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Wie steht es um die deutsch-polnischen Beziehungen?

Nach dem Regierungswechsel in Polen sind die Hoffnungen groß, dass die Eiszeit zwischen beiden Ländern zu Ende ist. Eine Diskussionsrunde in Dresden zeigt, es gibt viele gemeinsame Fragen zu lösen, vor allem in der Sicherheitspolitik.

Von Nora Miethke
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Im Kraszewski-Museum in der Dresdner Neustadt wurde über den Stand der deutsch-polnischen Beziehungen diskutiert.
Im Kraszewski-Museum in der Dresdner Neustadt wurde über den Stand der deutsch-polnischen Beziehungen diskutiert. ©  André Wirsig

Politisch herrschte zwischen Berlin und Warschau lange Eiszeit. Die Politiker der bis 2023 regierenden PiS-Partei schürten antideutsche Ressentiments. Es gab viele Differenzen, ob beim Klimaschutz, der Haltung zu Russland oder Fragen der Migrationspolitik. Seit mit Donald Tusk wieder ein bekennender Europäer regiert, taut das Eis. Die Chance besteht, die deutsch-polnischen Beziehungen zu überdenken und sich gemeinsam neue strategische Ziele zu setzen. Doch wie stehen die Deutschen und die Polen heute zueinander? Sind sie „Feinde, Fremde, Freunde“?

So lautet das gleichnamige Buch von Rolf Nikel, Deutscher Botschafter in Polen von 2014 bis 2020 und jetzt Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Am Donnerstagabend stellte er es im Kraszewski-Museum in Dresden vor, im Beisein von Sachsens Europa-Ministerin Katja Meier und Professor Krzysztof Ruchniewicz, dem Leiter des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Wroclaw.

„Die Polen wissen über uns mehr als umgekehrt“, konstatierte Nikel im vollbesetzten Raum. Der Ukraine-Krieg und die Debatte um die Gaspipelines Nordstream I und II hätten zu einer Entfremdung und einem großen Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust geführt, „dessen Ausmaß viele in Deutschland noch nicht realisiert haben“, so der Diplomat im Ruhestand. Auch unter einer jetzt Deutschland freundlicheren Regierung in Polen müssten viele Fragen mit unterschiedlichen Positionen etwa in der Migrationspolitik oder in der Energiepolitik diskutiert werden. Aber dafür sei das Klima jetzt heller als unter der PiS-Regierung.

Laut Ruchniewicz wurden die deutsch-polnischen Beziehungen in seiner Heimat mit dem Begriff „erwachsene Nachbarschaft“ umschrieben. Was ihm in dieser Nachbarschaft bislang fehlt, ist, dass man konstruktive Kritik zulässt. „Wir sind wieder an einem Neuanfang. Jetzt kommt es darauf an, dass wir aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lernen, damit die Nachbarschaft besser wird“, sagte der Historiker.

Eine grundlegende Lehre für Nikel ist, „das wir uns sehr deutlich zu Wort melden müssen, wenn rechtsstaatliche Grundnormen der EU verletzt werden. Bei den grundlegenden Fragen darf es keinen Rabatt geben“, so der ehemalige Botschafter. Deutsche Politiker und Diplomaten hätten sich das „aufgrund unserer Geschichte nicht getraut“.

Die Polen haben gezeigt, wie man eine rechtspopulistische Partei abwählt. Aber die PiS sei nicht weg und habe immer noch fast die Hälfte der Wähler und Wählerinnen hinter sich, hieß es. Deshalb komme es jetzt darauf an, sich schnell und ernsthaft um historische Fragen wie die Reparations- und Entschädigungszahlungen oder das geplante „Deutsch-Polnische Haus“, ein Denkmal in der Mitte Berlins zum Gedenken an die Opfer der deutschen Besatzung in Polen 1939-1945.

Katja Meier: "Weimarer Dreieck" wiederbeleben

Katja Meier regte an, das „Weimarer Dreieck“, ein außenpolitisches Gesprächs- und Konsultationsforum zwischen Frankreich, Deutschland und Polen, wieder mit Leben zu füllen. In diesem Zusammenhang verriet die Europa-Ministerin, dass der französische Präsident Emmanuel Macron einen „zweiten Anlauf“ unternehmen will, im Mai nach Sachsen zu kommen. Mit Macron sollte im vergangenen Sommer zum ersten Mal seit 23 Jahren wieder ein französischer Staatspräsident zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Deutschland kommen. Doch er musste den Besuch kurzfristig wegen anhaltender Krawalle in Frankreich absagen.

Nikel pflichtete Meier bei und plädierte ebenfalls für eine Wiederbelebung des „Weimarer Dreicks“, um vor allem die europäischen Sicherheitsprobleme gemeinsam so lösen. „Ich bin seit vierzig Jahren im Dienst des Auswärtigen Amts und haben noch nie so viele geopolitische Krisen wie jetzt erlebt“, betonte der Diplomat. Wenn Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine gewinnen würde, wäre das nicht nur eine große Gefahr für die Ukraine, sondern auch für Deutschland. „Wir sind nicht ausreichend darauf vorbereitet, die östliche Flanke zu stabilisieren“, so Nikel. Sollte zudem im November Donald Trump zum zweiten Mal zum Präsident der USA gewählt werden, müssen sich die Mitglieder der Europäischen Union darauf einstellen, erheblich mehr in die eigene Verteidigung zu investieren. Da wäre eine engere Abstimmung zwischen Polen, Frankreich und Deutschland hilfreich.

Ruchniewicz zeigte sich skeptisch. Die Zusammenarbeit im „Weimarer Dreieck“ habe nicht funktioniert. Er schlug ein „Breslauer Dreieck“ vor für Deutschland, Polen und die Ukraine, um die Aufgabe zu bewältigen, das kriegszerstörte Land auf den EU-Beitritt vorzubereiten. „Wir brauchen kühnere, neue Ideen als auf die alten zurückzugreifen“, sagte der polnische Wissenschaftler. Katja Meier nahm es gelassen: „Warum nicht das eine tun ohne das andere sein zu lassen?“

Einig waren sich alle, auch im Publikum, dass die Chance des Neustarts genutzt werden müsste, um die direkten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Sachsen und Niederschlesien zu fördern. Doch dazu seien bessere Verkehrsverbindungen notwendig, insbesondere auf der deutschen Seite. „Die Menschen müssen zueinanderkommen können, schon daran hapert es“, hieß es in der zweistündigen Diskussion.

Eine Stunde länger und erhitzter ging es wohl am Abend zuvor im sächsischen Verbindungsbüro in Wroclaw zu, wo in fast gleicher Besetzung diskutiert wurde. Das polnische Publikum interessierte dem Vernehmen nach vor allein eins. Was passiert nach dem Ende des Ukraine-Kriegs, wenn die deutsche Wirtschaft wieder das billige Gas aus Russland haben will? Diese Frage wurde in Dresden gar nicht gestellt.