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Wettlauf gegen den Borkenkäfer

So schlimm wie jetzt war der Borkenkäferbefall noch nie. Förster und Waldschützer im Landkreis Bautzen versuchen, dagegen vorzugehen. Es ist eine Sisyphusarbeit.

Von Theresa Hellwig
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Der Waldschutzexperte des Landkreises Bautzen, Thomas Sobczyk (l.), und Bautzens Revierförster Rüdiger Reitz begutachten den Schaden durch Borkenkäferbefall an einer Fichte am Thromberg bei Ebendörfel. Als Käfer die Waldfläche unterhalb der Bäume befielen
Der Waldschutzexperte des Landkreises Bautzen, Thomas Sobczyk (l.), und Bautzens Revierförster Rüdiger Reitz begutachten den Schaden durch Borkenkäferbefall an einer Fichte am Thromberg bei Ebendörfel. Als Käfer die Waldfläche unterhalb der Bäume befielen © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Wenn Rüdiger Reitz vor der kahlen Fläche am Thromberg bei Ebendörfel steht, muss er schlucken. „Das ist zum Heulen“, sagt er. Drei Hektar Wald sind hier im letzten Jahr gerodet worden. Brennnesseln und Brombeeren bedecken den Boden, wo eigentlich hohe Bäume stehen sollten. Nur drei einsame Kiefern, krumm und schief gewachsen, wiegen noch im Wind. Sie haben überlebt – aber all ihren Nachbarinnen, an die Hundert Jahre alten Fichten, wurde dieses Glück nicht zuteil. Zum Opfer gefallen sind sie dem Borkenkäfer.

Es begann mit feinen Sägemehlspuren auf der Baumrinde, für das ungeschulte Auge kaum sichtbar. Dann fielen noch mehr Späne und die Kronen der Nadelbäume färbten sich von Grün zu Braun. Nur wenige Wochen dauerte das; als es sichtbar wurde, war es schon längst zu spät.

Der Borkenkäfer hat sich ausgebreitet, und das in ganz Deutschland, nahezu ganz Europa. Auch im Kreis Bautzen ist der Befall so groß wie wohl nie zuvor. Das Borkenkäferjahr wird anders gezählt als das des Menschen, es dauert von Anfang Juli bis Ende Mai. Und im vergangenen Borkenkäferjahr gab es im Kreis Bautzen 90 000 Festmeter Schadholz durch die kleinen Käfer. Zum Vergleich: Schon im Vorjahr galt der Befall als besonders hoch, und da waren es gerade einmal 3 000 Festmeter. Allein seit Juni ist nun in diesem Jahr bereits die dreifache Schadensmenge der gesamten Saison damals, vor zwei Jahren, angefallen: Etwa 9 000 Festmeter Schadholz sind in diesem einen Monat entstanden, im Vorjahr waren es zu diesem Zeitpunkt nur etwa 100.

Die befallenen Fichten zu fällen und schnell aus dem Wald zu schaffen, würde helfen. Doch so schnell, wie das nötig wäre, ist es kaum möglich.
Die befallenen Fichten zu fällen und schnell aus dem Wald zu schaffen, würde helfen. Doch so schnell, wie das nötig wäre, ist es kaum möglich. © SZ/Uwe Soeder

Kein Wunder, dass das Rüdiger Reitz nahegeht. Seit 1981 ist er Revierförster im Bautzener Revier, das sich bis Löbau erstreckt. Schon als Kind streifte er, der in Sohland aufwuchs, mit seinen Freunden durch die Wälder – „damals spielte sich das Leben viel mehr draußen ab“, erinnert er sich. Die Natur, die war schon immer seins.

Heute, da ist es sein Beruf, täglich im Wald unterwegs zu sein. Mit Sorge beobachtet er, dass wegen des vielen Stickstoffs in der Luft fast nur noch Brennnesseln im Wald wachsen, dass das Weidenröschen sich immer mehr zurückzieht. Es bekümmert ihn, dass die Fichten sterben. Auch Thomas Sobczyk, dem Waldschutzexperten des Landkreises, geht das nahe. Dabei geht es nicht um Geld, um den Wald als Wirtschaftsfaktor – auch, wenn das natürlich auch eine Rolle spielt. Aber „die Bäume sind für uns ja keine Dollarscheine“, sagt Thomas Sobczyk. „Der Wald ist das Lebenswerk der Förster“, erklärt er, „und das wird gerade durch den Borkenkäfer zerstört.“ Tatenlos sehen die Revierförster dabei nicht zu. Es ist nur so, dass sie ziemlich machtlos sind. Dass sie resignieren, weil all die Versuche, die Tiere aufzuhalten, nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind.

