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Demokratie-Demos in Sachsen: Gegen war gestern

Immer mehr demokratische Initiativen in Sachsen verabschieden sich von der Idee, nur "gegen" etwas zu protestieren. Sie wollen sich für ihre Ideale einsetzen. Statt Demos gibt es Kuchen oder Kultur.

Von Dominique Bielmeier
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Aus den Demos nach den Correctiv-Enthüllungen erwachsen immer mehr demokratische Initiativen in Sachsen. Was viele eint: Ihr Anspruch ist es nicht, nur "gegen" etwas zu sein.
Aus den Demos nach den Correctiv-Enthüllungen erwachsen immer mehr demokratische Initiativen in Sachsen. Was viele eint: Ihr Anspruch ist es nicht, nur "gegen" etwas zu sein. © Steffen Unger (Archiv)

Döbeln/Bautzen. Der Widerstand ist süß und manchmal überraschend knackig. "Sehr lecker, dein Kuchen", sagt eine ältere Dame zu einer anderen. Beide stehen vor einer reich gedeckten Kaffeetafel aus fünf aneinander geschobenen Biertischen auf dem Obermarkt in Döbeln. "Mit diesen …" Die Seniorin sucht das richtige Wort. "Granatapfelkernen", entgegnet die andere Frau begeistert. "Das knackt so schön, oder?" Die beiden lachen.

Es ist der 8. März, Frauentag, und das Wetter könnte nicht besser sein. In der Sonne glänzen zwölf selbst gebackene Kuchen zwischen lila-weiß blühenden Hornveilchen und Pappbechern mit heißem Kaffee. Auf den Tischen verteilt liegen einzeln verpackte runde Butterplätzchen, auf die mit einem Stempel "Omas gegen rechts" eingeprägt ist.

Es ist die keksgewordene Version der großen weißen Anstecker, die viele der Jacken derer schmücken, die an den Tischen sitzen oder lose um das Geschehen herumstehen. Geschätzt knapp 100 Menschen, überwiegend Frauen, haben an diesem Freitagnachmittag den Obermarkt in Döbeln übernommen. Oder konkreter: knapp 100 Omas.

"Kaffeeklatsch für den Erhalt der Demokratie und gegen den Faschismus"

Wer das Ganze deshalb für einen herzigen Seniorinnennachmittag hält, für einen reinen Kaffeeklatsch betagter Damen, der liegt weit daneben. Das Motto der Veranstaltung, die zugleich Kundgebung ist, lautet: "Kaffeeklatsch für den Erhalt der Demokratie und gegen den Faschismus". Der Kuchen ist also nicht nur reich an Kalorien, sondern auch an Verantwortung.

Beides nehmen die Omas aber leicht – und mit Humor. Auf einem Schild, das an einem Baum befestigt ist, steht: "Rechte Maschen mag ich nur beim Stricken." Selbst das Infomaterial, das zum Beispiel unter dem Titel "Wie frauenverachtend ist die AfD" mehrere Zitate von Mitgliedern dieser Partei auflistet, liegt wie nebenbei in der Nähe der großen Kaffeespender.

Kuchen für die Demokratie: Ein Kaffeeklatsch der Omas gegen rechts in Döbeln will Menschen vernetzen und gleichzeitig über rechte Gefahren informieren.
Kuchen für die Demokratie: Ein Kaffeeklatsch der Omas gegen rechts in Döbeln will Menschen vernetzen und gleichzeitig über rechte Gefahren informieren. © SZ/Veit Hengst

Die Beiläufigkeit der Botschaft kann nicht über ihre Ernsthaftigkeit hinwegtäuschen. Das Flugblatt endet mit einer Kampfansage: "Wir Omas gegen rechts werden nicht zulassen, dass die AfD den über hundertjährigen Kampf um Gleichberechtigung und Gleichstellung zerstört und ihr reaktionäres, frauenverachtendes Weltbild in unserer Gesellschaft umsetzt." Wer das Papier in Händen hält, wird aufgefordert, wählen zu gehen. "Wählen Sie eine demokratische Partei."

