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Wie die Freien Wähler zurück in Sachsens Landtag wollen

Die Chaostage bei den Freien Wählern in Sachsen sind vorbei. Im Herbst 2024 will sie in den Landtag des Freistaates einziehen. Doch mit welchem Programm?

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Die Freien Wähler wollen sich in Sachsen neu aufstellen.
Die Freien Wähler wollen sich in Sachsen neu aufstellen. © Archiv/Matthias Balk/dpa (Symbolfoto)

Leipzig. Wenn es nach dem Gesetz der Serie geht, steht dem Einzug der Freien Wähler (FW) in den Sächsischen Landtag 2024 nichts mehr im Wege. Doch so einfach ist es nicht. Zuletzt konnten die Freien Wähler ihr Wahlergebnis verdoppeln, nach 1,6 Prozent 2014 folgten 3,4 Prozent der Zweitstimmen fünf Jahre später. Mit einer weiteren Verdoppelung wäre man am Ziel. "Wir müssen einmal über diese Hürde springen. Dann können wir zeigen, wie wir Politik verstehen. Wenn wir es dieses Mal nicht schaffen, wann dann", sagt FW-Landeschef Thomas Weidinger.

Freie Wähler und Wählervereinigungen sind traditionell in Kommunen stark. Bei den Gemeinderatswahlen 2019 kamen sie in Sachsen auf 25,8 Prozent der Stimmen. Da Vereinigungen zur Landtagswahl aber nicht antreten dürfen, wurde die Landesvereinigung Freie Wähler Sachsen als Partei gegründet. Bundesweit gelang bisher nur in Bayern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz der Sprung in ein Länderparlament. In Bayern sitzen die Freien Wähler sogar in der Regierung. Der dortige FW-Vorsitzende Hubert Aiwanger ist Bayerns Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef.

Freie Wähler: Landeschef Weidinger Bürgermeister-Tour

Von derlei Gedankenspielen ist man in Sachsen noch weit entfernt. Nur mit ironischem Ton spricht der Leipziger FW-Chef Bernd Schulze von Ambitionen: "Wir würden Herrn Kretschmer gern die Grünen abnehmen. Er ist wohl sehr unglücklich mit diesem Koalitionspartner", sagt der Banker in Richtung von CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer. "Die bayerische Lösung - eine bürgerliche Koalition ohne AfD - das gefällt mir. Es gibt in Sachsen ein bürgerliches Wählerpotenzial in der Größenordnung von 60 bis 70 Prozent", hebt Weidinger hervor.

Der 61 Jahre alte Jurist übernahm die FW in Sachsen Ende März 2021 in einer schwierigen Phase. Drei Monate zuvor waren sie nach internen Querelen auseinandergebrochen. 35 Frauen und Männer - gut ein Viertel aller Mitglieder - verließen die Partei. Zwist um Ex-Chef Steffen Große hatte es schon vorher gegeben. Unter vorgehaltener Hand hört man, er sei auch auf Betreiben der Bundespartei aus dem Amt gedrängt worden. Weidinger möchte so etwas nicht kommentieren und nur nach vorn schauen.

Am 25. März will er sich als Parteichef zur Wiederwahl stellen. Die letzten zwei Jahre verbrachte er vor allem damit, was seinem Vorgänger offenbar nie gelang - die Verbindung zu den Wählervereinigungen in den Kommunen herzustellen. "Wir haben etwas mehr als 100 parteilose Bürgermeister in Sachsen. Nicht alle von ihnen konnte ich in dieser Zeit aufsuchen, bei etwa der Hälfte bin ich gewesen", sagt Weidinger. Er sei in dieser Zeit Tausende Kilometer über Land gefahren und habe nebenbei so manche ihm noch unbekannte Ecke Sachsens kennengelernt.

"Männerlastig"

"Wir müssen die Leute vor Ort fragen, was sie von einer im Landtag vertretenen Partei erwarten", betont der Parteichef. Auch wenn die Mitgliederzahl der Freien Wähler noch immer um die Zahl 100 schwanke, gebe es inzwischen Gliederungen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten. "Was mich optimistisch stimmt: Wir haben eine junge Mannschaft." Im Erzgebirge macht inzwischen auch ein früherer sächsischer CDU-Staatssekretär mit. Günther Schneider war mit dem Kurs der Union im Freistaat unzufrieden, 2022 kehrte er der CDU den Rücken.

Nein, man wolle kein Sammelbecken frustrierter CDU-Politiker sein, sagt der Vorsitzende. Doch bei Schneider habe das gut gepasst. "Wir sind nach wie vor ein kleiner, übersichtlicher Haufen. Aber: Ein kleines Schnellboot ist besser zu lenken als ein großer Tanker. Wir wollen jetzt nicht auf Teufel komm raus neue Mitglieder." Momentan sei die Partei stabil, die Leute würden mitziehen. Mit Blick auf Direktkandidaten für die Landtagswahl würde man sich jedoch auch über Leute von außen freuen. Weidinger denkt vor allem an Bürgermeister.

Der Leipziger Bernd Schulze nennt weiteren Änderungsbedarf. Aktuell sei man stark "männerlastig". "Wenn wir eine Quote hätten, könnten wir für die Wahl derzeit gar keine paritätische Liste aufstellen. Wir brauchen mehr Frauen in der Politik, sie bringen andere Sichtweisen ein. Auf jeden Fall benötigt es Menschen, die unsere Überzeugung teilen und keine, die mit der Aussicht auf ein Landtagsmandat schnell noch auf den Zug aufspringen wollen." Wen genau die FW-Spitze als Spitzenkandidaten im Auge hat, bleibt vorerst geheim.

Von den Rändern abgrenzen

Seit Monaten schon arbeitet eine FW-Kommission am Parteiprogramm zur Landtagswahl. Sechs Themen sind dafür herausgefiltert worden. Es geht um kommunale Finanzen und Selbstverwaltung, um die mittelständische Wirtschaft, Bildung, Sicherheit und einen besseren Zivilschutz. Vor allem aber möchten die Freien Wähler auf das demografische Problem mit einem stark wachsenden Anteil alter Menschen reagieren. Die Familienpolitik und ein attraktives Leben in den ländlichen Regionen stehen deshalb ganz oben auf der Agenda.

Die Partei will für Sachpolitik stehen. Man grenze sich klar gegenüber den extremen Rändern ab, sagt Weidinger: "Das gilt für Rechts und Links gleichermaßen." Schulze bedauert, dass heute viel zu sehr Ideologie eine Rolle spiele. "Meinungen und Personen werden in Schubladen gepackt, Lösungen als alternativlos verkauft. Die Gesellschaft hat die Fähigkeit zur Debatte verloren." Mit Anträgen und Meinungen anderer setze man sich ausschließlich inhaltlich auseinander. "Die Freien Wähler unterstützen jeden Vorschlag, der dieses Land und dessen Bürger nach vorn bringt. Allein darum geht es." (dpa)