Welle der Sympathie für Bahnhofsbesitzer

Leisnig. Von Tränen der Rührung über vorsichtiges Getänzel über ein fremdes Grundstück – die neuen Eigentümer des Leisniger Bahnhofsgebäudes haben schon eine Menge erlebt. Kurioses, Witziges, schier Unglaubliches.
Dabei sind sie gerade erst angekommen in ihrem künftigen neuen Zuhause, das idealerweise auch Heimat anderer Künstler, Handwerker und vielleicht sogar des einen oder anderen Vereins werden soll: dem Bahnhofsgebäude. Lange hat es leer gestanden. Ruhig war es in dem Denkmal aber trotzdem nie. Es wurde mehrfach eingebrochen, vieles mutwillig zerstört. Schade. Denn das beschert den neuen Besitzern jetzt noch mehr Aufbauarbeit.Doch davon lassen sie sich keineswegs ins Bockshorn jagen.
Alter Charme bleibt erhalten
Wer die Räume zum ersten Mal (wieder) betritt, staunt möglicherweise über Details wie die Holzdecke im Durchgang zu den Gleisen. Diese ist erst nach einem Brand im Gebäude und dem danach nötigen Abriss der Zwischendecke wieder zum Vorschein gekommen, erklärt Christoph Schönbeck, einer der neuen Eigentümer.
Vom Mauerwerk sind derzeit die blanken Klinkersteine zu sehen. „Das soll auch so bleiben“, sagt Kathryn Döhner, die zu dem Eigentümer-Quartett gehört.
Das, was den Charme des Denkmals ausmacht, das wollen die Besitzer, die noch in Tübingen (Baden-Württemberg) und Berlin leben, unbedingt erhalten. Die Bodenfliesen, die zwischen Bahnhofsvorplatz und dem Zugang zu den Gleisen verlegt sind, gehören ebenso dazu wie die hohen Fenster überall im Erdgeschoss.
Diese zu erneuern, kommt für die Eigentümer nicht infrage. Auch aus Kostengründen. „Das können wir uns nicht leisten“, sagen sie frei heraus. Schon bei der Vorstellung ihrer Personen und ihres Konzeptes vor den Stadträten machten sie klar, dass jetzt keine Millionäre auf der Matte stehen und alles neu machen können.
Selbst anpacken ist die Devise
Ansehnlich soll das Ensemble trotzdem wieder werden, aber anders, als bei vielen anderen großen Sanierungsprojekten. „Bei den Flügelfenstern wollen wir zum Beispiel die Gläser tauschen und die Rahmen neu streichen“, erklärt Miteigentümer Alireza Rismanchian, der als selbstständiger Architekt für alles Bauliche verantwortlich ist.
Er und die übrigen Besitzer wollen so viel wie möglich selbst renovieren und würden sich über die Anleitung von Fachleuten wie eines Glasers freuen. Die Fenster stehen nach der Reparatur des löchrigen Daches an zweiter Stelle der Prioritätenliste – auch, um wieder etwas Licht in die Räume zu bringen.
Denn nahezu alle Fenster im Erdgeschoss sind mit großen Platten zugenagelt, damit nicht noch mehr Scheiben zu Bruch gehen. Die Dunkelheit erschwert aber sowohl die Orientierung als auch das Arbeiten. Denn Licht und Lampen gibt es noch nicht überall.
In den ersten Tagen ohne Wasser haben sich die neuen Eigentümer und deren Helfer mit Wasser aus Kanistern beholfen. Sogar zum Abwaschen musste das herhalten.„Zum Duschen dürfen wir in die Pension ,La Petit Provence’ nach Paudritzsch fahren“, erzählt Kathryn Döhner. Dafür können die „Neu-Leisniger“ ein Auto nutzen, das ihnen jemand zur Verfügung gestellt hat, der die nächsten 14 Tage verreist ist und sein Fahrzeug nicht braucht.
Wieder andere unterstützen den Neuanfang im Bahnhof, indem sie vorbeibringen, was sie entbehren können. Von der Kaffeemaschine, Kabeltrommel und Putzeimer bis hin zu einem Dampfreiniger. Letzteren habe eine ältere Dame vorbeigebracht, nachdem sie ihren Sohn oder Enkel zum Zug geschafft und gesehen hat, dass im Bahnhof gearbeitet wird.
„Unglaublich, wie toll die Leute uns aufnehmen“, sagt die Tübingenerin gerührt und glücklich zugleich.
Frühere Fahrkartenverkäuferin schaut vorbei
So in etwa erlebten die neuen Besitzer am Wochenende auch eine Familie, die auf ihrer Urlaubsreise am Bahnhof halt machte. „Sie hat vor Jahren einmal im Bahnhofsgebäude gewohnt, die Frau hat hier am Schalter Fahrkarten verkauft“, erzählt Kathryn Döhner.
Derartige Besucher hatten die neuen Eigentümer am Wochenende einige. Viele seien neugierig gewesen, einige sehr vorsichtig, allesamt aber erfreut, endlich wieder den kurzen Weg zwischen Vorplatz und Zugein- oder Ausstieg nehmen zu können.
Das bleibt auch so, sofern es sich einrichten lässt. Die nächsten Wochen soll täglich von 10 bis 18 Uhr im Bahnhofsgebäude renoviert und der Garten in Ordnung gebracht werden.
Hereinspaziert am 12. September
Für den 12. September ist ein Tag der offenen Tür geplant, „mit ganz viel Musik“, versprechen Kathryn Döhner, Alireza Rismanchian und Christoph Schönbeck. Dann haben sie befreundete Musiker eingeladen und würden sich freuen, wenn Musiker aus der Region vorbeischauen.
Auch wer sich mit anderen Ideen als künstlerischen einbringen möchte, ist willkommen. Platz ist genug. Mit Vereinsvertretern, Handwerkern und potenziellen Gründern wollen die Bahnhofseigentümer wahrscheinlich schon am 29. August ins Gespräch kommen.
Nach den Schulferien hat Kathryn Döhner vor, auch in Leisnig mit dem Musikunterricht zu beginnen. Dann will die Geigenlehrerin pendeln, jede Woche fünf Stunden mit dem Auto oder neun Stunden mit dem Zug zwischen bisheriger und neuer Heimat zurücklegen. Architekt Rismanchian wird wahrscheinlich ab sofort einige seiner Kunden von Leisnig aus betreuen.
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