Ähnlich lautende Botschaften schallen durch einen kleinen Lautsprecher über den Obermarkt. Zwischendurch spielt ein Singer-Songwriter Lieder über Frauen und den Frieden. Eigentlich bräuchte es dieses Programm gar nicht, die Seniorinnen unterhalten sich bestens miteinander. Und wer sich bisher noch nicht engagiert bei der Regionalgruppe der Omas gegen rechts, der kommt spätestens jetzt auf den Gedanken.

Omas gegen rechts in Döbeln: "'Gegen'" ist nicht unser Ziel, wir sind für etwas"

Gegründet hat diese Gruppe Kathrin Fuchs zusammen mit ihrer Freundin Donata Porstmann. Spontan während einer Demo mit rund350 Teilnehmern am 21. Januar auf dem Obermarkt, dort, wo sich auch heute die Omas treffen. Innerhalb kürzester Zeit sind über 30 Frauen und auch ein paar Männer beigetreten. An diesem Tag hätten schon zwei weitere ihr Interesse angemeldet, erzählt Fuchs – Sonnenbrille im hochgesteckten blonden Haar, ein Tuch mit Leopardenmuster um den Hals und darunter ein Omas-gegen-rechts-Button.

Katrin Fuchs hat die Omas gegen Rechts in Döbeln mitgegründet. Sie will, dass "Demokratie wieder mehr in den Köpfen stattfindet".
Katrin Fuchs hat die Omas gegen Rechts in Döbeln mitgegründet. Sie will, dass "Demokratie wieder mehr in den Köpfen stattfindet". © SZ/Veit Hengst

Damals hatte die Demo eine deutlich kleinere Versammlung der rechtsextremen "Freien Sachsen" stören wollen, die Polizei hielt wie üblich in solchen Fällen die beiden Lager voneinander getrennt. Doch vom "gegen" aus dem Namen der bundesweiten Initiative distanziert sich Kathrin Fuchs. "'Gegen'" ist nicht unser Ziel, wir sind für etwas." Für Demokratie, Gleichstellung, Freiheit, Verständnis untereinander. Für "Konsens auf kleinster Ebene", wie sie es nennt. Junge Leute demonstrierten anders als Menschen in gesetzterem Alter. "Aber wir haben alle einen kleinsten gemeinsamen Nenner."

Sie hofft, dass durch das Engagement der Omas gegen rechts "Demokratie wieder mehr in den Köpfen stattfindet". Man dürfe nicht denken, sie sei selbstverständlich. "Demokratie ist harte Arbeit." Silke Altmann, die Frau hinter den 150 gestempelten Keksen – ein Rezept ihres Opas, der Konditormeister war – bringt in einem Satz auf den Punkt, warum sie hier ist: "Ich bin eine Oma, und ich bin sehr für Demokratie." Auch sie ist von Anfang an mit dabei und schätzt es, dass man gemeinsam auf Demos fährt und dazu Fahrgemeinschaften bildet.

Silke Altmann von den Omas gegen rechts hat zwei Abende lang Kekse für den Kaffeeklatsch in Döbeln gebacken.
Silke Altmann von den Omas gegen rechts hat zwei Abende lang Kekse für den Kaffeeklatsch in Döbeln gebacken. © SZ/Veit Hengst

Ab April soll es jeden Monat ein Treffen geben, bei dem Organisatorisches besprochen wird oder einfach Erfahrungen ausgetauscht werden. "Das ist alles im Werden begriffen, so empfinde ich das", sagt Altmann. Ihr leuchtend grüner Schal verleiht ihrem Anstecker daneben noch mehr Aufmerksamkeit.

Die nächsten Demo-Termine stehen schon fest: am Sonntag in Waldheim, im Mai eine Demonstration zum Jubiläum des Grundgesetzes.

