SZ + Döbeln
Merken

"Wolf ist vorsichtig gegenüber Menschen"

Anfang 2020 trieb der Wolf sein Unwesen in der Region Döbeln. Doch inzwischen ist es ruhig geworden. Täuscht der Eindruck?

Von Maria Fricke & Catharina Karlshaus
 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Seit der Jahrtausendwende erobert der Wolf nun schon Deutschland zurück. Eine Rückkehr, über die sich indes nicht jeder freut.
Seit der Jahrtausendwende erobert der Wolf nun schon Deutschland zurück. Eine Rückkehr, über die sich indes nicht jeder freut. © Symbolfoto: Stefan Seidel

Mittelsachsen. Gerissenes Damwild in Obergoseln und Hartha sowie Schafe in Mügeln – im Frühjahr mehrten sich in der Region Döbeln die Hinweise auf die Existenz eines Wolfes. Im April folgte sogar die amtlichen Warnung des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und Geologie: „In der Region zwischen Hartha im Landkreis Mittelsachsen und Mügeln im Landkreis Nordsachsen mehren sich die Hinweise darauf, dass sich dort aktuell ein Wolf aufhält“, hieß es darin. Seitdem herrscht in Bezug auf den Isegrim allerdings Ruhe im Altkreis. Oder doch nicht? 

Sächsische.de hat mit Referentin Vanessa Ludwig von der Fachstelle Wolf des Sächsischen LfULG gesprochen.

Frau Ludwig, seit Ausbruch der Corona-Krise scheint es in der Region Döbeln ruhig um den Wolf geworden zu sein. Täuscht der Eindruck?

In der Region um Döbeln gab es seit Anfang 2020 insgesamt elf Meldungen von geschädigten Nutztieren. In acht dieser Fälle wurde der Wolf mit hinreichender Sicherheit als Verursacher festgestellt. Seit Ende März wurden keine Nutztierübergriffe mehr gemeldet.

Hat sich die Vermutung, dass sich zwischen Hartha und Mügeln ein Wolf angesiedelt hat, inzwischen bestätigt?

Nein, dies konnte bislang nicht bestätigt werden. Seit Ende März ist es in der Region ruhig geworden, sodass wir im Moment davon ausgehen, dass sich ein Wolf dort nur vorübergehend aufgehalten hat.

Der Tod von drei Damhirschen im Gehege Obergoseln wurde wie andere Fälle von Experten als Wolfsriss bestätigt.
Der Tod von drei Damhirschen im Gehege Obergoseln wurde wie andere Fälle von Experten als Wolfsriss bestätigt. © privat

Wie viele Rudel beziehungsweise Tiere leben nach neustem Stand nachweislich im Landkreis Mittelsachsen beziehungsweise in der Region Döbeln?

Nach aktuellem Stand keine. In der Gegend um den Wermsdorfer Forst gab es im Monitoringjahr 2018/19 ein Gebiet „Status unklar“. In diesem Gebiet gab es einige Hinweise auf einen oder mehrere Wölfe. Aber es konnte nicht geklärt werden, ob sie sich dort wirklich angesiedelt haben oder nur durchgezogen sind. 

Wir erwarten allerdings im September die zusammenfassende Auswertung aller Monitoringdaten des letzten Monitoringjahres 2019/20, welches am 30. April 2020 endete. Vielleicht ergeben sich dann noch Änderungen.

Sind im Zuge eines Aufrufs an die Öffentlichkeit im April 2020 Hinweise auf das Vorkommen des Wolfs in der Region bei Ihnen eingegangen?

Leider sind nur sehr wenige Hinweise eingegangen. Wir freuen uns immer wenn Hinweise jeglicher Art an uns gemeldet werden, weil diese eine wichtige Unterstützung des Wolfsmonitorings darstellen. 

Wenn Wölfe irgendwo sesshaft werden beziehungsweise sich kurzfristig in einer Region aufhalten, bekommen wir diese neuen Entwicklungen meist erst über Hinweismeldungen aus der Bevölkerung mit.

Zuletzt waren Sie in Großenhain zu einem Fachvortrag über den Wolf eingeladen. Freuen Sie sich eigentlich noch auf solche Termine oder grummelt es eher in der Magengegend beim Gedanken an all die kritischen Stimmen, die erfahrungsgemäß an solch einem Abend laut werden?

Solche Veranstaltungen sind weiterhin ein wichtiger Teil des Wolfsmanagements! Natürlich gibt es immer wieder kritische Fragen und Diskussionen. Aber man bekommt auch jedes Mal wichtige Einblicke in die Themen, welche die lokale Bevölkerung beschäftigen. 

Außerdem erhalte ich interessante Hinweise, und die Diskussionen sind nicht nur negativ. Es gibt auch positives Feedback. Veranstaltungen in Döbeln sind in nächster Zeit keine geplant.

Vanessa Ludwig betreut die Fachstelle Wolf beim Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. Ihr Büro befindet sich in Nossen im Landkreis Meißen.
Vanessa Ludwig betreut die Fachstelle Wolf beim Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. Ihr Büro befindet sich in Nossen im Landkreis Meißen. ©  Foto: Kristin Richter

Der Laie erinnert sich zugegebenermaßen an die Existenz der Wölfe mitten unter uns nur dann, wenn sie wieder einmal hungrig in Erscheinung getreten sind. Wie groß ist die Chance, dass ich einem Tier beim Pilze sammeln begegne?

Die Möglichkeit, einem Wolf in der freien Natur zu begegnen, gibt es theoretisch immer. Im Vergleich zu Begegnungen mit anderen Wildtieren ist die Wahrscheinlichkeit jedoch geringer. 

Wölfe sind sehr vorsichtige Tiere. Sie nehmen uns Menschen mit ihren gut ausgebildeten Sinnen meist frühzeitig wahr und weichen uns häufig aus, bevor wir sie überhaupt bemerken. Deutlich wahrscheinlicher als eine Begegnung im Wald ist eine zufällige Beobachtung vom Auto aus, zum Beispiel, wenn ein Wolf eine Straße überquert.

Nahe Großenhain ist Mitte April ein Wolfsriss bestätigt worden. Wohnhäuser, eine Gartenanlage und ein Abenteuerspielplatz hatten ihn ebenso wenig vom opulenten Festgelage abgehalten, wie ein elektrisch gesicherter Zaun. Was sagen Sie jenen, die auf solche Nachrichten gleichermaßen ängstlich und kritisch gegenüber dem Wolf als Nachbarn reagieren?

Die Ängste und Sorgen nehmen wir sehr ernst. Gleichzeitig ist es mir wichtig, Ängste zu nehmen. Aus dem beschriebenen Wolfsverhalten kann man keine direkte Gefahr für den Menschen ableiten. Wölfe, die in Kulturlandschaften leben, müssen – wie andere Wildtiere auch – an menschlichen Siedlungen vorbeilaufen oder gelegentlich hindurch. 

Dabei kommt es immer wieder vor, dass sie in unmittelbarer Nähe zu bewohnten Gebäuden oder Siedlungen Nutztiere reißen. Das passiert aufgrund der überwiegenden Nacht- und Dämmerungsaktivität des Wolfes vor allem im Schutze der Dunkelheit.

Vereinzelt können Wölfe jedoch auch bei Tag im Siedlungsbereich gesehen werden, ähnlich wie dies von Füchsen, Rehen oder Wildschweinen bekannt ist. Menschen gegenüber verhalten sich Wölfe jedoch vorsichtig und zurückhaltend. 

All das gehört ebenso zum normalen Verhaltensrepertoire der Wölfe, wie die Tatsache, dass Jungwölfe durch ihre Neugier und Naivität mitunter eine geringere Fluchtdistanz zu Menschen aufweisen als erwachsene Wölfe.

Dieses Verhalten macht die in unserer Kulturlandschaft lebenden Wölfe nicht gefährlicher als ihre Artgenossen, die in menschenleeren Gebieten leben oder die bejagt werden. Das belegen auch Erfahrungen aus anderen Ländern.

Fast könnte man meinen, die umstrittenen Tiere profitieren ein wenig von der Corona-Krise. Nachdem im vergangenen Jahr lautstark über neue Regelungen zum schnelleren Abschuss diskutiert worden ist, herrscht in dieser Angelegenheit seit Wochen auffällige Stille. Ein Zufall oder neues Miteinander?

Die verstärkte Diskussion über neue Regelungen zur schnelleren Entnahme von Wölfen ist in Sachsen darauf zurückzuführen, dass am 1. Juni 2019 die Sächsische Wolfsmanagementverordnung (SächsWolfMVO) in Kraft getreten ist. 

Die Verordnung regelt unter anderem, unter welchen Umständen Wölfe vergrämt beziehungsweise entnommen werden dürfen. Das schafft eine höhere Rechtssicherheit für die zuständigen Behörden, die darüber entscheiden müssen.

Die Entscheidung über die Genehmigung einer Vergrämung oder Entnahme sowie die Umsetzung der Maßnahme liegt bei den Landkreisen und kreisfreien Städten. Ein weiterer Grund dafür, dass es ruhiger geworden ist, könnte sein, dass es noch keinen Fall gab, bei dem die Verordnung Anwendung gefunden hätte.

Wie könnten die Spannungen zwischen Tier und Mensch abgebaut werden?

Die Diskussion um den Wolf ist meist hochemotional. Nicht nur, wenn der Verlust von Weidetieren zu beklagen ist, sondern auch bei der Frage, wie nah sich Wölfe an Menschen und menschliche Siedlungen herantrauen „dürfen“. Deshalb ist eine kontinuierliche und sachliche Informationsarbeit zum Verhalten des Wolfes in unserer Kulturlandschaft so wichtig. 

Welche Themen beschäftigen aktuell die Fachstelle Wolf?

Aktuell gehen wieder verstärkt Meldungen von gerissenen Nutztieren bei uns ein. Seit Jahren beobachten wir in Sachsen, dass es im Spätsommer bis in den Herbst hinein vermehrt zu Wolfsübergriffen auf Nutztiere kommt. 

Das hängt zum einen mit dem erhöhten Nahrungsbedarf der inzwischen fast ausgewachsenen Wolfswelpen zusammen. Zum anderen sind Kitze, Hirschkälber und Frischlinge, die im Frühling und Sommer für Wölfe noch eine leichte Beute waren, jetzt zu reaktionsschnellen Wildtieren herangewachsen. 

Aufgrund ihrer geringen Körpergröße und ihrem kaum vorhandenen Verteidigungs- oder Fluchtvermögen sind Schafe und Ziegen in extensiver Freilandhaltung eine vergleichsweise leichte Beute. 

Aus diesem Grund sollten alle Tierhalter besonders jetzt auf einen wirksamen Herdenschutz achten, vorhandene Zäune auf Schwachstellen prüfen und Mängel umgehend beseitigen.

Wer Fragen zu wirksamen Herdenschutzmaßnahmen beziehungsweise der möglichen finanziellen Förderung dieser hat, kann sich an den Herdenschutzbeauftragten wenden für eine kostenlose Beratung. Kontakt: Ulrich Klausnitzer, Tel. 0151/50551465 oder E-Mail: [email protected]

Mehr lokale Nachrichten aus Döbeln und Mittelsachsen lesen Sie hier.