muss nicht so bleiben.
Beide Vereine haben zahlreiche Fans, aber mit dem Aufstieg in die Bundesliga hat Union nun Dynamo bei der Mitgliederzahl wieder überholt. Das muss nicht so bleiben. © Robert Michael, dpa/Swen Pförtner - Montage: SZ-Bi

Das hatte es vorher nie gegeben, man hätte es wohl kaum für möglich gehalten. Aber am 19. Mai, dem letzten Spieltag der vorigen Fußball-Saison, passiert es. Unerwartet. Spontan. Durch das Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion schallt: „Eisern Union!“ Die Rufe kommen aus dem K-Block, also ausgerechnet von dort, wo die Rivalität der Ost-Vereine geradezu zelebriert wird, der FSV Zwickau ausgenommen. Es ist ein emotionaler Ausbruch, ein unbestimmtes Gefühl der Zusammengehörigkeit in einer besonderen sportlichen Konstellation.

Dynamo gewinnt gegen Paderborn mit 3:1, Union Berlin wäre bei einem eigenen Sieg direkt in die Bundesliga aufgestiegen. Doch die Eisernen spielen beim VfL Bochum nur 2:2, müssen in die Relegation, in der sie sich gegen den VfB Stuttgart durchsetzen. Ein Traditionsverein aus dem Osten hat es wieder nach oben geschafft, stellvertretend sozusagen. Es schwingt so etwas wie Trotz mit in den Eisern-Union-Rufen.

„Das muss man sich mal vorstellen!“, sagt Holger Scholze. Dynamos Präsident ist auch Wochen später noch ergriffen von dem Moment. Er hat seinem Berliner Kollegen Dirk Zingler nur wenige Sekunden nach dem Abpfiff gratuliert und nimmt es sportlich, dass die Sportgemeinschaft nicht mehr die Nummer eins im Osten ist. Sportlich sowieso nicht, wobei Projekte wie RB Leipzig oder Hertha BSC im Westen Berlins in der Wahrnehmung sowieso nicht gelten. Doch Union spielt jetzt nicht nur eine Liga höher, sondern hat mit dem Aufstieg auch mehr als 5 000 Mitglieder hinzugewonnen. 27 785 sind es nun insgesamt, Dynamo zählt derzeit 23 152.

„Das ist uns nicht verborgen geblieben, gleichwohl freuen wir uns für Union, nach zehn Jahren kontinuierlicher, solider Arbeit das Ziel erreicht zu haben“, sagt Scholze. Ungewöhnlich sei der Anstieg nach dem Aufstieg keinesfalls. Dynamo hatte die Spitze 2011 erst von Union übernommen, als nach der Rückkehr in die zweite Liga mehr als 4 000 Anträge eingegangen waren. Und sogar der Abstieg 2014 habe einen Mitgliederschub ausgelöst, weil sich viele Fans nun erst recht stärker zum Verein bekennen wollten. „Sie möchten auch Verantwortung übernehmen und ihr Recht auf Mitbestimmung wahrnehmen“, meint der Präsident.

Extra Angebote für die Mitglieder

Scholze räumt ein, dass mancher das Vorkaufsrecht für Tickets zu den Spielen als ein wichtiges Beitrittsargument sieht. „Das ist sicher auch ein Grund und völlig legitim.“ Zudem bei Union nicht anders. Dort werden zudem die 11 500 Jahreskarten für die „Alte Försterei“ ausschließlich an Mitglieder verkauft, bei Dynamo seien von den 17 000 Jahreskarteninhabern nur etwa ein Drittel Mitglied des Vereins.

Viele würden jedoch die anderen Vorzüge einer Mitgliedschaft nutzen wollen. Es gebe zahlreiche exklusive Veranstaltungen wie unlängst ein E-Darts-Turnier im Vip-Bereich des Stadions. Für diese Saison seien vier Mitglieder-Talkrunden geplant, die erste rund um das neue Trainingszentrum. Und vor ausgewählten Spielen lädt der Verein auswärts zum Stammtisch ein, Stuttgart, Hannover und Nürnberg sind vorgesehen. „Der Charakter dieser Runden ist einzigartig“, sagt Scholze, „weil wir bewusst in kleine Vereinsheime von Amateur-Mannschaften gehen.“ Vertreter der Vereinsführung geben Auskunft und nehmen gleichzeitig Vorschläge und Ideen auf. „Dieser Austausch ist für uns von besonderem Wert, weil wir persönlich erfahren, was die Mitglieder bewegt.“

