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Demos gegen Rechtsextreme: In den Kleinstädten wehrt sich die Demokratie

Auf dem Land Gesicht gegen Rechtsextreme zu zeigen, erfordert oft mehr Mut als in den Metropolen. Daraus kann jedoch etwas erwachsen, wie sich gerade in Waldheim bei Döbeln zeigt.

Von Dominique Bielmeier
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Besonders engagiert gegen Rechtsextreme und für die Demokratie gehen in Waldheim und der Region die "Omas gegen Rechts" aus Döbeln auf die Straße.
Besonders engagiert gegen Rechtsextreme und für die Demokratie gehen in Waldheim und der Region die "Omas gegen Rechts" aus Döbeln auf die Straße. © Lutz Weidler

Waldheim. Dass die drei Frauen am Rand der Versammlung zusammengehören, erkennt man nicht nur an den Schildern über ihren Köpfen, auf denen "Omas gegen Rechts" steht. Man erkennt es auch an ihrer guten Laune: Weitere Frauen, die sich der Gruppe anschließen, mal sind es zwei, mal gleich sieben, werden mit großem Hallo begrüßt, präsentieren freudig ihre eigenen Schilder oder setzen sich lachend eine regenbogenfarbige Peace-Brille auf.

Ein paar Teilnehmerinnen ziehen einen gelben Mundschutz mit den Buchstaben FCK AFD über. Ob das FCK für das stehe, was sie denke, fragt eine "Oma". Verschmitzte Blicke, Gekicher. Die Stimmung könnte kaum besser sein – dem Anlass des Treffens an diesem Abend zum Trotz.

Seit Beginn der Corona-Pandemie laden AfD und "Freie Sachsen" in Waldheim bei Döbeln zu "Montagsspaziergängen" ein. Fast drei Jahre lang blieb das in der mittelsächsischen Kleinstadt mit rund 8.500 Einwohnern ohne Widerspruch. Seit drei Wochen aber gibt es eine Gegenveranstaltung: Auf dem Obermarkt meldet ein Bündnis, das sich "Bunte Perlen" nennt, zeitgleich eine eigene Versammlung an. Motto: "Waldheim bleibt bunt". Mittendrin: die Omas gegen Rechts.

"Ich wollte eigentlich nicht mehr in politische Dinge eingreifen", sagt Marianne Hellfritzsch. Sie wird 72, hat sechs Enkelkinder - und Angst. "Ich habe den Eindruck, alles kippt nur noch in Hass, man sucht Schuldige dafür, wie sich die Welt verändert, und geht dann in diese Kulisse von Rechts." Für sie sei das unfassbar.

"Wir treten ein für Toleranz, für Frieden und Demokratie"

Zum zweiten Mal ist die Döbelnerin heute bei einer Demo in Waldheim dabei. Auch wenn sie überzeugt ist, dass die jungen Leute das eigentlich alleine schaffen: "Ich will wenigstens mitmachen und zeigen - wir sind da, wir treten ein für Toleranz, für Frieden und Demokratie auf der Basis unseres Grundgesetzes." Die Omas gegen Rechts in Döbeln hätten sie überzeugt, doch noch einmal politisch zu werden.

Gegründet habe sich diese Ortsgruppe erst Ende Januar, seitdem hätten sich aber bereits rund 30 Frauen angeschlossen, erzählt Andrea Wendler. Die 58-Jährige ist heute zum ersten Mal in Waldheim dabei. "In Döbeln sind wir mehr und in den großen Städten ist das ja noch mal ganz anders", sagt sie. Beruhigend sei das, man fühle sich aufgehoben. In Waldheim stehen laut Polizeiangaben an diesem Montagabend 205 Gegendemonstranten rund 230 Anhängern von AfD und "Freien Sachsen" gegenüber. Die Demos finden kaum 100 Meter voneinander entfernt statt.

Gut 200 Teilnehmer hat die Polizei bei der Demonstration "Waldheim bleibt bunt" am vergangenen Montag gezählt. Die Gegenseite war mit etwa 230 Menschen erneut in der Überzahl.
Gut 200 Teilnehmer hat die Polizei bei der Demonstration "Waldheim bleibt bunt" am vergangenen Montag gezählt. Die Gegenseite war mit etwa 230 Menschen erneut in der Überzahl. © Lutz Weidler

Beim vergangenen Mal standen Nazis gleich neben uns", erzählt Marianne Hellfritzsch. "Das hat mich noch wütender gemacht." Eine weitere Frau mischt sich ein: Teilnehmer der Versammlung auf dem Niedermarkt seien sogar durch die Gegendemo spaziert und hätten den Menschen direkt ins Gesicht gesehen, um sie einzuschüchtern. Marianne Hellfritzsch ist ehrlich: "Das klappt auch bei mir als älterem Menschen." Trotzdem ist sie wiedergekommen.

Seit der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche zum Geheimtreffen von AfD-Politikern sowie einzelnen Mitglieder von CDU und Werteunion mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner sind deutschlandweit Hunderttausende Menschen für die Demokratie auf die Straße gegangen - auch in Kleinstädten. Doch während in Dresden, Leipzig oder Chemnitz Zehntausende gleichzeitig demonstrieren, sind es auf dem Land oft nur ein paar hundert - und diese nicht selten in der Unterzahl. Wie in Waldheim.

"Wir sind enttäuscht und fühlen uns alleingelassen"

"Hallo Waldheim", ruft am Montagabend die Banda Comunale, die sich vor einem Modegeschäft auf dem Obermarkt aufgebaut hat. "Ein guter Teil von Waldheim!" Das Publikum jubelt und klatscht. Die Brass-Band, bestehend aus einem knappen Dutzend internationaler Musiker, leistet heute musikalische wie moralische Schützenhilfe aus Dresden. Während sie dort öfter riesige Demozüge anführt, an deren Ende die Teilnehmer von einer Band überhaupt nichts wissen, hat in Waldheim der halbe Ort etwas von dem Konzert.

Ein paar Tage zuvor, nach der zweiten Versammlung, hatten sich die Organisatoren mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gewandt: "Großstadt ignorant. Don't forget your Hinterland". Darin erklärten sie: "Wir sind enttäuscht und fühlen uns alleingelassen." Erneut sei keine nennenswerte Unterstützung aus den Großstädten nach Waldheim gekommen. Die Teilnehmerzahl sei zwar von 180 auf 250 gewachsen. Doch auch AfD und "Freie Sachsen" hatten mobilisiert - und waren mit etwa 300 in der Überzahl geblieben.

Zum dritten Mal hat Linken-Stadtrat Eyk Fechner die Demonstration der Bunten Perlen Waldheim angemeldet.
Zum dritten Mal hat Linken-Stadtrat Eyk Fechner die Demonstration der Bunten Perlen Waldheim angemeldet. © Lutz Weidler

Angemeldet hat die Demonstration zum dritten Mal Stadtrat Eyk Fechner (Die Linke), der auch die Bunten Perlen mitgegründet hat. Am Montagabend begleitet ihn ein Filmteam auf der Demo, viele Medien schauen gerade nach Waldheim als Beispiel für Demokratie-Bewegungen im ländlichen Raum.

Obwohl die Bunten Perlen auch an diesem Montag in der Unterzahl sind, zeigt Fechner sich zufrieden über das Verhältnis der Teilnehmer - immerhin an einem Rosenmontag in den Ferien. Trotzdem bleibe es das Ziel, irgendwann mehr zu werden. "Wir werden weiterhin montags anmelden in der Hoffnung, dass AfD und 'Freie Sachsen' irgendwann keine Lust mehr haben."

Fechner sagt, er und andere hätten die meist unangemeldeten Aufzüge lange beobachtet, sich mit Bürgermeister und Landrat dazu beraten. Ergebnis: Der Freistaat dulde das so. Einzige Möglichkeit sei, eine eigene Kundgebung anzumelden. "Ich habe gestern sehr viele Waldheimer gesehen, das hat mich sehr froh gestimmt", sagt Fechner am Tag nach der Demo.

Neben den Omas gegen Rechts sind weitere Senioren auf den Obermarkt gekommen, aber auch Familien mit Kindern und einige junge Leute. Auf selbst gebastelten Schildern steht "Nazis? Nein danke", "Menschenrechte statt rechte Menschen" oder "Alle zusammen für die Demokratie". Ein Regenbogenplakat erklärt, es sei "5 vor 33". Slogans, die man so auch auf Demos in den Großstädten findet.

Knapp 100 Polizeibeamte in Waldheim im Einsatz

Auch eine einzelne Antifa-Flagge ragt aus der Menge und ein Banner neben dem Wettinbrunnen erklärt: "Antifa bleibt Landarbeit!" Kein "schwarzer Block", wie man ihn aus Großstädten kennt, aber ein paar junge Leute, deren selbst gemaltes braunes Huhn seinen Hintern in Richtung Niedermarkt streckt.

Die Organisatoren haben zusätzliche Plakate und Banner mitgebracht, die in Sekundenschnelle verteilt sind. "Waldheim bleibt bunt" steht auf einem Transparent, auf einem anderen "Wer mit Nazis marschiert, hat nix kapiert". Die Redebeiträge der anderen Demo schallen dumpf herüber und gehen in der Musik der Banda Comunale und den eigenen Beiträgen unter. Nur ab und zu hört man Töne der Deutschlandhymne oder "Sing, mei' Sachse, sing" vom Niedermarkt, über den Deutschlandflaggen und AfD-Fahnen wehen.

Ein knappes Dutzend Musiker der Banda Comunale war zur Unterstützung aus Dresden nach Waldheim gekommen. Michal Tomaszewski, der aus Polen stammt, erklärte lachend: "Wir kennen jede Ecke Sachsens - wir sind die patriotischste Band, die es jemals gab."
Ein knappes Dutzend Musiker der Banda Comunale war zur Unterstützung aus Dresden nach Waldheim gekommen. Michal Tomaszewski, der aus Polen stammt, erklärte lachend: "Wir kennen jede Ecke Sachsens - wir sind die patriotischste Band, die es jemals gab." © Lutz Weidler

Prominenteste Rednerin der Gegendemo am Montag ist Gesine Märtens. Die Staatssekretärin im Sächsischen Justizministerium, das auch für Demokratie, Europa und Gleichstellung zuständig ist, dankt ausdrücklich für das "Wachrütteln" und erklärt: "Nie wieder Faschismus von deutschem Boden aus ist ein Versprechen, das es jetzt einzulösen gilt." Man wolle keinen Antisemitismus, Rassismus oder Queerfeindlichkeit in der Gesellschaft. "Das hatten wir alles schon, das brauchen wir nicht wieder." Die Demonstranten jubeln.

"Die Leute, die hier spazieren gehen, kennen uns und genauso andersrum"

Knapp 100 Beamte der Polizeidirektion Chemnitz und der sächsischen Bereitschaftspolizei sind an diesem Abend im Einsatz, gewährleisten "Protest in Hör- und Sichtweite" und sorgen dafür, dass es zwischen beiden Lagern nicht zu Übergriffen kommt. Dafür bilden Busse Absperrungen und Polizeiketten hindern Demoteilnehmer daran, spontan auf die andere Seite zu gehen.

Prominenteste Rednerin am Montagabend in Waldheim: Gesine Märtens, Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung.
Prominenteste Rednerin am Montagabend in Waldheim: Gesine Märtens, Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung. © Lutz Weidler

Brenzlig könnte es immer dann werden, wenn der Demozug von AfD und "Freien Sachsen" an den Gegendemonstranten vorbeikommt. Dann sind es vor allem die jungen Leute, die sich mit Transparenten direkt an die Straße stellen und rufen "Alle zusammen gegen den Faschismus" oder "Ganz Waldheim hasst die AfD". Die "Spaziergänger", die hinter einem Banner mit der Aufschrift "Dem deutschen Volke euer Eid" herlaufen, tröten zurück, viele der überwiegend männlichen Teilnehmer heben Handys zum Filmen.

"Die Leute, die hier spazieren gehen, kennen uns und genauso andersrum", sagt Organisator Fechner. "Das ist stellenweise ein mulmiges Gefühl, wenn man diesen Leuten außerhalb der Demos über den Weg läuft." Von dem einem werde man dann nur böse angeschaut, mit anderen komme man vielleicht ins Gespräch. Das sollte auch das Ziel sein, sagt Fechner: Menschen zurückzuholen. "Wir können nicht Frieden und Demokratie fordern und andererseits Leute ausgrenzen."

200 Waldheimer entsprechen 15.000 Dresdnern

Auch Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, weiß, welchen Mut es gerade in Kleinstädten erfordert, für die Demokratie auf die Straße zu gehen. "Dort bleibt niemand anonym, alle Leute zeigen wirklich Gesicht." Und das bei Zustimmungswerten für die AfD von deutlich über 30 Prozent in den ländlichen Regionen Sachsens.

