Wer gewinnt den Machtkampf bei der AfD auf dem Parteitag in Riesa?

Es ist ein Frontalangriff auf den Parteichef. Tino Chrupalla sitzt nach der Landtagswahl in NRW in der Bundespressekonferenz, nur knapp ist die AfD wieder in den Landtag eingezogen. Chrupalla soll das schlechte Ergebnis erklären. Doch zeitgleich mit Beginn der Pressekonferenz geben seine Gegner in der AfD eine Pressemitteilung heraus.
Das Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf etwa erklärt, Chrupallas russlandfreundlicher Kurs sei ein Irrweg, "der die AfD fast eine weitere Landtagsfraktion gekostet hätte". Chrupalla wird in der Pressekonferenz mit der Attacke konfrontiert. "Das ist wie früher beim Camping", sagt er sichtbar genervt. "Da haben sich immer diejenigen beschwert, dass es nass im Zelt ist, die auch ins Zelt hineingepinkelt haben."
Chrupalla ist zuletzt stark unter Druck geraten
Dieser Kleinkrieg vor laufender Kamera war ein Vorbote des Bundesparteitages der AfD, der am Wochenende im sächsischen Riesa stattfindet. Hier wird sich entscheiden, wer künftig das Ruder in der Hand hält: Chrupalla, der vom formal aufgelösten, rechtsextremen "Flügel" in der AfD gestützt wird, oder das gegnerische Lager, das im Vergleich dazu als gemäßigt gilt. Im Vorfeld des Parteitages sind die Lagerkämpfe offen ausgebrochen, zugleich wird im Hintergrund telefoniert, werden Absprachen getroffen. Es geht um den künftigen Kurs der AfD. Auch ein alter rechtsextremer Bekannter ist neuerdings wieder sehr aktiv: der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke. Wer setzt sich am Ende durch?
Chrupalla ist zuletzt stark unter Druck geraten. Bei zehn Landtagswahlen in Folge habe die AfD unter seiner Führung Prozentpunkte verloren, halten ihm seine Gegner vor. Zwar führte Malermeister Chrupalla die AfD bis zu dessen Austritt gemeinsam mit dem Wirtschaftsprofessor Jörg Meuthen. Aber jetzt steht Chrupalla allein an der Spitze, die Misserfolge werden als seine Misserfolge ausgelegt. Seine Gegner halten ihn für wenig intellektuell. Entsetzt waren sie über seine Bundestagsrede am 27. Februar, in der Chrupalla – drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – Moskau für die deutsche Einheit dankte.
Vergangene Woche kommt Norbert Kleinwächter leicht genervt in seinem Bundestagsbüro an, er stand im Stau. Der 36-jährige Brandenburger ist Vizechef der AfD-Fraktion, jetzt will er Parteichef werden, eine Kampfkandidatur gegen Chrupalla wagen. Kleinwächter sagt, die AfD brauche einen Neustart, eine Veränderung im Personal. Sie sei in einer Kommunikations-, einer Stil- und einer Identitätskrise. Die Partei müsse die Frage beantworten: "Sind wir reine Negativpopulisten oder wollen wir gestalten – und verkörpern diesen Anspruch auch?"

