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Antisemitismus als Alltagserfahrung

Eine Untersuchung nimmt die Situation von Juden in Sachsen in den Blick. Sie sehen sich mit verletzendem Verhalten konfrontiert - sowie mit Gewalt.

Von Thilo Alexe
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Ein jüdisches Lokal in Chemnitz wurde mehrfach angegriffen. Foto: kairospress
Ein jüdisches Lokal in Chemnitz wurde mehrfach angegriffen. Foto: kairospress ©  Thomas Kretschel

Antisemitismus prägt den Alltag von Jüdinnen und Juden in Sachsen. Zu diesem Schluss kommt eine am Dienstag präsentierte Untersuchung des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus. Pro Woche werden derzeit etwa drei antisemitische Vorfälle bekannt. Der Verband untersuchte 712 davon aus dem Zeitraum 2014 bis 2019 und stützte sich dabei auf Angaben aus Polizeistatistiken und zivilgesellschaftlichen Quellen.

„Antisemitismus ist für Jüdinnen und Juden eine alltagsprägende Erfahrung“, sagte Daniel Poensgen, der zu den Autoren der Studie zählt. Die größte Einzelgruppe der ausgewerteten Vorfälle fasst die Untersuchung unter „verletzendem Verhalten“ gegenüber Juden zusammen. Zu diesen 579 Fällen zählen Diskriminierung oder – wie in einem Beispiel gezeigt – die Konfrontation mit antisemitischen Klischees etwa auf Ämtern. Doch auch Angriffe (16), Bedrohungen (43) und Sachbeschädigungen (68) nimmt die Studie ins Visier.

So wurden 2016 zwei Israelis in Dresden beschimpft und angegriffen. Im Jahr darauf urinierte ein Mann auf eine Gedenkstätte in Leipzig. Angriffe gab es auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz. „Antisemitismus lässt sich nicht auf eine gesellschaftliche Gruppe eingrenzen“, fügte Poensgen hinzu.

Der Beauftragte der Staatsregierung für jüdisches Leben, der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Feist, betonte: „Bekämpfung von Antisemitismus kann nur dann erfolgreich sein, wenn Antisemitismus auch als solcher erkannt wird.“ Die Studie liefere eine gute Grundlage, um Antisemitismus in seinen vielfältigen Formen zu erkennen.

Feist verwies zudem auf den Koalitionsvertrag zwischen CDU, Grünen und SPD. Der sehe die Einrichtung einer niedrigschwelligen Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, die Betroffenen auch Beratung biete, vor. „Sie wird auch kommen“, sagte der Beauftragte. Deren Aufbau sei derzeit ein Aspekt der Haushaltsverhandlungen.

Die Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen der jüdischen Gemeinden, Nora Goldenbogen, sieht im Antisemitismus im Alltags ein stärker werdendes Phänomen. „Das hat damit zu tun, was als fremd betrachtet wird.“ Antisemitismus sei kein Problem der Juden, „es ist ein Problem der Gesellschaft“.

Goldenbogen zeigte sich schockiert über Stände von Holocaustleugnern am Rande von Demonstrationen deutschlandweit – in Dresden im Pegida-Umfeld. Nach Goldenbogens Darstellung waren die Stände „zwei Jahre teilweise unbehelligt“ von Behörden möglich. Es sei sogar zu Beifallsbekundungen gekommen. Mit Blick auf ihre eigenen Erfahrungen sagte Goldenbogen: „Man lernt nie, mit solchen Dingen wirklich umzugehen."