SZ +
Merken

Wie man einen Wald umtopft

In Pirna werden Weißtannen im Container produziert. Sie wachsen besser an. Allerdings nicht bei dieser Dürre.

Teilen
Folgen
NEU!
© Norbert Millauer

Von Jörg Stock

Jeder Gärtner kennt es, aber nicht jeder mag es: das Umtopfen. Einen passenden Topf aussuchen, Erde einfüllen, die Pflanze platzieren, noch mehr Erde einfüllen, festdrücken, gießen – das dauert. Erst recht, wenn man ganze Wälder umtopfen muss. Ein Fließband wäre schön. Der Sachsenforst in Pirna-Graupa hat sich eins angeschafft. Jetzt läuft es auf Hochtouren. Täglicher Ausstoß: 30 000 Stück.

So funktioniert das Umtopfen: Zuerst kommt Substrat in die Mischanlage.
So funktioniert das Umtopfen: Zuerst kommt Substrat in die Mischanlage. © Norbert Millauer
Das Substrat wird automatisch zerkleinert, in die Pflanzpalette gefüllt und festgerüttelt.
Das Substrat wird automatisch zerkleinert, in die Pflanzpalette gefüllt und festgerüttelt. © Norbert Millauer
Löcher werden gebohrt, die Bäume aus der Anzuchtpalette in die Pflanzpalette gesetzt.
Löcher werden gebohrt, die Bäume aus der Anzuchtpalette in die Pflanzpalette gesetzt. © Norbert Millauer
Fertig! Ulrich Frenzel (r.) und Kollege Renke Coordes auf dem Lagerplatz.
Fertig! Ulrich Frenzel (r.) und Kollege Renke Coordes auf dem Lagerplatz. © Norbert Millauer

Zwischen fünf und sechs Millionen neue Bäumchen werden jährlich im sächsischen Staatswald eingepflanzt. Normalerweise wird der Zuwachs aus einem Baumschulbeet herausgezogen und kommt bei den Förstern mit nackten Wurzeln an. Zugluft, Transportschäden und Fehler beim Einpflanzen drohen. Etliche Gewächse erholen sich nicht vom „Pflanzschock“. Um die Chancen zu steigern, setzt der Sachsenforst auf ein Rezept, das in anderen Teilen der Welt, etwa in Skandinavien, bereits Standard ist – die Containerpflanzung.

In der grellen Graupaer Mittagssonne strebt Ulrich Frenzel der Versuchsbaumschule zu. Der Mann vom Tharandter Wald ist Referatsleiter in der Sachsenforstzentrale und zuständig für das forstliche Vermehrungsgut, also den Waldnachwuchs. Seit 2016 produziert die Graupaer Baumschule Weißtannen im Topf. Der Vorteil, sagt er, ist, dass die Pflanzen ein Nährstoffdepot mitbekommen, das gut durchwurzelt und durchfeuchtet ist. Dank des kompakten Ballens kann draußen beim Pflanzen weniger schief gehen. „Der Stress für den Baum wird minimiert“, sagt der Forstmann.

Die Weißtanne liegt den Staatsförstern am Herzen. Fast eine Million Stück bringen sie jährlich in ihre Wälder. Zusammen mit Buchen und Fichten bedeckten die Tannen einst weite Teile Sachsens. Kahlschlagswirtschaft, Rauchgase und die Fresslust des Wildes verdrängten die Baumart aus der Forstwirtschaft. Heute zählt sie zu den Hoffnungsträgern. Mit ihrem tief ins Erdreich dringenden Wurzelsystem gilt die Weißtanne – anders als der Flachwurzler Fichte – als vergleichsweise trockenheitsresistent und damit als ein Klima-Stabilisator des Zukunftswaldes.

Boden praktisch ohne Feuchtigkeit

Ulrich Frenzel stoppt. Vor ihm liegt ein weiter Platz, bedeckt mit Topfpaletten voller Tannenbabys – das Lager der zum Auspflanzen fertigen Bäume. 50 000 sind noch vom Vorjahr übrig. Nun kommen weitere 70 000 dazu. Sie sollen vorrangig in den Forstbezirken Neustadt und Bärenfels in die Erde kommen, auch im Nationalpark Sächsische Schweiz. Der Zeitpunkt wäre günstig. Im August und September schieben die Weißtannen neue Wurzeln und könnten gut anwachsen, sagt Ulrich Frenzel. Aber nicht in diesem ausgedörrten Boden. Die Erde ist praktisch frei von Feuchtigkeit, bis in sechzig, ja bis in achtzig Zentimeter Tiefe. Da nützt auch die Starthilfe eines Wurzelballens nichts, sagt Frenzel. „Wir würden das Geld aus dem Fenster schmeißen.“

Die Dürre bringt die Pflanzpläne insgesamt in Gefahr. Ulrich Frenzel zweifelt ernsthaft daran, dass die Herbstpflanzung dieses Jahr überhaupt stattfindet. Das Gute an seinen Topftannen: Man kann sie aufheben. Netzhüllen schützen sie vor Sonnenbrand und Frost, Wasser nebelt aus einem gut durchdachten System von Düsen und Sensoren, das schon in den Wüstensiedlungen Israels erprobt wurde. Wasserknappheit droht in Graupa vorerst nicht. Die Baumschule verfügt über fünf Tiefbrunnen, die bisher zuverlässig liefern.

Im Hallenbau neben dem Lager rumort es. Das Tannen-Umtopfen geht planmäßig voran. Eben haben die Arbeiter einen drei Kubikmeter großen Klotz Pflanzenerde in den Substrat-Mischer bugsiert. Dieses Gerät vom Format eines großen Kleiderschranks enthält eine Art Reißwolf, der den Erdblock, gemixt aus Torf, Holzspänen, Sand und Mineralstoffen, Schicht für Schicht abraspelt. Förderbänder bringen das gelockerte Material zur nächsten Station, wo es in die konisch geformten Schächte der Pflanzpaletten eingerüttelt wird. Die Pflanzlochbohrmaschine drückt Löcher hinein, per Hand werden die Sämlinge eingesetzt – und fertig.

Alte Weißtannen gibt es in Sachsen nur noch wenige Hundert, etwa im Polenztal in der Sächsischen Schweiz und in Bärenfels im Osterzgebirge. Die Bestände sind klein und isoliert, die Nachkommen durch Inzucht weniger vital. Von den Samen keimen nur zehn, zwanzig Prozent. Die Tannen, die bei Ulrich Frenzel umgetopft werden, stammen aus der Slowakei. Jährlich bestellt der Sachsenforst dort im Schnitt 800 Kilo Saatgut. Das Land liegt auf der uralten Einwanderungsroute der Weißtanne nach Mitteleuropa. Daher sind die Zöglinge auf das hiesige Klima eingestellt. Bis zu 60 Prozent der Saat gehen auf.

Das Umtopfen bewirkt, dass die kostbaren Bäumchen, die etwa doppelt so teuer sind wie wurzelnackte Ware, sechzig, siebzig Prozent mehr Wuchsraum bekommen. Aber wann bekommen sie ihren Platz im Wald? Vielleicht im Spätherbst, sagt Ulrich Frenzel, vorausgesetzt, es gibt bis dahin genug Wasser. Ein sanfter Landregen müsste kommen, tagelang, wochenlang. Der Glaube daran fällt dem Forstmann schwer beim Blick in den blitzeblauen Himmel: „Alles steht in den Sternen.“