Happy Monday in Bautzen: Die Plätze sind für alle da

Was in Döbeln dank der Omas bereits ins Rollen gekommen ist, wird in Bautzen gerade angeschoben: eine neue Protestform, die nach vorn gerichtet ist, anstatt nur auf etwas zu reagieren. Dort nennt sich das Ganze "Happy Monday", eine Veranstaltungsreihe, die ab 8. April immer an Montagabenden Kultur abwechselnd auf die vier großen Plätze der Stadt bringen will – die sonst gern und regelmäßig von Rechtsextremen genutzt werden.

Drei Tage nachdem die Omas in Döbeln ihre Frauenrechte verteidigt haben, stehen am Montagmorgen sechs Menschen auf einem roten Perserteppich mitten auf dem Kornmarkt in Bautzen. Der Verkehr rauscht vorbei, noch gibt es hier keine Musik, die ihn übertönen könnte. Doch im Hintergrund ist alles schon geplant und darüber wollen die drei Frauen und drei Männer heute informieren.

Bunte Luftballons kündigen eine Zeitenwende für Bautzens Montagabende an: Statt rechter Demonstrationen sollen dann Kulturveranstaltungen die Innenstadt prägen.
Bunte Luftballons kündigen eine Zeitenwende für Bautzens Montagabende an: Statt rechter Demonstrationen sollen dann Kulturveranstaltungen die Innenstadt prägen. © Steffen Unger

Manja Gruhn vom Steinhaus e. V., der das gleichnamige soziokulturelle Zentrum betreibt, spricht unter anderem von Konzerten, Tanztheater und Mitmachaktionen von und für Bautzener Vereine. Das viele Engagement in der Stadt solle sichtbar gemacht, die Plätze positiv besetzt werden.

"Es gilt, die Freiheit und Schönheit der Stadt zu verteidigen mit den Mitteln der Kunst und Kultur"

"Triggermoment" für diese Idee sei ein Vorfall im Februar 2023 gewesen: Eine Gedenkveranstaltung der ukrainischen Community auf dem Kornmarkt wurde durch Rechtsextreme gestört, die Polizei separierte knapp zehn junge Männer aus der rechten Szene. Danach habe man gesagt: Die Plätze sind für alle da, erzählt Gruhn.

Über 50 Menschen aus den verschiedensten Initiativen, aus Vereinen, Kirche und Kultureinrichtungen sind dafür zusammengekommen, berichtet Heiner Schröder vom TrägerverBUNT, einem Netzwerk für Demokratie und Vielfalt im Landkreis. Es ist der wahrscheinlich größte Zusammenschluss dieser Art bisher.

Tim Heilmann, seit Herbst Leiter der Sparte Puppentheater am Deutsch-Sorbischen Volkstheater und relativ neu in Bautzen, sagt: "Es gilt, die Freiheit und Schönheit der Stadt zu verteidigen mit den Mitteln der Kunst und Kultur."

Das Wort "gegen" fällt während der sechs kurzen Reden keinmal.

Im Gespräch erklärt Heilmann, warum: "Wir wollen den Montag in Bautzen vielfältig, kulturell und interaktiv machen, aber wir sind nie gegen jemanden." Ihm ist wichtig, zu betonen, dass es keine Demo sein wird, sondern eine Kulturveranstaltung, die für etwas steht: ein friedliches, tolerantes und weltoffenes Miteinander. "Es kann nicht sein, dass es eine Ecke gibt, die andere einschüchtert und sagt, das ist unser Platz", sagt Heilmann. Die Stadt gehöre allen, "mit Freude und Leben und Kultur und Kunst" – er blickt in den blauen Himmel über Bautzen – "und Licht und Sonne – happy halt".

