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Wie viel Osten steckt noch in mir?

Markus Ilschner wurde 1987 in Großenhain geboren. Heute arbeitet er in München an internationalen Filmprojekten.

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Markus Ilschner schätzt an seiner Arbeit als Filmemacher vor allem den Kontakt zu ganz unterschiedlichen Menschen. Dabei blickt der gebürtige Großenhainer gern hinter die Kulissen.
Markus Ilschner schätzt an seiner Arbeit als Filmemacher vor allem den Kontakt zu ganz unterschiedlichen Menschen. Dabei blickt der gebürtige Großenhainer gern hinter die Kulissen. © Bildstelle

Herr Ilschner, Sie haben eine Lehre bei der berühmten Bavaria Film GmbH in München gemacht. Welche Auswirkungen hat der Entschluss, in den Westen zu gehen, für Sie bis heute?

Auswirkungen sind in vielerlei Hinsicht positiv wie negativ spürbar. Familiär und beruflich. Familiär fehlt die Nähe zu den eigenen Eltern und Großeltern – vor allem, seit ich selbst Vater von zwei Kindern bin und wir Oma und Opa meistens nur über Facetime sehen. Ähnlich ist es mit Freunden und Verwandten. Dank der digitalen Technik aber kann man schnell mal anrufen und Hallo sagen. 

Beruflich gesehen war und ist es die richtige Entscheidung, da die Vielfalt und das Angebot im Westen Deutschlands weitaus größer waren und sind. Das war auch mein Hauptbeweggrund, nach dem Abitur meine berufliche Zukunft in München zu suchen.

Wäre Ihr Leben vermutlich genauso verlaufen, wenn die Wende nicht gekommen wäre?

Wahrscheinlich nicht. Ich hätte zwar dennoch den Beruf Kameramann angestrebt, wäre aber womöglich nicht über Berlin hinaus gekommen. Das Reisen und das Kennenlernen anderer Kulturen, Städte und Menschen sind ein sehr wichtiger Teil für mich, und mit meiner Arbeit kann ich das ab und an verbinden. Wäre die Mauer nicht gefallen, dann würde ich wahrscheinlich bei einem ostdeutschen Sender als Studiokameramann arbeiten und heimlich Filme aus dem Westen schauen und bejubeln. Außerdem hätte ich nicht meine wunderbare Partnerin kennengelernt.

Haben Sie noch den Vergleich zu Klassenkameraden, die eher ostdeutsch geblieben sind? Fühlen die sich heute anders als Sie in München?

Den direkten Vergleich habe ich leider nicht, da keiner der gleichen Arbeit nachgeht wie ich. Ich würde nicht zwingend sagen, dass sie sich anders fühlen. Aber ich würde soweit gehen zu sagen, dass durch das viele Reisen und Leben und Arbeiten an unterschiedlichen Orten sich meine eigene Persönlichkeit weiterentwickelt hat. Das Wort Kosmopolit finde ich treffend. Dank meines Berufes habe ich bereits mit Kroaten, Türken, Arabern, Spaniern und Franzosen gedreht – und mit allen konnte ich mich nicht nur gut verständigen, sondern auch tiefergehende Gespräche führen. 

Zur Person

Markus Ilschner wurde 1987 in Großenhain geboren. Schon als Kind fotografierte er gern. Ein Jahr lang war er in Großenhain bei einem lokalen Fernsehsender tätig und zog nach dem Abitur nach München. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Mediadesigner für Video/Audio, die er mit Anerkennung abschloss.

Seit 2009 arbeitet er als Freiberufler. Mittlerweile war er an mehr als 30 nationalen und internationalen Projekten beteiligt – von TV-Serien, TV-Dramen und Features bis hin zu Werbespots.

Auf seiner Internetseite zählt Markus Ilschner Spielfilme wie „Schattenwald“ und „Need“ auf, auch Kurzfilme wie „Stay with me“, „Kidz“ oder „Friedenshöhe“.

Er arbeitet auch oft in London. (SZ)

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Jeder ist unterschiedlich, aber doch bewegen alle Menschen dieselben Themen: Liebe, Familie, Zukunft. All diese Bekanntschaften haben mich über den normalen Tellerrand blicken lassen, weiter als Deutschland und weiter als unsere moderne Konsumgesellschaft, in der wir leben. Denn oft wird das Wichtigste vergessen: der Mensch.

Gerade wenn man wie ich in den Medien arbeitet, bekommt man einen Einblick hinter die Kulissen und entdeckt dabei das ein oder andere, was der normale Zuschauer nicht weiß. Seien es die suggerierten Emotionen einer Werbung oder die halbwahren Versprechen von Entscheidungsträgern. Das Warum wird selten hinterfragt, weil man dem Visuellen einfach glaubt.

Fällt es Ossis schwerer, beruflich den westdeutschen Lifestyle zu bedienen?

Da kann ich nur für mich sprechen. Als Ossi war ich am Anfang schon eigen. Nicht nur der Sprache wegen, sondern auch wegen der Sparmentalität. Die ungewohnte Kommunikation und der Umgang fielen mir nicht leicht. Ich konnte das aber schnell adaptieren, ohne meine Wurzeln zu vergessen oder zu verleugnen. Als Ossi hat man den Stempel, pünktlich und fleißig zu sein, was für mich kein Nachteil im Berufsleben ist.

Wie hat sich Ihre eigene Lebensauffassung in München verändert?

Aus einer Kleinstadt wie Großenhain zu kommen und in eine Millionenstadt wie München zu ziehen, war eine Umgewöhnung. Ohne Frage. Kulturell, persönlich als auch zwischenmenschlich. Die Anonymität war anfangs sehr isolierend, half mir aber, mit persönlichen Problemen umzugehen und stärkte mein Selbstbewusstsein.

Ich stand mit 18 Jahren auf eigenen Füßen und musste Entscheidungen treffen. Es war ein stetiger Lernprozess, aber erfolgreich, da ich hautnah miterleben konnte, was es bedeutet, einen Fehltritt zu machen. Die Konsequenzen zu tragen und zu wachsen. In München lernte ich, in alle Richtungen zu schauen und zu prüfen: Was fühlt sich gut an, was nicht? Was ist der nächste Schritt für mich? Als Freiberufler ist das nicht immer einfach zu beantworten, aber doch wichtig für den persönlichen Erfolg.

Was ist stärker: Die Prägung der Herkunft oder der selbst gewählte Weg?

Bei mir ganz eindeutig: der selbst gewählte Weg. Denn der entspricht meiner wahren Natur, meinem wahren Selbst. Das heißt aber nicht, dass ich die Prägung ignoriere oder vergessen will. Es ist wichtig, zu wissen, woher man kommt. Doch gleichzeitig sollte es nicht definieren, wer man ist.

Das Gespräch führte Kathrin Krüger-Mlaouhia.