Rüdiger Reitz und Thomas Sobczyk sind an diesem Tag zusammen unterwegs. Gemeinsam stehen sie vor der etwa drei Hektar großen freien Fläche, unterhalten sich über die Möglichkeiten, gegen die Käfer vorzugehen. Die Tiere abfangen? „Ein frommer Wunsch“, sagt Thomas Sobczyk und zuckt mit den Schultern. Um nichts unversucht zu lassen, wird das trotzdem gemacht. Aber „die Fallen schöpfen nur einen unwesentlichen Teil der Tiere ab.“

Es knackt und ratscht, als Rüdiger Reitz über die Beeren mit all ihren Pieksern stapft, am Klebkraut haften bleibt und sich den Weg vorbei an den Brennnesseln bahnt. Vor einer Art kleinen Pyramide bleibt er stehen: eine Borkenkäfer-Falle. Die Wände der Pyramide sind Netze, die mit einem Insektengift versehen sind. Fliegen die Käfer dagegen, sterben sie. In der Mitte der Pyramide baumelt eine Plastikkapsel, die Pheromone beinhaltet, also Duftstoffe, die den Tieren zur Kommunikation dienen und sie anlocken. „Als die Waldarbeiter vor drei Wochen die Pheromonkapsel gewechselt haben, standen sie plötzlich mitten in einem Käferschwarm“, erinnert sich Revierförster Rüdiger Reitz.

Der Buchdrucker-Borkenkäfer richtet derzeit den größten Schaden an. Er befällt Fichten, und zwar solche, die mindestens 50 Jahre alt sind.
Der Buchdrucker-Borkenkäfer richtet derzeit den größten Schaden an. Er befällt Fichten, und zwar solche, die mindestens 50 Jahre alt sind. © SZ/Uwe Soeder

Er geht weiter zu einem Kasten, der ebenfalls Borkenkäfer anlockt: eine Falle, mit der die Population überwacht wird. Rüdiger Reitz greift hinein. Als er seine Hand herauszieht, ist sie mit Borkenkäfern gefüllt. Thomas Sobczyk deutet auf die Käfer in der Hand des Försters. „Das ist der Buchdrucker“, sagt er. Über 80 Borkenkäferarten gibt es in Sachsen, nur zehn bis 15 sind schädlich für Bäume. Den größten Schaden verursachen diese vier bis fünf Millimeter großen Käfer in der Hand von Rüdiger Reitz, deren Leibspeise Fichten sind.

Thomas Sobczyk hockt sich auf den Boden. Staub steigt auf, als er mit dem Finger eine Art Kapsel in den Sand malt. An ein Ende davon malt er Zacken. „So ungefähr sieht der Buchdrucker hinten aus“, erklärt der Waldschutzexperte und Insektenkundler. „Er wird deshalb auch Großer Achtzähniger Fichtenborkenkäfer genannt.“ Dessen Artgenosse, der Waldbesitzern und Förstern die zweitgrößten Sorgen bereitet, ist deutlich kleiner als er und krabbelt gerade über den Daumen von Rüdiger Reitz: der Kupferstecher. „Während der Buchdrucker vor allem in die dickeren Stammbereiche geht und sich von Bäumen ernährt, die ab 50 Jahre alt sind, befällt der Kupferstecher die jungen Bäume und dünnen Äste.“

Rüdiger Reitz und Thomas Sobczyk schneiden ein Stück Rinde aus dem Baum, Sägemehl bröselt mit leisem Prasseln auf die toten Nadeln auf den Waldboden herab. Buchdrucker – so heißt der Käfer, weil er sich in die Rinde der Fichten bohrt, dort das Weibchen begattet. Die Larven bahnen sich dann Wege im Holz, die wie Buchzeilen davon abgehen. Dabei zerstören sie das Kambium des Baumes – seine Energiezufuhr ist dann gestört, er stirbt ab.

