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So hoch ist die Impfbeteiligung wirklich

Sachsen gehört zu den Ländern mit der schlechtesten Impfbilanz. Die acht wichtigsten Fragen zum aktuellen Arzneimittelreport.

Von Stephanie Wesely
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Bei vielen Sachsen ist der Impfpass ziemlich leer.
Bei vielen Sachsen ist der Impfpass ziemlich leer. © Friso Gentsch/dpa (Symbolbild)

Impfungen gelten als die größte Errungenschaft der Medizin. Doch zu wenige machen Gebrauch davon, wie der Arzneimittelreport der Barmer belegt.

Wie viele Kinder sind zur Einschulung vollständig geimpft?

Im Bundesschnitt hatten etwa 85 Prozent der 2011 geborenen Kinder 2017 laut Barmer alle 13 empfohlenen Impfungen. Am höchsten war die Quote bei Masern mit knapp 89 Prozent, gefolgt von Diphtherie, Keuchhusten und Tetanus mit jeweils 88 Prozent. Die niedrigste Beteiligung gab es bei Hepatitis B mit 77 Prozent. Die Daten der Schuleingangsuntersuchungen des Robert-Koch-Institutes (RKI) zeichnen aber ein anderes Bild. Dort hatten 97 Prozent der Kinder die erste und 93 Prozent auch die zweite Masernimpfung. Je 94 Prozent waren es bei der Impfung gegen Diphtherie, Keuchhusten und Tetanus. Mindestens 95 Prozent sind nötig, um die sogenannte Herdenimmunität zu sichern, das heißt, auch Kinder zu schützen, die noch zu jung für eine Impfung sind oder aus anderen Gründen keine Impfung bekommen können.

Wie kommt es zu den unterschiedlich hohen Impfquoten?

Das RKI hat Daten von Kindern ausgewertet, die einen Impfausweis vorgelegt haben. Doch fast jedes zehnte Kind hatte keinen, sodass ihr Impfstatus nicht ermittelt werden konnte. Das verfälscht das Bild. Das Institut schätzt selbst ein, dass die angegebenen Impfquoten vermutlich etwas zu hoch sind. Die Barmer hatte für ihre Analyse den Impfstatus von etwa 45 700 bei ihr versicherten Kinder anhand von Abrechnungsdaten der Ärzte überprüft. Das ist zwar realistischer, bildet aber nur elf Prozent aller gesetzlich Versicherten ab.

Wie häufig sind Masernerkrankungen?

Deutschlandweit gab es im Jahr 2016 laut RKI 325 gemeldete Masernfälle, in Sachsen 35. 2017 wurden besonders viele Ausbrüche registriert, bei denen 929 Menschen bundesweit und 17 in Sachsen erkrankten. Im vergangenen Jahr gab es 543 Fälle in Deutschland, acht im Freistaat. Der Rückgang hält in Sachsen aber nicht an. Bis Juli 2019 wurden im Freistaat bereits 16 Erkrankte registriert.

Aus welchen Gründen sind so viele Menschen ungeimpft?

Laut Professorin Noni MacDonald, einer Expertin der Weltgesundheitsorganisation aus Kanada, sind es meist unbegründete Ängste. Bei 13 Prozent sei es aber auch einfach das Vergessen von Impfungen. Einer aktuellen Barmer-Umfrage unter 1.000 Versicherten zufolge kannten 16 Prozent die Impfempfehlungen nicht, 20 Prozent waren sich nicht sicher, ob ihr Schutz ausreicht. Weniger als ein Drittel prüfe regelmäßig, ob eine Auffrischung nötig ist, sie verlassen sich auf den Arzt.

© FP-Grafik

Warum ist der Schutz vor humanen Papillomaviren (HPV) so wichtig?

Die HPV-Impfung ist Studienautor Daniel Grandt zufolge Infektions- und Krebsvorsorge gleichzeitig. HPV zählt zu den häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten. „Praktisch alle Gebärmutterhalskrebserkrankungen sind damit assoziiert. 1 600 Frauen sterben jedes Jahr daran. Da Jungen oder Männer zu den Hauptüberträgern der Viren gelten, wird seit 2018 der Impfschutz auch für sie empfohlen. Zur Inanspruchnahme liefert der Report noch keine Daten. Von den Mädchen hatte bis zum 18. Lebensjahr mehr als ein Drittel keine HPV-Impfung. Im Alter unter 15 Jahren reichen zwei HPV-Impfungen, später sind es drei.

Wie gefährlich sind versäumte Röteln-Impfungen?

Eine Röteln-Erkrankung ist besonders für Schwangere schwerwiegend. Im ersten Drittel der Schwangerschaft kommt es bei 90 Prozent der betroffenen Kinder zu einer bleibenden Schädigung, zur Fehl- oder Frühgeburt. Erkrankungen im zweiten Schwangerschaftsdrittel führen zu Defekten am Herzen, der Augen, des Innenohrs oder des Gehirns, wie Professor Grandt sagt. Bis zum Ende des sechsten Lebensjahres stieg die Immunisierungsrate zwar auf knapp 89 Prozent, doch nach dem Schuleintritt erfolgten keine Impfungen mehr.

Wie viele Impfschäden gibt es in Sachsen?

Die Angst vor gesundheitlichen Schäden, die Impfgegner oft anführen, ist dem Gesundheitsministerium Sachsen zufolge unbegründet. 2018 seien im Freistaat zwölf Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens gestellt, aber nur zwei bestätigt worden – bei schätzungsweise 2,4 Millionen Impfungen pro Jahr. Deutlich mehr Erkrankungen traten bei Ungeimpften auf.

Wie hat sich die Impfbereitschaft generell entwickelt?

Die Barmer vergleicht den Impfstatus Zweijähriger, die 2010 und die 2015 geboren sind. Danach gibt es mit Ausnahme der Pneumokokken-Impfung eine steigende Impfbereitschaft, besonders gegen Meningokokken C, den Erregern schwerer Hirnhautentzündungen. Hier waren von den 2015 geborenen Kindern 83 Prozent geschützt, von den 2010 geborenen 79 Prozent. Ein ähnliches Verhältnis zeigt sich auch bei den anderen Infektionskrankheiten. Doch die Rate ist noch viel zu gering, um auch Kinder zu schützen, die keine Impfung bekommen können. (sw/dpa)