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Vom Ende der LPG

Viel Vieh, aber kein eigener Boden, so stand die LPG Bundschuh 1990 da. Der Tierbestand und die Zahl der Mitarbeiter wurden drastisch reduziert, um den Standort zu erhalten.

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Herbert Möbius (links) machte die LPG Bundschuh für die Marktwirtschaft fit. Ralf Bergmann hat ihn 2004 abgelöst und ist seitdem Vorstand der Agrarland eG Lüttewitz.
Herbert Möbius (links) machte die LPG Bundschuh für die Marktwirtschaft fit. Ralf Bergmann hat ihn 2004 abgelöst und ist seitdem Vorstand der Agrarland eG Lüttewitz. © Lars Halbauer

Von Dagmer Doms-Berger

Herbert Möbius, heute 78, war damals im Vorstand der LPG Tierproduktion „Bundschuh“ Lüttewitz-Gleisberg und stand vor der Aufgabe, den Betrieb auf marktwirtschaftlichen Kurs zu bringen. Nach dem Mauerfall stellte sich die Frage, wie es in der Landwirtschaft weitergeht.

Das 1990 erlassene Landwirtschaftsanpassungsgesetz war die Grundlage, um die bestehenden landwirtschaftlichen Betriebe für die Marktwirtschaft fitzumachen. „Wir waren uns ziemlich schnell einig, dass wir als Genossenschaft weitermachen wollen“, sagt Möbius. Er ist sich aber sicher, dass die Politik es lieber gesehen hätte, dass sich viel mehr kleine Bauernhöfe gründeten. Mit 1.240 Kühen, 800 Mastrindern, 1.000 Kälbern, 1.200 Schafen und 1.800 Schweinen sowie 17 Hektar Ackerland, acht Einfamilienhäusern, drei Wohnblöcken und weiteren acht Wohnungen sowie 195 Mitarbeitern ging die LPG an den Neustart.

Ostprodukte waren mit der Einführung der D-Mark im Juli 1990 nicht mehr gefragt, Handelsbeziehungen waren weggebrochen. Die Landwirtschaft war es außerdem gewohnt, eine privilegierte Stellung zu haben. Die Preise waren durch die Subventionierung der Nahrungsmittel stabil, betriebswirtschaftliches Denken nicht gefordert. Auf Leistung wurde nicht geguckt. Wichtig war nur die Anzahl der Tiere, die im Stall standen. „Die Größenordnung musste stimmen“, so Möbius. „Egal, ob die Tiere etwas einbrachten. Wir mussten uns nicht überlegen, wann wir die Produkte auf den Markt bringen.“ Für den Liter Milch gab es einen festen Preis von 1,75 DDR-Mark. Für einen Bullen wurden 5.500 bis 6.000 DDR-Mark gezahlt.

Das Schwierigste in der Umwandlungsphase war die Vermögensauseinandersetzung. Sie bot Stoff für reichlich Konflikte. Die Werte von Boden und Maschinen, Viehbestand, Gebäuden und volkseigenen Gehöften mussten ermittelt werden, um den ausscheidenden Mitgliedern ihren Anteil auszahlen zu können. 

Von systematischen Bilanzfälschungen war damals mancherorts zu hören, indem der Wert des Inventars klein gerechnet wurde und die LPG- Mitglieder nur einen Bruchteil ausbezahlt bekamen. Herbert Möbius winkt ab. „Die Vermögensauseinandersetzung ist bei uns sauber gelaufen. Da hat es keine Benachteiligungen gegeben. Das kann ich mit ruhigem Gewissen sagen. Ich konnte danach noch durch die Dörfer fahren und wurde von den Leuten gegrüßt“, sagt er.

Mit der Auszahlung wurde ersichtlich, was geblieben war. Die finanzielle Situation der neuen Genossenschaft war miserabel. Die Altkredite aus der LPG, die an die neue Genossenschaft übergingen, belastete das Budget ebenfalls. Die 1991 neu gegründete Genossenschaft Agrarland eG Lüttewitz musste vor allem an der Effizienzschraube drehen, um wettbewerbsfähig zu werden. „Wir haben schnell gemerkt, dass allein mit der Tierproduktion kein Blumentopf zu gewinnen ist.“ 

Der Ackerbau als ergänzendes Standbein, das den natürlichen Kreislauf schließt, musste also vorbereitet werden. Das Problem bestand darin, dass die Genossenschaft viele Tiere im Stall, aber keinen eigenen Boden besaß. Die Flächen wurden daher von Mitgliedern, Landeigentümern und der Treuhand gepachtet. Der Viehbestand wurde drastisch reduziert. Die Schafzüchtung lohnte sich nicht mehr, also wurden die 1.220 Schafe verkauft. „Wir bekamen ganze 14 D-Mark für ein Schaf samt Wolle“, erinnert sich Möbius. „Es war ein Wahnsinn.“