Der 36-Jährige, von Beruf Lehrer, gilt zwar als recht redegewandt und klug, aber nicht als Charismatiker. Er zählt zum vergleichsweise gemäßigten Lager. Dass Kleinwächter eine Chance hat, glauben Parteiinsider nicht. Lange bekämpfte Kleinwächter in Brandenburg den einstigen "Flügel"-Strippenzieher und Rechtsextremisten Andreas Kalbitz. Damit hat er sich viele Feinde gemacht.
"Wir müssten bei 30 Prozent stehen"
Ebenfalls für den Parteivorsitz antreten will Nikolaus Fest. Der Jurist und frühere "Bild"-Journalist trat 2016 der AfD bei, sitzt seit 2019 im Europaparlament, führte zwischenzeitlich den Berliner Landesverband. In seinem Bewerbungsvideo moniert er den desolaten Zustand der AfD. "Wir müssten bei 30 Prozent stehen, mindestens. Stattdessen kämpfen wir im Westen mit der Fünf-Prozent-Hürde", erklärte er.
Fest wird parteiintern zwar eher zum Lager von Kleinwächter und Co. gezählt. Seine scharfen Reden und islamfeindlichen Äußerungen ergeben aber kein besonders gemäßigtes Bild. In seinem Bewerbungsvideo spricht er sich dafür aus, im künftigen Bundesvorstand alle Lager einzubinden – übersetzt heißt das: auch die extrem Rechten. Sein Versprechen: den Dauerstreit in der Partei zu beenden.
Anders als Kleinwächter würde Fest nur dann direkt gegen Chrupalla antreten, wenn sich der Parteitag entscheidet, eine Einzelspitze zu wählen. Sollte es wieder zu einer Doppelspitze kommen, würde Fest für den zweiten Sprecherposten kandidieren und so eine direkte Konfrontation mit Chrupalla vermeiden, der für den ersten Sprecherposten antritt.
Ob es am Ende zu einer Einzel- oder zu einer Doppelspitze kommt – dazu wagen nur wenige in der Partei eine Prognose. Momentan ist eine Einzelspitze nicht vorgesehen, dazu wäre eine Satzungsänderung notwendig, für die es eine Zwei-Drittel-Mehrheit auf dem Parteitag braucht.
Die Angriffe könnten Chrupalla genützt haben
So oder so werden die besten Chancen auf den Parteivorsitz nach wie vor Chrupalla ausgerechnet. Die Frontalangriffe aus dem Ex-Meuthen-Lager könnten ihm sogar geholfen haben. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar hatte öffentlich erklärt, mit Chrupalla ende die "Erfolgsgeschichte" der AfD, er dürfe nicht noch einmal antreten. Chrupallas Gegner luden sogar zu einem Pressegespräch. Selbst im eigenen Lager hielten das einige für strategisch unklug. Die Reihen hätten sich dadurch hinter Chrupalla eher geschlossen, heißt es.
Chrupalla hat mittlerweile eine Liste mit seinen Wunschpersonalien für den Bundesvorstand vorgestellt – sein "Team Zukunft". So ein Schritt ist für die AfD ungewöhnlich. In der renitenten Partei stößt es normalerweise auf Widerstand, wenn von oben eine Liste vorgegeben wird, die dann einfach durchgewählt werden soll. Begeisterung rief die Liste intern auch deshalb nicht hervor, weil ein Teil der Kandidaten völlig unbekannt ist. Sie ist aber offenbar das Resultat unzähliger Telefonate von Chrupalla, der darauf achten wollte, dass die großen Landesverbände ausreichend repräsentiert sind. Bekanntere Namen sind der Scharfmacher Stephan Brandner aus Thüringen oder der Finanzpolitiker Peter Boehringer aus Bayern, der in der Vergangenheit die Nähe zu Querdenkern suchte.
Weidel hat gerade an der Basis viele Fans
Auch die Ökonomin Alice Weidel steht auf der Liste. Mit ihr führt Chrupalla gemeinsam die Bundestagsfraktion. Sollte es zu einer Doppelspitze kommen, gilt es als eine wahrscheinliche Option, dass sich Chrupalla und Weidel gemeinsam an die Spitze der Partei wählen lassen. Obwohl Weidel in der Vergangenheit im Bundesvorstand immer wieder im Sinne des extrem rechten "Flügels" abgestimmt hat, gilt sie vielen in der Partei aufgrund ihres Auftreten und ihres Aussehens als "bürgerliches" Aushängeschild. Gerade an der Basis hat sie viele Fans.

Sollte der Vorstand nach Chrupallas Wünschen gewählt werden, wäre es ein Bundesvorstand, der in seinem Sinne agieren würde – und den extrem Rechten in der Partei kaum Paroli bieten würde. Von den eher moderateren Personalien auf der Liste wäre wenig Gegenwind zu erwarten. "Er will einen schwachen Vorstand haben, um selber stark zu sein", sagt einer von Chrupallas Gegnern.
Es ist jedoch zu erwarten, dass es zu Kampfkandidaturen kommt. So könnte die Berlinerin Beatrix von Storch – bislang nicht auf der Liste – versuchen, gegen eine der unbekannteren Personen auf der Liste anzutreten und so doch noch in den Vorstand zu kommen.
Höcke kokettierte damit anzutreten
Und Björn Höcke? Der Thüringer Rechtsextremist hatte vor mehreren Wochen erklärt, er erwäge, die Parteiführung auf Bundesebene mitzuprägen, kokettierte intern sogar mit einer Kandidatur im Falle einer Einerspitze. Mehrfach war Höcke in Berlin, um die Lage zu sondieren. Mittlerweile gilt es als unwahrscheinlich, dass er antritt. Auf den Parteivorsitz hat er gegen Chrupalla keine Chance. Eine Niederlage würde seinen Nimbus in der Partei beschädigen. Nur für einen eher unwichtigen Beisitzerposten zu kandidieren, würde Höcke als unter seiner Würde betrachten, glauben sie in der Partei.

Dennoch wird Höcke versuchen, dem Parteitag seinen Stempel aufzudrücken. Ein Blick ins nicht anonymisierte Antragsbuch, das dem Tagesspiegel vorliegt, zeigt, bei wie vielen Initiativen er seine Finger im Spiel hat. Da ist unter anderem der Antrag, der den künftigen Bundesvorstand auffordert, eine "Kommission zur Vorbereitung einer Parteistrukturreform" einzusetzen. Gemunkelt wird, dass Höcke hofft, vom neuen Bundesvorstand als deren Leiter eingesetzt zu werden.
Der Thüringer wird zudem gemeinsam mit anderen versuchen, eine russlandfreundliche Position zum Ukraine-Krieg festzuschreiben. Die Resolution, die der Parteitag beschließen soll, fordert, die Sanktionen gegen Russland und die Nord-Stream-II-Blockade aufzuheben, sie wendet sich gegen eine Ausdehnung der Nato nach Osten und gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine.