Wie das Nieskyer Heim den Corona-Schock überwindet

Es ist erst drei Wochen her, und doch erscheint das Ganze wie eine Ewigkeit: Am ersten April-Wochenende wurde das Altenpflegeheim Abendfrieden unter Quarantäne gestellt. Auf einen Schlag waren 38 von 94 Bewohnern und 21 der knapp 100 Pflegekräfte positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Das bedeutete: Notstand in dem Haus, das zur Diakonissenanstalt in Niesky gehört. Doch wie hat sich die Lage seitdem entwickelt?
Wie ist die Lage im Altenheim?
Elf Tote sind inzwischen zu beklagen, 50 Bewohner und 30 Mitarbeiter sind infiziert. Die ersten Beschäftigten mit positivem Befund hätten am 20. April nach zwei Wochen Quarantäne wiederkommen sollen. Doch was Sonja Rönsch damals hoffte, ist leider nicht eingetreten. "Für die meisten Mitarbeiter wurde die Quarantäne um mindestens eine Woche verlängert. Nur ganz vereinzelt kehrt unsere Stammmannschaft zurück", bedauert die Oberin.
Doch sie will nicht klagen. Im Gegenteil: Sie ist froh. In den vergangenen zwei Wochen seien täglich bis zu 20 „Gastarbeiter“ im Haus gewesen. "Aktuell sind noch zwölf bei uns beschäftigt."
Woher kommen die "Gastarbeiter" im Heim?
Den Löwenanteil der Helfer stellt das Rothenburger Orthopädiezentrum Martin-Ulbrich-Haus (MUH). "Wir haben zehn Pflegefachkräfte und drei Leute vom Reinigungsdienst geschickt. Teilweise sind sie noch bis zum 10. Mai in Niesky", sagt Verwaltungsleiterin Cornelia Seibt. Als der Anruf von Schwester Sonja kam, sei für sie klar gewesen, "dass wir aktiv werden müssen. Ein plötzlicher Arbeitskräfteausfall in dieser Dimension in der aktuellen Situation - das ist schon eine mittlere Katastrophe."
Die Vermittlung der Freiwilligen aus dem eigenen Haus fiel den MUH-Verantwortlichen nicht sonderlich schwer. Immerhin ist der Normalbetrieb in der Spezialklinik bis auf Notfallbehandlungen schon seit Wochen eingestellt, zwei Stationen werden für Corona-Patienten freigehalten. "Sich untereinander zu helfen, sollte selbstverständlich für unsere Einrichtungen sein", findet Cornelia Seibt.
Woher bekam das Heim noch Hilfe bei der Pflege?
Das sieht auch Mathias Krause so. Er ist Geschäftsführer des auf Altenpflege spezialisierten Familienunternehmens Kunze aus Weißwasser. "Wir haben natürlich mitbekommen, was da in Niesky läuft. Es geht um Menschen, die Konfession spielt da keine Rolle." Intern habe es nach dem Hilferuf der Emmaus-Oberin eine hohe Resonanz gegeben. Etwa 15 Mitarbeiter hätten sich angeboten.
"Wir haben letztlich vier Pflegekräfte für die erste Woche und danach noch einmal zwei weitere geschickt." Auf Vermittlung des Pflegedienstes Kiese aus See kam eine weitere Fachkraft in den Abendfrieden. Schließlich stellte die in Niesky ansässige Medizinische Berufsfachschule des Diako Dresden fünf Auszubildende zur Verfügung. Schwester Sonja ist dankbar über so viel Hilfsbereitschaft: "Alle 'geborgten' Kräfte sind absolute Profis auf ihrem Gebiet." Und das Wichtigste: "Sie geben den Heimbewohnern die Sicherheit, dass wir uns bestmöglich um sie kümmern."
Gibt es ausreichend Schutzkleidung?
Natürlich ist an Normalität weiter nicht zu denken. Noch immer bestimmt Schutzkleidung den Alltag von Pflegekräften und Bewohnern. Sie zu bekommen, ist auch Ende April noch schwierig, die Beschaffungslage hat sich kaum entspannt. "Ohne persönliche Kontakte weit über die sächsischen Grenzen hinaus, läuft nur sehr wenig. Allerdings hat sich der Kreis der Unterstützer erweitert", sagt die Oberin. Insgesamt aber nehme die Beschaffung von Schutzkleidung weiterhin einen beachtlichen Teil ihrer Arbeitszeit ein.