Michael Nattke: "Was die Rechten stark macht, sind Negativerzählungen"

Für Michael Nattke ist das eine erfreuliche Entwicklung. "Wenn man eigene Inhalte in den Mittelpunkt stellt, ist der Vorteil, dass sich maximal die anderen daran abarbeiten müssen – und man sich nicht selbst zum Beispiel an den Inhalten der AfD abarbeitet", sagt der Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen. Der Verein aus Dresden berät sachsenweit Initiativen dazu, wie sie rechtsextremistischen Strukturen eine aktive demokratische Zivilgesellschaft entgegensetzen können.

Schon bei den großen Demos nach Bekanntwerden der Correctiv-Recherche hat Nattke Ähnliches beobachtet. Dort sei es inhaltlich auch nicht um die sogenannten "Remigrations"-Pläne gegangen, sondern um demokratische Werte und die Frage, wie wir in der Gesellschaft zusammenleben wollen. "Wenn man eigene Inhalte zur Diskussion stellt, können Leute sagen, das finde ich auch gut, und sich anschließen – oder sagen, darüber müssten wir weiterreden." Dennoch findet er es weiterhin wichtig, sich zum Beispiel von der AfD abzugrenzen.

Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen freut sich über die Entwicklung zu mehr eigenen Inhalten. Dennoch findet er es weiterhin wichtig, sich von Rechtsextremismus auch klar abzugrenzen.
Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen freut sich über die Entwicklung zu mehr eigenen Inhalten. Dennoch findet er es weiterhin wichtig, sich von Rechtsextremismus auch klar abzugrenzen. © Matthias Rietschel (Archiv)

Noch etwas hat Nattke beobachtet: Es gibt mittlerweile Initiativen, die im Wahlkampfjahr bewusst positive Geschichten aus Sachsen erzählen, das Gute am Leben im Freistaat in den Mittelpunkt stellen wollen. Zum Beispiel über Menschen, die hier eine neue Heimat gefunden haben und nun dafür sorgen, dass eine Bäckerei weiter existieren kann. "Was die Rechten stark macht, sind Negativerzählungen", sagt Nattke. "Anhand derer versuchen sie, die staatlichen Institutionen zu delegitimieren." Dabei sei vieles ja gar nicht eingetroffen – etwa Blackouts in der Energiekrise.

Nach knapp zweieinhalb Stunden ist der Kaffeeklatsch in Döbeln beendet, die Sonne versinkt langsam hinter den Häuserfassaden. So schnell, wie es wohl nur Omas können, werden die übrigen Kuchen eingepackt, die Bierbänke zusammengeklappt und in einen Transporter verstaut und noch der letzte Schnipsel in eine Mülltüte gestopft.

"Schönes Wochenende, und wir sehen uns auf der Straße"

Als eine der Letzten wuselt Ines Stefanowsky über den Platz. Die Döbelner Krankenschwester mit den kurzen, kräftig roten Haaren hat die Kundgebung mit angemeldet. Sie ist glücklich, dass so viele gekommen sind, auch aus Dresden, Chemnitz und Leipzig, auch ein paar Jüngere. "Sie haben alle miteinander gesprochen", sagt sie freudig. Und darum gehe es doch eigentlich.

Ein paar Frauen, die sich vorher nicht kannten, planen nun eine Radtour. Ein Mann, der dem Ganzen sehr skeptisch gegenüberstand und immer sagte, dass das doch alles Quatsch sei, saß am Schluss mit den anderen lächelnd auf einer Bank.

Nach dem Kaffeeklatsch ist vor der nächsten Aktion. Die Omas planen, bald mal was mit Kindern zu Demokratie zu machen, erzählt Ines Stefanowsky, außerdem Sport oder auch ein Picknick. Alles, wodurch man noch mehr Menschen ansprechen und in den Austausch bringen kann.

Kurz vorher richtet sie als Anmelderin die letzten Worte an die Teilnehmerinnen auf dem Obermarkt, bevor diese in alle Himmelsrichtungen verschwinden. "Schönes Wochenende, und wir sehen uns auf der Straße!" Die Omas jubeln.