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Michael Kretschmer im Interview: "Das ist Verschleiern und Vortäuschen von Politik"

Michael Kretschmer will den Rechtsextremismus besser "einhegen", damit die Wahl in seinem Land 2024 nicht zur Protestwahl wird. Ein Gespräch über Grenzkontrollen als Notlösung und die Abschiebeoffensive des Kanzlers.

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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU)
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) © dpa

Von Daniel Friedrich Sturm und Christopher Ziedler

Herr Ministerpräsident, was bedeutet das Karlsruher Urteil, mit dem schuldenfinanzierte Investitionsfonds des Bundes verfassungswidrig wurden, für Sachsen? Haben Sie die Fabrik des taiwanischen Chiphersteller TSMC in Dresden schon in den Wind geschlagen?

Ich gehe fest davon aus, dass die Ansiedlung wie geplant gelingt und das Wort des Bundeskanzlers steht. Ich finde das Karlsruher Urteil richtig. Es entspricht meiner Überzeugung – und einer Haushaltspolitik, wie sie in Sachsen seit 1990 praktiziert wird.

Trotzdem stellt es Zukunftsinvestitionen, die bisher aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert werden sollten, infrage.

Das Bundesverfassungsgericht hat in Verantwortung für kommende Generationen entschieden: Die Bundesregierung darf mit dem Geld nicht umgehen, wie sie will. Es ist ein gutes Signal, dass die Ampelkoalition ihre falsche Wirtschaftspolitik nicht mit Schulden kaschieren darf. Jetzt müssen wir priorisieren: Was ist besonders wichtig? Was wichtig? Was „nice to have“?

Was ist besonders wichtig?

Alles, was künftig Wachstum und Einnahmen generiert. Erleichterungen für den Mittelstand und Investitionen in Zukunftstechnologien wie Mikroelektronik.

Was ist nur „nice to have“?

„Nice to have“ sind 5.000 neue Arbeitsplätze für die Auszahlung der Kindergrundsicherung. „Nice to have“ ist, dass die Sozialhilfeträger beim Unterhaltsvorschussgesetz maximal ein Drittel der ausgezahlten Gelder von den nicht Zahlungswilligen, meistens Vätern, nicht zurückbekommen. Und gänzlich falsch ist: Energie künstlich zu verknappen und in der Folge mit staatlichem Geld steigende Energiepreise zu subventionieren. Menschen, die arbeiten können, aber nicht wollen, Geld zu geben. Überstunden zu verbieten, anstatt sie zu belohnen.

Keinen staatlichen Euro kostet es, die Bauvorschriften zu ändern und als Standard das KfW-Effizienzhaus 70 anzuwenden. Statt den überzogenen Vorgaben KfW 40 oder KfW 55. Diese Maßnahme ist zwingend, um Bauen wieder preiswerter zu machen und den gerade stattfindenden Absturz der Bauwirtschaft aufzuhalten.

Ihr Parteifreund und Amtskollege, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), will die Schuldenbremse reformieren. Sie auch?

Wenn Sie die 60 Milliarden Euro im KTF durch drei teilen, kommen Sie auf 20 Milliarden Euro im Jahr – bei einem Bundeshaushalt von 500 Milliarden Euro. Wir geben dieses Jahr 50 Milliarden Euro für Flucht und Migration aus. Wer sollte diese 20 Milliarden jährlich einsparen können, wenn nicht die Bundesrepublik?

Wenn wir danach feststellen, dass wir immer noch dringend Geld für wichtige Zukunftsprojekte brauchen, können wir über alles reden – vorher nicht.

Kretschmer: "Es ist keine Zeit für Häme. Wir müssen eine Staatskrise verhindern"

Da wird es Sie ärgern, dass für 2023 die Schuldenbremse nachträglich ausgesetzt werden soll, oder?

Die Regeln dieser Schuldenbremse funktionieren. Der Bund kann eine Notlage feststellen, infolge einer Flut, eines Krieges, einer Pandemie. Diese Bundesregierung aber stellt die Notlage fest, nachdem sie Deutschland selbst in diese Notlage gebracht hat.

Werden nach Berlins Bürgermeister Wegner weitere Ministerpräsidenten der CDU der Regierung beispringen und die Schuldenbremse infrage stellen?

Alle Länder sind bereit, der Bundesregierung die Hand zu reichen. Es ist keine Zeit für Häme oder Schadenfreude. Wir müssen eine Staatskrise verhindern. Aber wo lebt diese Regierung? Die Menschen sind zunehmend frustriert, die Ampel hat nur noch jeden dritten Bürger hinter sich.

Verstehen Sie es, dass CDU-Chef Friedrich Merz die Gespräche mit dem Kanzler über den Deutschlandpakt Migration aufgekündigt hat?

Das ging nicht von Merz aus. Die Bundesregierung legt einfach keine Vorschläge zur Migrationspolitik vor. Sie wartet ab, während 16 Länder, Kommunen, Kirchen sagen: So geht es nicht. Wir geben 50 Milliarden Euro für Geflüchtete aus! Das ist das Ergebnis des Zauderns und Zögerns dieser Regierung. Die Bevölkerung will dieses Geld so nicht ausgeben! Diese Politik ist falsch und gefährdet den sozialen Frieden.

Trotzdem hat Scholz zweimal eingeladen.

Aber mit welchem Ziel? Es kann ihm doch nur darum gegangen sein, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag für eine Asyl-Grundgesetzänderung zu bekommen. Der Kanzler erklärt nicht, was er will. Er lässt sich für eine Abschiebeoffensive feiern – doch im Gesetz steht, damit ließen sich nur 600 Menschen mehr abschieben. Das ist Verschleiern und Vortäuschen von Politik.

An der Grenze von Sachsen zu Tschechien und Polen hat sich der Bund lange vor Kontrollen gesträubt. Nun wird kontrolliert, Schlepper werden aufgehalten, Einreisen verhindert. Wollen Sie noch mehr Kontrollen?

Es ist eine schwierige Situation. Wir haben 60 Kilometer lange Staus in Frankfurt/Oder, zehn Kilometer lange Staus bei uns in Görlitz.

Die Migration ist um 40 Prozent gesunken – ein Erfolg, aber mit einem riesigen Aufwand und Frust. Natürlich ist es besser, die Sozialleistungen für Asylbewerber deutlich zu kürzen, den Familiennachzug einzuschränken, an den Außengrenzen zu kontrollieren.