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Vögel singen nie in Höhlen

Es gibt einen einfachen Weg, den Winterblues, Stress oder Traurigkeit zu überwinden. Eine Kolumne.

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Kolumnistin Beate Hoffmann
Kolumnistin Beate Hoffmann © SZ-Montage

Von Beate Hoffmann

Auf meinem Schreibtisch liegt die Traueranzeige von Freunden. Mit gerade mal zwanzig Jahren ist deren Kind tödlich verunglückt. Was soll man in dieser Situation sagen? Ich finde nicht die passenden Worte. Das Blatt bleibt leer.

Ich weiß nicht, ob und wenn ja, um wen oder um was Sie gerade trauern. Vielleicht berührt Sie der Schmerz von Freunden oder Verwandten. Vielleicht ist das auch überhaupt nicht Ihr Thema. Doch viele von uns fühlen jetzt in der dunklen Jahreszeit eine Melancholie, einen Weltschmerz. Rosen tragen eher Dornen als Blüten. Tiere haben sich in ihre Höhlen zurückgezogen, und viele Vögel sind nach Süden gezogen. Manchmal würde man am liebsten gleich mitziehen.

Doch so weit weg müssen wir gar nicht, um uns besser zu fühlen. Es reicht, jetzt bewusster als sonst in der Mittagspause nach draußen zu gehen. Wer dazu einfach jede Möglichkeit nutzt, der wird nicht nur gesünder, sondern ist auch besser gestimmt. Darüber hinaus profitiert der Biorhythmus davon. Wir können nach einem anstrengenden Tag besser abschalten und auch deutlich leichter einschlafen, wenn wir zuvor an der frischen Luft waren. Trübes Wetter bietet keine Ausrede, denn Sie wissen ja, draußen stimuliert die zehnfache Intensität unsere Lichtrezeptoren. Und selbst wenn Sie einwenden, man könne ja Tageslicht-Lampen im Zimmer nutzen, dann fehlen die vielfältigen Sinneseindrücke, die wir in der Natur gewinnen.

Ich lebe gerade in einer Fernbeziehung. Das ist manchmal deprimierend. „Ich hasse die Liebe auf Distanz“, heißt es in einem aktuellen Popsong. Stimmt! Und deshalb gilt für mich das „einfach Raus-Prinzip“: Ein Spaziergang durch die Wiesen an der Elbe, die Weinberge, oder durch den Wald ist der beste Seelentröster.

Die Bäume haben zwar keine Blätter mehr, aber gerade das öffnet ja den Blick nach oben. Und der Himmel ist überall derselbe. Wir sehen Wolken ziehen und schauen die gleiche Sonne und den gleichen Mond wie unsere Liebsten, wo auch immer sie auf der Welt sind. Allein dieser Gedanke ist tröstlich. Ich habe es bei Coaching-Kunden erlebt, dass Menschen nach einer langen Krankheit oder in Zeiten einer Beziehungskrise besonders sensibel waren für die Fingerzeige der Natur.

Der tägliche Spaziergang war das beste Ritual, um den Ausstieg zu finden aus dem gedanklichen Strudel. Wer die winzigen Knospen an den kahlen Ästen bemerkt, der findet vielleicht etwas Trost und Ruhe bei dem Gedanken, dass das Leben weitergeht, wie viel sich auch verändert. Es gibt viel mehr als das, was wir wahrnehmen. Wachstum vollzieht sich häufig unbemerkt, und es beginnt tief in uns oder tief unter der Erde. Das kann Menschen helfen, anzunehmen, dass es Zeiten des Abschieds und des Rückzugs im Leben gibt. Manch einer entdeckt dann sogar, dass aus diesen stillen und tiefen Zeiten eine ganz außergewöhnliche Kraft entsteht.

An meiner Pinnwand steht: „Vögel singen nie in Höhlen.“ Mir macht das Mut, den Winterblues, aber auch den Stress, die Traurigkeit oder die Unzufriedenheit nicht in mir zu vergraben, sondern sie draußen abzuladen. Und nach einem langen Spaziergang an der Elbe habe ich dann den Mut und die passenden Worte gefunden, um meinen Freunden zu schreiben.

Am 12. März 2019, 18.30 Uhr, können Sie Beate Hofmann live beim Leserforum erleben: „Einfach raus! So multiplizieren Sie Lebensglück & Leistungskraft“ heißt die Veranstaltung mit ihr im Haus der Presse Dresden, Ostra-Allee 20. Karten für 13 Euro, mit SZ-Card 10 Euro in allen SZ-Treffpunkten.