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Was von der DDR übrig blieb

Der größte Görlitzer Garagenverein hat über 700 Mitglieder. Sie befolgen noch immer strenge Regeln.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Wer von Marktkauf weiter in Richtung Gärtnerei Gahmann und Fliesenläden fährt, nimmt sie meist gar nicht wahr. Dabei stehen sie rechter Hand gleich hinter dem Markt von Multi-Möbel auf einer Anhöhe: Exakt 750 Garagen, fein säuerlich angeordnet in 40 parallelen Reihen. „Bis auf acht Stück alles Einheitsbauten vom Typ Dresden“, sagt Thomas Sander. Der 50-Jährige muss es wissen. Als die Baubrigaden mehrerer Görlitzer Großbetriebe in den späten 1980er Jahren fast gleichzeitig anrückten, um mit eigenen Materialien die Garagen zu bauen, die Regenentwässerung anzulegen und sogar in jeder seinen eigenen Gullydeckel einzubauen, da war Thomas Sander mittendrin: Als Bauleiter beim Kondensatorenwerk hat er den Bau mit koordiniert. Garagen gab es hinterher auf Zuteilung, allerdings nicht für Sander: Er lebte damals in der Innenstadt.

Solche Tafeln hängen noch heute an vielen Garagen. Sie zeigen, welcher volkseigene Betrieb einst welche Garage gebaut hat. Die darunter genannten Garagennummern gelten noch immer.
Solche Tafeln hängen noch heute an vielen Garagen. Sie zeigen, welcher volkseigene Betrieb einst welche Garage gebaut hat. Die darunter genannten Garagennummern gelten noch immer. © Pawel Sosnowski/80studio.net

Als er 1992 nach Königshufen zog, übernahm er dann aber doch eine Kondensatorenwerk-Garage. Schon drei Jahre später verließ er den Stadtteil wieder, lebt heute wieder in der Innenstadt. Die Garage aber hat er noch immer. Inzwischen sogar noch eine zweite. Und seit 1999 arbeitet er als stellvertretender Vorsitzender und Schatzmeister im Verein Garagengemeinschaft Königshufen I mit. Der ist nach Sanders Wissen der größte Görlitzer Verein dieser Art. Eine Garage nutzt der Verein selbst als Lager, die anderen 749 Betonbauten gehören 714 Mitgliedern. Das heißt also, ein paar wenige haben wie Sander gleich zwei, drei oder sogar vier Garagen. Leerstand hingegen ist auch 25 Jahre nach der Wende Fehlanzeige in dem Komplex.

Doch wer braucht heutzutage noch 750 Garagen, noch dazu abseits des eigentlichen Wohngebietes? „Größtenteils ältere Leute, aber durchaus auch einige Jüngere“, sagt Sander. Viele leben tatsächlich in Königshufen. Und sie stellen noch genau wie Ende der 1980er Jahre täglich ihr Auto in den Garagen ab und laufen anschließend von hier nach Hause oder nehmen das bereitstehende Fahrrad. In ein paar Garagen stehen auch noch Trabis. Ob noch andere Oldtimer hier ihren Unterstand haben, kann der Vorstand hingegen nicht sagen: „Das muss uns ja niemand melden.“

Allerdings müssen die Besitzer bis heute strenge Regeln befolgen. Das heißt vor allem, dass die Garagen nur zum Abstellen genutzt werden dürfen. „Bastlerwerkstätten hingegen sind hier verboten“, stellt er klar. Auch Grillabende und das Anschließen von Kühlschränken sind absolut tabu. „Einmal haben wir eine Garage räumen lassen, die zu einem Wohnzimmer umfunktioniert war“, erinnert er sich. Die Unerbittlichkeit hat vor allem einen Grund: Es gibt nur einen Stromzähler für alle 750 Garagen. Jeder zahlt den gleichen Anteil. Das soll niemand ausnutzen. Gerade Kühlschränke sind schließlich Stromfresser.

Was sich seit der Wende hingegen geändert hat, sind die Garagenpreise. Anfang der 1990er Jahre musste Sander noch 4 000 D-Mark für eine Garage hinblättern. Heute werden sie, je nach Zustand und Ausstattung, für 200 bis 1 000 Euro verkauft. „Wir haben etwa zehn bis 40 Eigentümerwechsel im Jahr“, sagt Sander. Das heißt aber nicht, dass allmählich alle Garagen verkauft werden: Bei vielen war das noch nie der Fall, bei manchen schon sehr oft.

Die Käufer müssen zudem in den Garagenverein eintreten und einen Beitrag von derzeit 119 Euro im Jahr berappen. Ursache: Der Grund und Boden gehört der Stadt. Der Verein fungiert quasi als Mittler zwischen den Einzelbesitzern und der Kommune. Er sammelt die Pacht ein und überweist sie gebündelt an die Stadt, er kümmert sich um Verwaltung, Versicherung, Grünflächenpflege, Winterdienst und sogar um die Bestreifung durch Sicherheitspersonal. Garagen wurden in der Vergangenheit serienweise aufgebrochen. Aber soweit sich Sander erinnern kann, wurde noch nie ein Auto gestohlen: „Nur mal vor zwei Jahren ein Motorrad.“

Vereinsinitiator war 1993 der damalige CDU-Landtagsabgeordnete Volker Bandmann. „Ohne ihn wäre der Verein wohl nie zustande gekommen“, ist Sander dankbar. Bandmann war auch lange Zeit Vereinschef und hat noch heute seinen Trabi hier stehen. Sein Amt gab er um 2007 an Steffen Walter ab. Der ist noch immer Vorsitzender und würde kürzlich, genau wie Sander, von der Mitgliederversammlung für vier Jahre wiedergewählt. Sander, der mit einem kleinen Ingenieur-, Planungs- und Verwaltungsbüro selbstständig ist, bleibt der Ansprechpartner nach außen. Seine Nummer steht auch an der Infotafel der Garagengemeinschaft Königshufen I. „Königshufen II sollte gleich nebenan errichtet werden“, erinnert er sich. Da kam aber die Wende dazwischen. So blieb es bei der I.