Wenig später gaben sie auch die Schweineproduktion wegen Unrentabilität auf. Der Viehbestand beschränkte sich nur auf die Rinder, aber auch die mussten reduziert werden. Der Mastrinderbestand wurde völlig liquidiert, die Aufzucht verringert. 1995 umfasste die Zahl der Rinder noch rund 1.200 Tiere. Damit sich die Produktion effizienter gestaltete, konzentrierte sich die Arbeit nicht mehr auf 14, sondern nur auf die beiden Ställe in Gertitzsch und Leschen. Die Milchproduktion fand später nur noch in Leschen statt, wo 2001 ein neuer Stall gebaut wurde. Zum Vergleich: Die heute noch vorhandenen 440 Kühe produzieren so viel Milch wie 1989 die 1.240 Kühe. Eine Kuh liefert heute 10.000 Liter im Jahr. Mit der Umwandlung der LPG wandelte sich auch ihre Funktion als Hauptarbeitgeber auf dem Land. Von den 195 Mitarbeitern mussten in den ersten Jahren viele gehen, heute sind noch 22 beschäftigt.

Als Ralf Bergmann 2004 den Betrieb als frisch gebackener Diplom-Landwirt übernahm, war die Agrarland eine Genossenschaft, die auf soliden Füßen steht. „Es war ein Betrieb, in dem alles Wichtige geklärt war und vor allem die Vermögensauseinandersetzungen abgeschlossen waren“, so Bergmann. Das sei zu dem Zeitpunkt bei weitem noch nicht in allen Unternehmen so gewesen. 

Die geordneten finanziellen Verhältnisse waren eine wichtige Voraussetzung für Investitionen. Die Folgejahre waren turbulent. Es waren Krisenjahre mit niedrigen Preisen für Getreide und Milch, durchschnittliche Ernten und in der Folge schlechte Bilanzen für die Genossenschaft. „Damals stand tatsächlich die Frage, wie es weitergehen kann“, sagt Bergmann. 

Eine Idee, die das lösen sollte, war die Biogasanlage, die aus nachwachsenden Rohstoffen umweltschonend Energie produziert. Im August 2007 ging die Biogasanlage in Leschen in Betrieb. „Eine gute Entscheidung, bis heute“, konstatieren beide. Die Anlage ist neben der Acker- und Viehwirtschaft das dritte Standbein der Genossenschaft und passt ins Betriebskonzept mit seiner Kreislaufwirtschaft. Die von der Anlage produzierte Energie wird aktuell ins Netz der Stadtwerke Döbeln eingespeist. Die anfallende Wärme wird im Verwaltungsgebäude, in der Werkstatt, im Melk- und Abkalbebereich sowie in den betriebseigenen Wohnungen in Leschen genutzt.

In den letzten Jahren steht die Landwirtschaft zunehmend in der Kritik, konkret beanstandet werden von vielen Verbrauchern die Massentierhaltung, der Einsatz von Pestiziden und die Überdüngung der Felder. Für Ralf Bergmann ist das nicht zu verstehen. „Wir betreiben eine gute Landwirtschaft, arbeiten und denken als Gemischtbetrieb schon immer in Kreisläufen – naturnah und nachhaltig. Er sieht die Landwirtschaft überfrachtet mit Maßnahmen, etwa in der Tierhaltung. „Im Stall stehen 440 Milchkühe und rund 400 Tiere zur Nachzucht, die artgerecht gehalten werden. Sie fühlen sich wohl, was die Leistung bestätigt.“

Die meisten Menschen haben nach Bergmanns Ansicht ein falsches Bild von der Landwirtschaft. Die rasante Entwicklung in den letzten 30 Jahren sei an vielen vorbeigegangen. Ob Technisierung, Automatisierung oder Züchtung. Nur noch wenige seien in der Landwirtschaft beschäftigt und haben daher Einblick. „Lebensmittel gibt es Überfluss und wir leisten uns aktuell einen Rückschritt in der Ertragsentwicklung auf dem Feld und bei der Leistungssteigerung im Stall, um das Idealbild der Landwirtschaft von einigen wenigen zu erfüllen“, so Bergmann. Seiner Meinung nach sind dies Luxusprobleme, die auch die sogenannte CO2-Bilanz verschlechtern.

Landwirtschaftliche Betriebe seien auch Unternehmen. Sie müssten kostendeckend produzieren, um am Markt zu bleiben. Bergmann beklagt weiterhin, dass landwirtschaftliche Unternehmen kaum noch etwas selbst entscheiden könnten, weil die Agrarpolitik in Berlin und Brüssel gemacht werde. Er wünschte sich mehr unternehmerische Freiheit, um Maßnahmen gezielt für sein Unternehmen anpacken zu können. 

Die Agrarland Lüttewitz bewirtschaftet heute 1.300 Hektar Ackerfläche, wovon rund 50 Hektar Grünland sind. Getreide nimmt über die Hälfte der Ackerfläche ein. Dazu kommen Mais und sonstiges Ackerfutter sowie Winterraps und Zuckerrüben. Seine Bilanz 2019: „Die Agrarland steht auf sicherem Fundament.“