Pheromonkapseln locken die Borkenkäfer in Fallen wie diese. Die Förster messen dann die Literzahlen, um die Population zu überwachen.
Pheromonkapseln locken die Borkenkäfer in Fallen wie diese. Die Förster messen dann die Literzahlen, um die Population zu überwachen. © SZ/Uwe Soeder

Wie aber konnte es zu diesem großen Befall kommen? Wieso sind ausgerechnet jetzt so viele der Holzschädlinge da? Die lange Vegetationszeit, erklären die beiden Experten, ist das größte Problem. Weil der letzte Sommer so lange warm und trocken war, konnten sich die Käfer besonders gut entwickeln – und schafften eine ganze Käfergeneration mehr als üblich. Das ist fatal, denn ein Käferweibchen lässt 100 Nachkommen schlüpfen.

Den Kampf verloren hatten Förster und Waldbesitzer im Grunde genommen mit Sturm Friederike, erzählt Rüdiger Reitz. „Vorher hatten wir die Lage noch im Griff“, sagt er. Zu viele Bäume waren nach dem Wind umgeknickt, sie waren durch Sturmschäden und Trockenheit gestresst. „Die Käfer riechen den Stressduftstoff der Bäume“, erklärt Thomas Sobczyk – denn nur, wenn der Baum nicht genug Kraft oder Flüssigkeit hat, um Harz zu bilden, können die Tiere sich in die Rinde fressen.

Dass ganze Waldflächen dahingerafft werden, das liegt auch daran, dass über viele Jahre zu viel Monokultur betrieben wurde. Fichten, überall wachsen Fichten – zu viel und zu dicht. Sicher, mit dem Waldumbau wurde begonnen – aber die Mühlen mahlen langsam. „Jetzt hat uns das eingeholt“, sagt Rüdiger Reitz. Während er das sagt, steht er inmitten von Fichten, deren Krone noch Reste von Grün zeigen – der übrige Teil ist bereits braun geworden. Die Sonne zeichnet Muster in sein Gesicht, doch zum Lachen ist ihm nicht zumute. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Zeit lang viele Borkenkäfer. Damals wurde der Wald allerdings noch anders bewirtschaftet. „Die Leute brauchten selbst das Reisig, um im Winter zu heizen“, sagt Rüdiger Reitz. Die Käfer fanden weniger gestresstes Holz, um sich zu verbreiten.

Befallene Bäume schnellstmöglich zu fällen und aus dem Wald zu schaffen, das würde helfen – doch das ist nicht einfach. „Im Kreis gibt es 35 000 Waldbesitzer“, erzählt Thomas Sobczyk. Für die Oberlausitz typisch sind die Waldhufendörfer mit kleinen, schmalen Waldstücken – damit der Käfer besiegt wird, müssen alle an einem Strang ziehen. Doch mit ihren Schreiben, so berichtet Sobczyk, erreichen Förster und Landratsamt nur etwa 20 Prozent der Waldbesitzer. Oft ist nicht einmal klar, wem eine Fläche gehört oder Erben streiten darum. Viele fühlen sich nicht eng verbunden mit dem Forst, nicht alle kümmern sich um ihr Waldstück. Die angrenzenden Forstbesitzer bekommen das zu spüren.

Flächen gerodet

Es ist der Grund, weshalb nicht nur Thomas Sobczyk und Rüdiger Reitz resignieren. „Wir haben bestimmte Bereiche aufgegeben“, sagt Reitz und deutet auf die toten Fichten in der Nähe der kahlen Fläche. „Wir haben die Fläche hier gerodet, um diese Bäume da oben zu retten. Es hat nichts genützt.“ Stattdessen konzentrieren sich die Förster nun auf die Fichten, die eher im Tal wachsen – dort gibt es mehr Wasser, die Bäume sind stärker. „Die haben eine Chance.“ Und irgendwann, so vermuten Sobczyk und Reitz, da wird es auch wieder vorbei sein. Die Käfergeneration wird zusammenbrechen, weil es nicht mehr genug Nahrung für sie gibt. Ausgestorben wird die Fichte bis dahin nicht sein, aber viele von diesen Nadelbäumen werden nicht übrig sein.

Aus dem Fehler der Vergangenheit mit der Monokultur haben die Förster gelernt. Auf die neue Fläche soll nun Mischwald gepflanzt werden. Viele Lärchen werden dann irgendwann dort wachsen, aber auch Eichen und Buchen, vielleicht noch Bergahorn. Auch kahle Flächen und braune tote Bäume werden aber noch eine Weile das Waldbild prägen. Rüdiger Reitz zuckt mit den Schultern. Er sagt: „Der Wald wird in Zukunft komplett anders aussehen.“