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DDR-Lehrer brauchen sich nicht verstecken

Matthias Litzki (64) war über 40 Jahre lang Lehrer. Er kennt das System Schule vor und nach der Wende.

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Matthias Litzki war über vier Jahrzehnte lang Lehrer für Deutsch und Geschichte. Seit August 2019 ist er im Ruhestand. Die freie Zeit nutzt er nun, um unter anderem sein Arbeitszimmer aufzuräumen.
Matthias Litzki war über vier Jahrzehnte lang Lehrer für Deutsch und Geschichte. Seit August 2019 ist er im Ruhestand. Die freie Zeit nutzt er nun, um unter anderem sein Arbeitszimmer aufzuräumen. © Dagmar Doms-Berger

Er hat an den Oberschulen in Schrebitz und Ostrau unterrichtet. Ab 2007 war er am Döbelner Lessing-Gymnasium. Seit August nun ist Matthias Litzki im Ruhestand. Mit dem DA sprach der Lehrer für Deutsch und Geschichte über das Schulsystem vor und nach der Wende, und erklärt, weshalb für ihn der Frontalunterricht immer noch die beste Form ist.

Welche Bedeutung hatte für Sie der Mauerfall?

Meine Frau und ich haben am Fernseher vom Mauerfall erfahren. Wir freuten uns, waren aber nicht euphorisch. Wir sind auch nicht den Massen gefolgt, die sofort losgefahren sind, um das Begrüßungsgeld abzuholen. Erst Ende des Jahres sind wir nach West-Berlin gefahren, an die Orte, die meine Frau noch aus ihrer Kindheit kannte. Die Zeit nach dem Mauerfall habe ich als intensiv und aufregend in Erinnerung. Ich hatte das Gefühl der Hoffnung und Erwartung einerseits und der Angst und Ungewissheit andererseits.

Positiv war für mich, dass da eine Zeit kommt, die die freie Meinungsäußerung zulässt und die auf Pluralität in der Parteienlandschaft basiert. Klar war mir aber auch, dass das künftige System von Geld, wirtschaftlicher Effizienz und Egoismus dominiert wird. Ich habe mich damals gefreut über den Einfluss der Bürgerrechtler, Menschen, die etwas mitzuteilen hatten und auf dem richtigen Weg waren. 

Für den schnellen Anschluss an die Bundesrepublik, der dann folgte, konnte ich mich weniger begeistern. Ebenso über den Umgang mit DDR-Biografien und ihren Lebensleistungen, damit meine ich auch die Partei- und Stasi-Zugehörigkeit. Ich hätte mir ein differenziertes Herangehen gewünscht. Natürlich hätte das Toleranz gefordert.

Wie ging es nach der Wiedervereinigung in der Schule weiter?

Für jedes neue Bundesland gab es ein Partnerland in Sachen Bildung. Für Sachsen war es Baden-Württemberg. Die sächsischen Schulen sollten sich möglichst daran orientieren, was das Land macht. Es gab auch Fortbildungen mit Lehrern. Die haben uns übrigens gesagt, dass wir uns einige Sachen bewahren sollten, etwa das Hortsystem oder die Ferienspiele.

Welche Unterschiede gab es vor und nach dem Mauerfall in der Wissensvermittlung im Fach Geschichte?

Vieles ist gleich geblieben, vor allem in den unteren Klassen, etwa die griechische Geschichte. Es hat sich aber auch manches geändert, was auch bedingt ist durch neuere wissenschaftliche Erforschung mancher Ereignisse. Ein Beispiel dafür ist die Schlacht im Teutoburger Wald, die dort genau ja gar nicht stattgefunden hat. Aber die Schwerpunkte waren damals ganz anders gesetzt als heute und stellten die Geschichte der Arbeiterklasse in den Mittelpunkt der Betrachtungen. 

Ein Beispiel: Das Thema Pariser Kommune umfasste zwölf Seiten im Lehrbuch, heute wird es auf einer Seite abgehandelt. Oder Weimarer Republik. Früher stand vor allem das Verhalten und Handeln der KPD im Vordergrund. Heute wird die Zeit variabler behandelt und ihr wird mehr Raum gegeben. 

Oder nehmen wir das Thema Martin Luther. Nach der Wende konnte ich ein deutlich differenzierteres Bild des Reformators darstellen, etwa auch auf Äußerungen, die seine Judenfeindlichkeit zeigen, eingehen. Das war damals ausgeblendet worden. Ganz deutlich wird das ganze am Beispiel 17. Juni 1953, damals als Konterrevolution bezeichnet, heute als Volksaufstand.