Da trifft es sich gut, dass vom benachbarten Krankenhaus unbürokratisch und - so weit das geht - in nicht unerheblicher Menge Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt wird. "Seit Anfang März haben wir 120 Atemschutzmasken, 128 Schutzkittel, fünf Liter Flächendesinfektionsmittel und 50 Liter Handdesinfektion geliefert", zählt Viktor Franke, Sprecher der Diakonissenanstalt Dresden, auf. Außerdem kümmere man sich seit Ausbruch der Pandemie um textile Arbeitsbekleidung für das Altenpflegeheim und bereite schon genutzte Atemschutzmasken thermisch auf.

Noch am am Freitagnachmittag überreichte Conrad Clemens der Leiterin des Nieskyer Altenpflegeheims Abendfrieden, Viola Knappe, 17 Virenschutzkittel. Clemens ist Staatssekretär in der Sächsischen Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Freistaates beim Bund. Er erfuhr von seinem Vater, einem Bischof der Herrnhuter Brüder-Unität, und Ministerpräsident Michael Kretschmer von dem dringenden Bedarf an Corona-Schutzkleidung in Niesky. Daraufhin nahm er Kontakt mit einer im Vogtland ansässigen Firma auf. Die stellte gerade erst produzierte Virenschutzkittel zur Verfügung. Bei Bedarf kann nachgeliefert werden.
Wie erleben Hausärzte Patienten-Besuche im Heim?
Dass genügend Schutzausrüstung für ein in Quarantäne befindliches Pflegeheim existenziell wichtig ist, zeigt die Situation der Hausärzte, die sich auch jetzt um ihre betagten Patienten dort kümmern müssen. Sylvana Kretschmar ist eine davon. Sie weiß um die Brisanz. Für niedergelassene Ärzte wie sie, sei die Versorgung mit dem begehrten Material noch immer schlecht.
"Bis jetzt habe ich mich irgendwie durchgehangelt." Die Ausrüstung für einen Hausbesuch in dem vom Virus betroffenen Altenheim habe sie aber nicht. Zwar ist sie von dort noch nicht angefordert worden. Aber: "Ich würde zuerst versuchen telefonisch zu klären, wo denn die Beschwerden liegen." Sollte tatsächlich ein Vor-Ort-Besuch notwendig sein, springt laut Oberin Sonja Rönsch das Pflegeheim ein: "Wir stellen den Hausärzten dann die Schutzkleidung zur Verfügung."
Wie Bürger dem Heim in dieser Krise beistehen?
Die Anteilnahme der Menschen in der Region an den Bewohnern und Pflegekräften im Nieskyer Emmaus-Heim ist nach wie vor groß. Am Wochenende will der Görlitzer Stadtrat und Weinhändler Axel Krüger 75 Blumensträuße verteilen lassen.
Bereits zu Ostern hatten vom Autohaus Kappler und Blumenhaus Friedrich gesponserte Blumenschalen für ein Lächeln bei den Senioren und ihren Betreuern gesorgt. Die Konfirmanden der Kirchengemeinde Niesky überraschten mit frisch gebackenem Kuchen. Und Mitglieder des Bläserchores sorgten für Musik. "Auf den Frühstücks- oder Abendbrottabletts finden sich immer wieder kleine Aufmerksamkeiten", erzählt die Oberin. Zusätzlich zum Gaumenschmaus gibt's dann auch die Telefonnummer der Seelsorgerin dazu, damit sich die Bewohner bei Bedarf an sie wenden können. "Natürlich denken wir auch an unsere Mitarbeiter", stellt Schwester Sonja klar.
Seit etwa einem Monat bekämen sie von den Emmausschwestern frisch gebackenen Kuchen ins Haus geliefert. Und an den Wochenenden dürfen sich die Diensthabenden auf Pizza, Döner, Obst und manchmal auch einen Berg Süßigkeiten freuen. Einen Wunsch für die nächsten Tage hat die Oberin dann aber doch noch: "Vielleicht gibt es ja irgendwo eine Hebebühne und einen oder zwei schwindelfreie Musiker. Die könnten unseren Bewohnern ein Ständchen spielen."