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Verwirrt nach der Narkose

Etwa jeder zweite Patient über 70 hat nach dem Aufwachen Probleme. Anästhesisten beraten zur Zeit in Leipzig darüber.

Von Stephanie Wesely
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Hauptsache nichts spüren. Doch Probleme können auch nach dem Aufwachen aufkommen.
Hauptsache nichts spüren. Doch Probleme können auch nach dem Aufwachen aufkommen. © 123rf /Dmytro Zinkevych

Unfallfolgen wie Knochenbrüche nach Stürzen werden heute möglichst schnell chirurgisch versorgt. Ältere Patienten sollen so mobil bleiben und nicht pflegebedürftig werden. Doch oft sind es gerade Operationen und die damit verbundenen Narkosen, die für sie zu Problemen wie geistige Verwirrung bis hin zu Pflegebedürftigkeit führen.

Seit Donnerstag beraten unter dem Motto „Klug entscheiden“ etwa 3.500 Anästhesisten und Intensivmediziner auf dem Deutschen Anästhesiekongress in Leipzig, wie solche Operationsfolgen durch gute Narkoseführung und Prävention zu vermeiden sind. Von den derzeit rund 19 Millionen operativen Eingriffen pro Jahr entfällt mehr als die Hälfte auf über 60-Jährige. „Die Patientenzahl in dieser Altersgruppe hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt“, sagt Professorin Thea Koch, Direktorin der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin am Uniklinikum Dresden.

Eine Analyse von 15 Studien mit mehr als 5.000 Patienten im Ärzteblatt kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen 10 und 54 Prozent der älteren Patienten nach Operationen an geistiger Verwirrung – dem sogenannten postoperativen kognitiven Defizit leiden. Das ist eine Art Delirium. Meist ist es vorübergehend, doch in einigen Fällen bleibt es selbst ein Jahr nach der OP noch bestehen. Ein Delir kann direkt nach dem Erwachen aus der Narkose, innerhalb der ersten Stunden nach der Operation oder erst einige Tage später beginnen. Typische Symptome sind Desorientiertheit, Verwirrung, körperliche Unruhe, Wahnvorstellungen oder Halluzinationen. „Manche Patienten sind auch sehr still, teilnahmslos und in sich gekehrt. Sie fallen nicht auf und werden deshalb oft nicht erkannt“, sagt Thea Koch. Es gibt das überaktive und das stille Delir.

Narkosemedikamente sind es nicht allein

Die Anzeichen treten aber meist nicht permanent auf, sie kommen und gehen, was typisch ist für den postoperativen Nebel im Kopf. Ärzte, die einen Patienten nur kurze Zeit während der Visite sehen, werden das Delir nicht gleich erkennen. Das ist tragisch, denn die Betroffenen bleiben dann unbehandelt.

Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt. Doch die Narkosemedikamente sind es nicht allein. „Viele Patienten haben bereits Vorerkrankungen, zum Beispiel Bluthochdruck, Herzprobleme, oder sie sind schon kognitiv beeinträchtigt“, sagt Dr. Christian Hermanns, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Auch der Krankenhausalltag selbst verwirre die alten Menschen. Hinzu kommt ihr verlangsamter Stoffwechsel, der den Abbau der Medikamente verzögert.

„Auch die Art der Narkose hat Auswirkungen auf das Delir-Risiko“, sagt die Dresdner Spezialistin. So seien Regionalanästhesien, also das Betäuben bestimmter Körperregionen, besser verträglich als Vollnarkosen, bei denen das Medikament direkt in den Blutkreislauf gegeben wird. „Wo das möglich ist, wird das gemacht.“ Die Narkoseführung sei heute monitorgesteuert und werde individuell auf den Patienten abgestimmt, sodass zu tiefe Sedierungen mit noch stärkeren Nebenwirkungen vermieden werden können.

Um einem Delir vorzubeugen, müssten Vorerkrankungen gut behandelt, das heißt Blutdruck, Blutzucker und Herzrhythmus gut eingestellt werden. Eine häufig bei alten Menschen vorkommende Blutarmut ließe sich durch die Gabe von Eisenpräparaten beheben. Wichtig sei auch, dass die Patienten gut ernährt und ausreichend mit Flüssigkeit versorgt werden, bevor sie zur Operation kommen. Hier müssten die Haus- und Fachärzte mitwirken, die den Patienten einweisen.

Alter spricht nicht gegen OP

Mit speziellen Testverfahren wird nach der Operation versucht, betroffene Patienten zu erkennen. „Wir stellen Orientierungsfragen oder lassen die Uhr ablesen“, sagt Thea Koch. Wer bei dem Test nicht gut abschneide, bleibe unter besonderer Überwachung. „Diese Patienten sollen möglichst von der gleichen Pflegeperson betreut werden, die ihnen immer wieder erklärt, wo sie sich befinden, warum sie im Krankenhaus sind und was als nächstes mit ihnen passiert.“ Doch Zeitdruck und Personalmangel erlaubten das heute leider nicht immer.

Angst und Orientierungslosigkeit lassen sich aber auch schon mit ganz einfachen Mitteln vermeiden. Zum Beispiel, indem man den Patienten Brillen schnell wieder auf- und Hörgeräte einsetzt. Angehörige spielen auch eine wichtige Rolle. „Sie sollen für angenehme Gedanken sorgen, indem sie vielleicht Bilder von Kindern oder Enkeln, vom Garten oder Haustieren mitbringen“, sagt die Professorin.

Herausgefunden wurde zudem, dass die Einhaltung des Tag-Nacht-Rhythmus‘ das hormonelle System im Gleichgewicht hält und damit dem Delir vorbeugt. Das gelingt unter anderem durch eine Steuerung der Beleuchtung.

Alte Menschen nehmen meist viele Medikamente. Dabei stehen Schlafmittel, bestimmte Antibiotika, Antidepressiva oder Parkinsonmittel im Verdacht, ein Abrutschen in die Verwirrtheit zu fördern. Hier gelte es zu reduzieren.

Auch die Patienten selbst können etwas tun, wie Thea Koch sagt. Vor planbaren Operationen wie dem Gelenkersatz gibt es in vielen Krankenhäusern Informationsveranstaltungen. „Dort können sie die Abläufe auf Station kennenlernen und Fragen stellen. Dann ist alles nicht mehr so fremd und Ängste werden abgebaut.“ Das Alter sei aus ihrer Sicht kein Grund, eine Operation nicht vorzunehmen.