Der wichtigste Grund ist aus der Sicht des Präsidenten aber, die Geschicke des Vereins aktiv mitbestimmen zu können. Bei der Mitgliederversammlung im Herbst wird beispielsweise ein neuer Aufsichtsrat gewählt. Mitglieder können sich nach den Regeln der Satzung für das verantwortungsvolle Ehrenamt bewerben. „Es würde mich freuen, wenn wir viele gute Kandidaten aufstellen könnten, damit die Mitglieder eine echte Wahl haben.“

Die Mitgliederzahl ist eine Sache, das sportliche Ziel eine andere. Union hat es vorgemacht, als Vorbild für Dynamo sieht Scholze den Klub mit dem Arbeiter-Image jedoch nur bedingt. „Es sind Traditionsvereine mit einer lebendigen Fankultur, in einigen Bereichen zweifellos vergleichbar wie in der Leidenschaft der Anhänger.“ Wobei, das betont er, für echte Dynamo-Fans im Herzen Schwarz-Gelb immer die Nummer eins ist, ganz unabhängig von aktuellen Zahlen.

Scholze unterstützt die Idee eines eigenen „Dynamo-Weges“, denn trotz der seriösen Entwicklung seien die Berliner gewisse Risiken eingegangen, „die wir so nicht eingehen wollen“. Scholze bleibt vage, es liegt aber auf der Hand, was er meint. Union hat 2016 bei einem Stuttgarter Finanzunternehmen laut Kicker ein Darlehen von 6,3 Millionen Euro aufgenommen, um Neuzugänge verpflichten zu können. Zudem stehen die Berliner nach wie vor beim einstigen Vermarkter Kinowelt mit rund 8,7 Millionen Euro in der Kreide, diese Summe hat Michael Kölmel mit einem dauerhaften Rangrücktritt versehen, sodass sie die Lizenz nicht bedroht.

Union verdient mehr Geld

Dynamo konnte das Kölmel-Darlehen aus den Jahren 1999 bis 2001 dagegen vollständig zurückzahlen. Dafür wurden – inklusive des Rückkaufs der Fernsehrechte – 7,7 Millionen Euro aufgebracht. Seit 2016 ist der Verein demzufolge schuldenfrei. Die Ende Juli geschlossene Exklusiv-Partnerschaft mit Volkswagen sei auch „ein weiterer Beleg für das gewachsene Vertrauen überregionaler Unternehmen, dass bei Dynamo vernünftig und besonnen gewirtschaftet wird“, meint Präsident Scholze.

Trotzdem können die Dresdner finanziell mit Union nicht mithalten. Vorige Saison betrug der Etat der Eisernen rund 47, der von Dynamo gut 30 Millionen Euro. Das hat wiederum etwas mit der Kontinuität zu tun, denn die zehn Jahre in der zweiten Liga zahlen sich für die Berliner aus: Sie bekommen anteilmäßig mehr Fernsehgeld. „Wir setzen uns dafür ein, bestimmte Regularien fairer zu gestalten“, erklärt Scholze, „aber zunächst müssen wir die aktuellen Gegebenheiten annehmen, uns etablieren und Stück für Stück weiterentwickeln.“

Seit Trainer Uwe Neuhaus die Berliner 2009 in die zweite Liga geführt hatte, waren sie mehrmals im Dunstkreis der Aufstiegsplätze, 2017 als Vierter schon mal nah dran. Nun hat es geklappt, und wenn Dynamo davon tatsächlich etwas lernen kann, dann ist es, Geduld zu haben. „Es geht nur über den Faktor Zeit und zielstrebige Arbeit“, sagt Scholze. Das gilt nicht nur für die Mannschaft, sondern den gesamten Verein, was sich dann auch in der Mitgliederzahl widerspiegelt.

Vor zehn Jahren wurde das 5 000. Mitglied bei Dynamo aufgenommen, jetzt sind es fast fünfmal so viele. „Das zeigt eindrucksvoll, wie gut sich der Verein entwickelt hat. Inzwischen ist er auf allen Ebenen professioneller aufgestellt“, meint Scholze. Eine Kampfansage an Union verkneift sich der 48-Jährige, aber kampflos hinnehmen werden der Verein und seine Fans es wohl kaum, nicht mehr die Nummer eins im Osten zu sein.