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Wenn die CDU auf AfD macht, nutzt das vor allem dem Original

"Gendern", "Paschas", "Volkserziehung": Parteichef Merz setzt zunehmend auf Kulturkampf statt wirkliche Sachthemen. Das geht nach hinten los - ein Kommentar.

Von Oliver Reinhard
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Friedrich Merz will es offenbar nicht begreifen: Wer auf Kulturkampf setzt, stärkt das Reaktionäre, nicht das Konservative. Ein Kommentar von SZ-Redakteur Oliver Reinhard.
Friedrich Merz will es offenbar nicht begreifen: Wer auf Kulturkampf setzt, stärkt das Reaktionäre, nicht das Konservative. Ein Kommentar von SZ-Redakteur Oliver Reinhard. © Fotostand

Der Auftritt von Claudia Pechstein beim Berliner CDU-Konvent und noch mehr die Reaktionen diverser Parteigrößen deuten darauf hin: Auch die Christdemokraten verlegen sich stärker auf Kultur- statt Sachkampf und wollen die AfD überholen statt sie einzuholen. Denn natürlich möchte man nicht offiziell mit den gleichen Inhalten punkten wie Rechtsradikale und Rechtsextremisten. Zumal Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer just für seine Partei wieder erklärt hat: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD ist und bleibt für die Union ausgeschlossen.“

Inoffiziell aber tut die CDU faktisch genau das. Nicht nur vereinzelte Rechtsausleger auf Land- und Kreisebene, vielmehr die Bundespartei. Das klingt nicht nur hart. Das ist hart: Der Parteivorsitzende Friedrich Merz steuert im Ringen um Inhalte zunehmend blaue Gewässer an, weg von Sachfragen wie Renten-, Gesundheits- und Bildungspolitik, hin zum populistischen Kulturkampf.

Im Mimimi-Tonfall des kleinen Mannes

So nennt er zum Beispiel Migranten schon mal „Sozialtouristen“ und „Paschas“, er wettert gegen das Gendern, er schmäht die Regierung ganz im Kleiner-Mann-Mimimi-Stil als „engstirnige Meinungselite“. Zorn statt Kritik, Wutmachen statt Mutmachen; so arbeitet Merz zwar nicht „zusammen“ mit der AfD, aber parallel zu ihr - also gemeinsam - an den gleichen Inhalten.

Das ist auch gar nichts grundsätzlich Schlimmes. „Rechts“ ist ein weiter Begriff. Dessen Binnengrenzen verlaufen zwischen „konservativ“ und „reaktionär“ respektive „rechtsradikal“, zwischen Schwarz und Blau, und sie sind fließend. Auch das Reaktionäre gibt es auf beiden Seiten, hüben etwas weniger, drüben sehr viel mehr. Selbst wenn es vielen wehtut: Beides muss seinen Platz haben in einer werte- und meinungsvielfältigen Demokratie.

Gewisse Inhalte aber gehen absolut gar nicht für eine Partei, die wirklich konservativ ist und damit klassisch konservative Werte wie Respekt und vor allem Anstand verkörpern will. Etwa jener vulgäre Rassismus und jener provinzielle Homofeindlichkeit, wie sie Claudia Pechstein in Polizeiuniform verbreitet hat. Doch sie erhielt dafür tosenden Beifall vieler - nicht aller! - Parteigranden, und sie wurde von Friedrich Merz mit der Bestnote für ihre Rede versehen: „brillant“.

Dass "es" auch an ihm liegen könnte, fällt Merz nicht ein

Halbieren wollte der CDU-Vorsitzende die Stimmen der AfD; sie haben sich stattdessen seit der letzten Bundestagswahl fast verdoppelt. Dennoch scheint Merz nicht auf die Idee zu kommen, dass es nicht nur an der Ampel liegen könnte. Sondern auch daran, dass die CDU unter ihm den Kulturkampf der AfD legitimiert, indem sie sich diesen zu eigen macht, aber vor den Resultaten die Augen verschließt: Sämtliche Umfragen belegen, dass die CDU davon nicht profitiert. Vielmehr allein das Original. Wie übrigens überall in Europa.

Auch die Merz-CDU könnte also wissen: Wer auf Kulturkampf setzt, stärkt das Reaktionäre, nicht das Konservative.

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