Wie war das anfangs als „Ost-Lehrer“ im „West-System“?

Die differenzierte Betrachtungsweise der Themen war auch für mich eine Umstellung, gleichzeitig auch ein Zugewinn. Ich sehe die Darstellung, wie sie vor der Wende gehandhabt wurde, nicht als oberflächlich an. Zu vielen Sachen stehe ich. Gerade, wenn es um Themen wie Antifaschismus geht. Da hat sich für mich nichts geändert. Ich halte nach wie vor die Bücher „Nackt unter Wölfen“ oder „Die Abenteuer des Werner Holt“ für lesenswert und wichtig, um das Thema verstehen zu können.

Die Meinung über die Lehrer aus der DDR ist oftmals festgefahren und mit dem Vorwurf verknüpft, dass sie nicht fähig sind, sich auf eine differenzierte Betrachtung der Dinge und auf die Meinungsvielfalt einzustellen. Mein Fazit ist, dass wir DDR-Lehrer uns nicht verstecken brauchen. Ich gehöre nicht zu den Lehrern, die die DDR-Themen weggedrückt haben. Ich habe die Auseinandersetzung als wichtig angesehen und praktiziert. Jeder Lehrer muss sich aber eigene Fragen stellen, wie er damit umgeht und wie er zu sich selbst steht.

Gab es Reaktionen und Diskussionen der Schüler auf den Mauerfall?

Sicherlich, jedoch kann ich mich nicht konkret an Details erinnern.

Wie waren Sie als Lehrer?

Das können die Schüler sicher besser beantworten (lacht). Für mich galt, dass man als Lehrer Grundprinzipien haben sollte. Meine waren Ehrlichkeit und Authentizität, dass man zu dem steht, was man sagt. Als Lehrer stand für mich nie nur die Wissensvermittlung im Mittelpunkt, sondern auch die Erziehung, die auf respektvollem Umgang basiert. Aber Wissen ist nun mal enorm wichtig, wenn man den gegenwärtigen Themen wie Neonazismus und Rechtsradikalismus begegnen will.

Was unterscheidet die Schule von damals und heute?

Sicher fällt einem da der Frontalunterricht ein, aber der hat, wie sich inzwischen gezeigt hat, seine Berechtigung. Und da ich einen strukturierten Unterricht wichtig fand und mit der kreativen Unruhe bei anderen Unterrichtsformen meine Schwierigkeiten hatte, war für mich der Frontalunterricht die beste Form. Im Unterschied zu damals haben die Schüler heute eine viel größere persönliche Freiheit. Das fängt bei der Berufswahl an und endet in der Wahl der Kleidung. Das halte ich für eine Bereicherung. 

Diese Freiheit erfordert aber gleichzeitig auch mehr Verantwortung für alle. Ich denke, dass auch die Eltern heute viel mehr gefordert sind, dass sie mehr kontrollieren und steuern müssen als damals. Was sich nicht geändert hat, ist die Vielfalt an Angeboten für Kinder, heute ist es nur oft mit höheren Kosten verbunden.

Sie sind jetzt im Ruhestand. Was fangen Sie an mit der freien Zeit?

Ich bin mit mehr Freude als Wehmut in den Ruhestand gegangen. Es war ein gleitender Übergang, da ich in den letzten Jahren verkürzt gearbeitet habe. Ich genieße es, dass ich nicht mehr fremdbestimmt bin. Der Tag liegt vor mir und meinen Vorhaben. Und momentan habe ich noch allerhand zu tun, um mein Arbeitszimmer von all den Unterlagen zu befreien, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. 

Das Aussortieren und Wegschmeißen gibt übrigens ein gutes Gefühl. Und die Schule ist ja auch nicht aus dem Sinn, ich sehe mir weiterhin gern die Konzerte und Theateraufführungen an. Schön ist es, mehr Zeit für Familie und Freunde und für die Hobbys zu haben. Ich kann endlich mal wieder ein dickeres Buch lesen. 

Sie sehen, Langeweile ist ein Fremdwort für mich. Dennoch muss ich jetzt die Seiten wechseln und in die Rolle des Lernenden schlüpfen, denn auch das Rentnerdasein muss man erst mal üben, bis es richtig gelingt.

Es fragte: Dagmar Doms-Berger.