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Kretschmer: „Man wird schnell als Putins Vasall diffamiert“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht im Interview über Friedensverhandlungen mit Russland, wirkungslose Entlastungen und deutsches Fracking-Gas.

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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU)
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) © kairospress

Von Felix Hackenbruch und Maria Fiedler

Herr Kretschmer, in der Politik gibt es Befürchtungen, es könnte angesichts der hohen Energiepreise einen Wutwinter und Massenproteste geben. Was erleben Sie, wenn Sie derzeit in Sachsen unterwegs sind?

Ich erlebe Zustimmung dafür, dass ich dieses moralische Dilemma, in dem wir stecken, sehr klar anspreche. Wir sind schockiert über den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und wir sehen die massiven wirtschaftlichen Folgen für Deutschland und darüber hinaus. Die Menschen, mit denen ich spreche, haben existenzielle Sorgen in Bezug auf die Preise und Energiekosten.

Braut sich da etwas zusammen?

Aktuell versenden die Energieversorger überall im Land Schreiben, die heftige Preiserhöhungen ankündigen, teils Steigerungen um das Vier- oder Fünffache. Ein großer Teil der Menschen, und da rede ich nicht nur von Geringverdienern, wird solche Beträge nicht bezahlen können. Es gehört zu unserer Demokratie, dass die Menschen ihre Sorgen offen äußern dürfen – auch in Demonstrationen. Das kann man niemandem vorwerfen und ich finde es auch nicht richtig, wie Außenministerin Annalena Baerbock vor „Volksaufständen“ warnt. Das ist nicht verantwortungsvoll. Wenn die Bundesregierung sieht, dass hier eine Situation entsteht, die für die Bevölkerung nicht auszuhalten ist, muss sie alles tun, das abzuwenden.

Die Bundesregierung debattiert permanent über Entlastungen. Gerade hat sie beschlossen, die Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf sieben Prozent zu senken.

Solange man nicht bereit ist, die eigentlichen Ursachen für die Preissteigerungen anzugehen, bleiben Entlastungen ein Fass ohne Boden. Viele Menschen haben noch das starke staatliche Handeln in der Staatsschulden-, Banken- oder Coronakrise vor Augen. Über Parteigrenzen hinweg haben wir sehr schnell Entscheidungen getroffen und Unternehmen gerettet. Es gibt eine Erwartung in der Bevölkerung, dass es wieder so läuft. Die Situation jetzt ist aber grundlegend anders. Es geht nicht um die Überbrückung von einigen Monaten – wir haben es mit einem grundlegenden energiepolitischen Problem zu tun.

"Wir werden für fünf bis zehn Jahre Gas aus Russland brauchen"

Finden Sie, Entlastungen bringen nichts?

Natürlich brauchen Menschen mit kleinen Einkommen und Renten Entlastungen, ebenso Unternehmen, die einen hohen Energie-Verbrauch haben. Das Problem ist, dass die Bundesregierung gar nicht versucht, die Gaspreise wieder auf ein erträgliches Niveau zu senken. Dass die Preise so explodiert sind, liegt doch daran, dass die Importeure kein russisches Gas mehr in der früheren Größenordnung bekommen und stattdessen auf dem Weltmarkt Alternativen benötigen.

Die Bundesregierung will möglichst komplett auf russisches Gas verzichten. Da sage ich: Das geht nicht. Wir lösen das Problem auch nicht, indem wir alle ein bisschen weniger heizen oder beleuchten. Der Verbrauch liegt im Wesentlichen in der Industrie. Diesen bekommen wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht signifikant gesenkt, ohne dass Arbeitsplatzverluste drohen.

Das heißt in der Konsequenz?

Wir werden für fünf bis zehn Jahre Gas aus Russland brauchen, weil es in der Menge und zu dem Preis nicht zu ersetzen ist. Deshalb müssen wir uns für ein Ende des Krieges engagieren, damit eine wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder möglich ist.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und der russische Präsident Wladimir Putin 2019 in St. Petersburg.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und der russische Präsident Wladimir Putin 2019 in St. Petersburg. © Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Muss es angesichts des brutalen Vorgehens Russlands nicht das Ziel sein, sich komplett unabhängig von diesem Land zu machen?

Als 2011 der Atomausstieg im Raum stand, habe ich mit Kolleginnen und Kollegen bereits davor gewarnt, dass damit eine größere Abhängigkeit von Energielieferungen aus dem Ausland verbunden sein wird. Das gleiche habe ich gesagt, als 2018 der Braunkohleausstieg beschlossen wurde. Ich habe die Abhängigkeit vom Ausland immer kritisch gesehen. Deswegen muss Deutschland jetzt auch alles in die Waagschale werfen, was wir an Ressourcen in unserem Land haben: Wasserkraft, Biomasse, Atomkraft, Braunkohle, sogar Fracking. Das Ziel: Die Preise müssen runter. Die Bundesregierung darf hier nicht ideologiegetrieben handeln.

"Heimisches Fracking-Gas wäre eine Möglichkeit, um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren"

Die verbliebenen Atomkraftwerke wurden zuletzt vor 13 Jahren umfangreich gecheckt. Wenn man die AKW ohne Überprüfung weiterlaufen ließe, müsste Deutschland sein eigenes und europäisches Recht brechen.

Wenn wir unsere Ressourcen nicht nutzen, kommen wir aber von den hohen Preisen nicht runter. Das ist ein Weg, den dieses Land nicht aushält. Diese Energiepreise zerstören alles, was die Grundlage ist, für unsere gesunde Wirtschaft und sozialen Frieden. Das darf nicht die Konsequenz sein. Wenn Gas aus Russland nicht mehr unsere Brückentechnologie sein soll, brauchen wir andere Lösungen.

Und da würde sich aus Ihrer Sicht auch Fracking anbieten? Bis mit dieser Technologie Gas in Deutschland gefördert werden könnte, würden mehrere Jahre vergehen.

Heimisches Fracking-Gas wäre eine Möglichkeit, um die Abhängigkeit von Russland und auch vom Weltmarkt zu reduzieren. Die Lieferungen von Flüssiggas etwa aus den USA sind extrem teuer, damit sinken die Preise nicht wieder. Für das Gas-Kraftwerk ist es ja egal, ob wir LNG-Gas aus den USA, Pipeline-Gas aus Russland oder Fracking-Gas aus Deutschland nutzen. Nur der Preis unterscheidet sich enorm.

Finden Sie eigentlich, Deutschland sollte offen dafür sein, die Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen? Putin lockt ja schon: Die Trasse sei fertig, während es bei Nord Stream 1 zu einem weiteren Absinken der Gasmenge kommen könnte.

Wir wissen doch alle, dass das ein vergiftetes Angebot ist. Nord Stream 1 funktioniert ja. Die Reduktion der Gasmenge ist eine Reaktion auf die Sanktionen, die wir verhängt haben.