"Menschen brauchen mehr als Fakten"

Frau Nennewitz, Sie stammen aus dem Lausitzer Braunkohlerevier. Befassen Sie sich deshalb mit Klimaschutz?
Nein, obwohl ich Angehörige habe, die im Braunkohlesektor gearbeitet haben. Ich habe im ersten Corona-Lockdown 2020, ausgelöst durch eine Schulaufgabe meines Sohnes, ein Buch zur Klimawissenschaft gelesen. Ich hatte auch einfach mal die Zeit und die Kapazität dafür – etwas, das im normalen Alltag oft fehlt.
Ein befreundeter Geowissenschaftler hat bestätigt, was ich dort über den Klimawandel gelesen habe. Ich hatte also erstmals verstanden, worum es geht: dass Klimaschutz Selbstschutz ist. Aber das hat mich noch nicht zum Handeln geführt.
Das scheint ohnehin ein schwieriger Schritt – warum?
Einige Menschen sind rat- oder hilflos. Außerdem haben viele das Gefühl, allein dazustehen. Das ist grundsätzlich für klimaschützendes Verhalten hinderlich. Wenn ich glaube, das Umfeld macht nicht mit beziehungsweise ich gebe mir große Mühe, das hat aber kaum Auswirkungen, dann lasse ich es bleiben.
Sie haben es nicht bleiben lassen.
Ich bin auf ein Buch des Meteorologen und Moderators Sven Plöger gestoßen mit dem Titel „Zieht euch warm an, es wird heiß!: Wie wir noch verhindern können, dass unser Wetter immer extremer wird“. Darin werden klare Handlungsoptionen genannt. Es geht konkret darum, was man gegen den Klimawandel machen kann. Das brauchen wir als Menschen. Wir müssen sehen, es ist noch nicht zu spät, wir können etwas tun. Es geht dabei um Selbstwirksamkeit: Wir können wirklich etwas beitragen.
Gemeinschaft spielt eine große Rolle?
Das ist richtig. Ich habe auch nach Gemeinschaft gesucht und mich zunächst einer Umweltschutzorganisation angeschlossen, die aber in ihrer Struktur nicht so sehr auf Ehrenamt ausgerichtet ist. Ich bin dann auf die „Psychologists for Future“ gestoßen und habe gemerkt, das ist genau das, wo ich hingehöre. Es hilft, Anschluss an eine Gemeinschaft zu finden, bei der ich mich mit meinen Stärken einbringen kann. Dann gibt es Erfolgserlebnisse und die brauchen wir auch.
Ich habe über diesen Weg zum Beispiel das erste Mal mit Bundestagsabgeordneten gesprochen – das war spannend und wichtig, damit sie nicht immer nur die üblichen Lobbyvertreter sehen. Außerdem habe ich die Möglichkeit bekommen, mit anderen engagierten Psychologinnen Vorträge zum Thema Klimawandel, den Folgen für die Gesundheit und mögliche Lösungen vor Berufskollegen zu halten – und wir hatten Spaß dabei. Inzwischen habe ich überhaupt eine Menge sympathischer Menschen kennengelernt, das erlebe ich als unglaublich bereichernd.
Mit Fakten Zweifler vom Klimawandel überzeugen und Menschen zum Handeln zu bewegen. Warum funktioniert das nicht bei allen?
Die wissenschaftliche, zahlenbasierte Sprache ist schwierig. Damit begeistert man keine Massen. Wenn dann Menschen kommen mit einfachen Botschaften, über die man sich nicht den Kopf zerbrechen muss, und wenn sie vermitteln, du musst dich nicht ändern, dann geht es mir scheinbar erst mal besser. Es ist für viele zudem schwierig, in Prozenten und Wahrscheinlichkeiten zu denken. Das ist nichts, was wir intuitiv verstehen. Echte Zweifler könnte man natürlich fragen, woher sie die Informationen haben. Bei allen Fakten müssen wir überdies auch mit Unsicherheiten zurechtkommen. Wir wissen beispielsweise nicht genau, wo wir mit Blick auf die Erderwärmung Ende des Jahrhunderts landen. Es braucht Stärke, dies auszuhalten und trotzdem ins Tun zu kommen.
Wenn Politiker das nicht schaffen, was sendet das für ein Signal?
Bei den Menschen kommt dann an: Die sind sich doch auch nicht einig, da warten wir erst mal ab, oder wenn keiner drastische Maßnahmen ergreift, kann die Lage ja nicht so ernst sein. Das hilft dem Klimaschutz natürlich nicht.
Womit kann die Politik denen helfen, die wirklich handeln wollen?
Es ist entscheidend, dass Politikerinnen und Politiker endlich wirklich Verantwortung übernehmen, indem sie die Rahmenbedingungen schaffen, um es den Menschen und auch Unternehmen leichter zu machen, sich klimafreundlich beziehungsweise nicht klimaschädlich zu verhalten. Beispiele dafür sind der Ausbau und die Vergünstigung im ÖPNV, Abbau von bürokratischen Hürden für die Nachrüstung von Solaranlagen, Vorgaben und Unterstützung mit Blick auf mehr regionale Bio-Landwirtschaft, Austausch von Öl- und Gasheizungen. Der Import klimaschädlicher Produkte ist auch so eine Sache. Wir haben ja darüber gesprochen, wie schwer es für Menschen ist, den Ernst der Lage zu begreifen. Durch bessere Rahmenbedingungen muss sich nicht erst jeder umfassend informieren und es reduziert sich der Widerspruch zwischen dem Anspruch an mich selbst und dem, wie ich mich – vielleicht auch, weil Alternativen fehlen – verhalte. Anders gesagt, wenn es mir leichter gemacht wird und ich etwas Gutes für den Klimaschutz tue, kann mich dies motivieren, noch mehr davon zu tun.
Helfen gute Beispiele?
Es hilft auf jeden Fall, wenn wir gute Geschichten erzählen. Wir Menschen haben über Jahrtausende Wissen in Form von Geschichten weitergegeben – das funktioniert besser als über reine Fakten. Es spricht Menschen emotional an und zeigt Handlungsoptionen: „Ich kann regional, ökologisch einkaufen und so etwas tun.“ Aber wir dürfen beim Klimaschutz auch nicht nur immer auf die Verantwortung des Einzelnen verweisen.
Wie meinen Sie das?
Es gibt eine Untersuchung vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die zeigt, dass in unserem System selbst sehr bewusste und bereitwillige Menschen ihren persönlichen CO2-Fußabdruck nur unzureichend reduzieren können. Es geht vielmehr um die großen Emittenten in den Bereichen Wirtschaft, Energieerzeugung und Mobilität, Wärmeerzeugung und im Bausektor. Darunter sind manche, die die Verantwortung gern auf den Einzelnen abwälzen. Da muss sich etwas ändern, da ist die Politik gefragt.
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