Gerade dort berät der Verein mit Sitz in Dresden seit 2001 unter anderem Jugendinitiativen, Kirchgemeinden, Netzwerke und Kommunalpolitik, um rechtsextremistischen Strukturen eine aktive demokratische Zivilgesellschaft entgegenzusetzen. "Durch die Demos sehen demokratisch gesinnte Leute, dass sie nicht alleine sind", sagt Nattke. Auf den Straßen träfen nun ganz unterschiedliche Menschen aufeinander, kämen ins Gespräch, vernetzten sich.

Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen stimmen die Demokratiebewegungen im ländlichen Raum hoffnungsvoll.
Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen stimmen die Demokratiebewegungen im ländlichen Raum hoffnungsvoll. © Matthias Rietschel (Archiv)

Das passiert auch in Waldheim. Eyk Fechner berichtet, dass aus den Bunten Perlen, momentan noch etwas linkslastig, ein parteiunabhängiges Bündnis werden soll, das Lesungen und andere Veranstaltungen im Ort organisiert - und so letztlich wieder etwas Leben in den ländlichen Raum bringt. Vielleicht werde noch in diesem Jahr ein Verein gegründet.

Dem zahlenmäßigen Kräftemessen zwischen den Demonstrationen kann Nattke ein wenig den Druck nehmen. Wenn in Waldheim 200 Menschen für die Demokratie zusammenkommen, sei das bei rund 8.500 Einwohnern durchaus beachtlich. Es entspreche etwa 15.000 Demonstranten in Dresden oder Leipzig.

Waldheim als Hotspot für Montagsaufzüge

Dass die "Spaziergänger" in Waldheim mehr seien, hänge damit zusammen, dass der Ort während der Pandemie ein Hotspot für Montagsaufzüge von rechten Akteuren und Verschwörungsideologen in Mittelsachsen geworden sei. "Sie haben über Jahre auf der Straße dominiert und nun kommen Demokratinnen und Demokraten und es droht, dass diese Dominanz verloren geht", sagt Nattke. Deshalb werde stark mobilisiert. Den Gegendemonstranten rät er: "Schaut nicht rüber, sondern auf euch selbst und was ihr Tolles geschafft habt."

Der Demozug der "Montagsspaziergänger" zog wie gewohnt durch Waldheim und kam dabei auch mehrfach an den Gegendemonstranten vorbei.
Der Demozug der "Montagsspaziergänger" zog wie gewohnt durch Waldheim und kam dabei auch mehrfach an den Gegendemonstranten vorbei. © Lutz Weidler

Bewegungen und Netzwerke wie in Waldheim sieht Nattke auch in anderen Kleinstädten wachsen, in Döbeln, Glauchau oder Bautzen zum Beispiel. Dabei entstünden auch Ideen, was man den Montagsdemos entgegensetzen könne, ohne selbst immer eine Gegendemo zu machen. In Bautzen soll es zum Beispiel montags Kulturveranstaltungen an wechselnden Orten geben.

"Letztlich wird die Demokratie in den Kleinstädten in Ostdeutschland verteidigt", sagt Nattke. Denn das seien die Orte, an denen sie in Gefahr ist. "Dort geht es wirklich um alles." Und ein Aspekt, der ihm in der Debatte immer zu kurz kommt: "Diese Demos sind auch ein starkes Zeichen für diejenigen, die von den rassistischen Plänen, die in Potsdam besprochen wurden, betroffen wären."

Im "Hinterland" wie in der Großstadt: Aufgabe der Polizei ist es, die Demonstrationsteilnehmer voneinander getrennt zu halten und dennoch lautstarken Protest zu ermöglichen.
Im "Hinterland" wie in der Großstadt: Aufgabe der Polizei ist es, die Demonstrationsteilnehmer voneinander getrennt zu halten und dennoch lautstarken Protest zu ermöglichen. © Lutz Weidler

Der Montagabend in Waldheim bleibt ohne Zwischenfälle, die Polizei trennt beide Lager erfolgreich, Gewalt muss sie dabei nicht einsetzen. Am Ende schreibt sie vier Anzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz: Teilnehmer der Bunten Perlen hatten ihr Gesicht vermummt, einer zusätzlich sogenannte "Schutzbewaffnung" in Form von Quarzhandschuhen, Pyrotechnik und Holzstock dabei.

Als sich um kurz nach 20 Uhr die Demo auf dem Niedermarkt auflöst, spielt die Banda Comunale auf dem Obermarkt immer noch und verspricht wiederzukommen. Viele Teilnehmer tanzen nun ausgelassen, feiern sich fürs Durchhalten. Am fröhlichsten hüpfen die Schilder der Omas gegen Rechts.