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"Wir hoffen auf eine schnelle Entscheidung"

MDR-Intendantin Karola Wille erklärt, was der Sender nach dem Stopp der Beitragserhöhung vorhat.​

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Karola Wille ist seit November 2011 Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks.
Karola Wille ist seit November 2011 Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks. © Britta Pedersen/dpa

Frau Professor Wille, müssen Sie im kommenden Jahr eins der drei MDR-Landesfunkhäuser schließen?

Dass der Mitteldeutsche Rundfunk Funkhäuser in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hat, ist gesetzlich geregelt. Wir schließen keines, gerade die Nähe zu den Menschen im Sendegebiet zeichnet uns aus: wir berichten von hier für hier. Der Sender hat rund 2.000 festangestellte Mitarbeiter.

Bleibt es beim Beitrag von 17,50 Euro, müssen Sie dann welche entlassen?

Bliebe er so, fehlen uns 165 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre. Damit sind wir nicht bedarfsgerecht finanziert. Deshalb gehen wir vor das Bundesverfassungsgericht, um die Sache juristisch prüfen zu lassen. Bliebe es bei 17,50 Euro, kann das nicht ohne Auswirkungen auf das Programm bleiben.

Wie sehen die juristischen Schritte aus? Es liegt ja kein Staatsvertrag vor, den die Sender beanstanden können.

Wir gehen nach Karlsruhe, weil es hier um ein Grundrecht geht, nämlich die Rundfunkfreiheit. Die Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wissen, dass der Staatsfunk vor 30 Jahren abgeschafft und die Rundfunkfreiheit von ihnen erkämpft wurde. Zur staatsfernen Organisation gehört auch die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Darüber entscheidet deshalb nicht die Politik. Es gibt ein geregeltes Verfahren, das diese Unabhängigkeit sichert. In diesem Verfahren entscheiden nicht wir über die Beitragshöhe, sondern eine unabhängige Kommission, die uns wirtschaftlich genau unter die Lupe nimmt und dann eine Empfehlung für die Höhe des Beitrags abgibt. Und wenn Sachsen-Anhalt darüber nicht entscheidet, dann ist das eine Nicht-Zustimmung. Wir sehen uns dadurch im Grundrecht auf Rundfunkfreiheit gefährdet. Deshalb gehen wir mit einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe.

Im Eilverfahren?

Wir werden ein Eil- und Hauptsacheverfahren anstrengen – ARD, ZDF und Deutschlandradio.

Erstaunt Sie die Wucht, mit der die Debatte geführt wird?

In Finanzdebatten geht es immer auch um Legitimationsdebatten. Wir sehen, dass mittlerweile 14 Parlamente für die Beitragserhöhung gestimmt haben. Dort haben die Gründe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade im Pandemiejahr überzeugt, auch was die Legitimation anbelangt. Die Menschen nutzen uns so stark wie nie, brauchen uns, vertrauen uns. Wir haben auch viele Gespräche mit gesellschaftlichen Gruppen von Bauernverbänden, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden bis hin zu den Kirchen geführt. Alle betonen den hohen gesellschaftlichen Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den Zusammenhalt und finden, dass man diesen Rundfunk auch angemessen finanzieren muss.

Und wie sind die Chancen in Karlsruhe?

Wir hoffen auf eine schnelle Entscheidung. Es ist nicht das erste Mal, dass wir dorthin gehen. Zahlreiche Urteile hatten wir schon, Rundfunkfreiheit muss man offensichtlich immer wieder erstreiten und auf‘s Neue schützen.

Um aus der Zwickmühle zu kommen, dass die Landtage eigentlich Ja sagen müssen, hofft Sachsen-Anhalt darauf, dass Karlsruhe sagt: Die Kommission empfiehlt, die Ministerpräsidenten entscheiden, das ist es dann.

Das wäre juristisch darstellbar. Aber dieses neue Verfahren müsste von 16 Landtagen beschlossen werden.

Kritiker bringen das Thema der aus ihrer Sicht hohen Intendantengehälter ins Gespräch. Thüringens Regierung plädiert dafür, die Gehälter zu deckeln, etwa auf dem Niveau des Verfassungsgerichtspräsidenten.

Die Gehälter werden nicht von Intendantinnen und Intendanten frei festgesetzt. Darüber entscheiden Aufsichtsgremien. Über eine andere Regelung müsste der Gesetzgeber entscheiden.

Sender verweisen ja darauf, dass sie bereits Sparanstrengungen umsetzen. Wie sehen diese beim MDR aus?

Der Mitteldeutsche Rundfunk ist eine schlanke und leistungsstarke öffentlich-rechtliche Anstalt. Wir haben durch die Beitragsentwicklung in den letzten Jahrzehnten und durch die hohe Zahl von Wegzügen aus Teilen der Region schon immer einen hohen Kostendruck. Das hat etwa zu niedrigen Produktionskosten, zu einem niedrigen Anteil an Personalkosten und zu einer frühzeitigen Reform im Bereich der Altersversorgung geführt. Als der MDR den ARD-Vorsitz hatte, haben wir im ARD-Verbund große Strukturreformen im Bereich Produktion, Technik und Verwaltung angestoßen. Das zeigt, dass viel an Reformen passiert. In den kommenden vier Jahren sollen ARD-weit durch diese Reform 311 Millionen Euro eingespart werden. Dieses Effizienzpaket hat die unabhängige Kommission gewürdigt. Hätten wir das nicht, wäre der Beitrag weitere 18 Cent höher.

Was glauben Sie: Warum hat Ministerpräsident Haseloff entschieden, dass der Landtag nicht abstimmt?

Das müssen Sie den Ministerpräsidenten fragen.

In der Magdeburger Staatskanzlei hieß es zunächst, dass die Folgen der Coronapandemie beachtet werden sollen.

Am Mittwoch dieser Woche haben die Parlamente in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen der Erhöhung von 17,50 auf 18,36 Euro zugestimmt, inmitten der Coronazeit.

Hat das Rundfunkgebilde gelitten im Beitragsstreit, oder geht es, wenn Karlsruhe für die Sender entscheidet, gestärkt daraus hervor?

Die Coronazeit hat deutlich gezeigt, dass öffentlich-rechtliche Informationsangebote für die Menschen ein zentraler Vertrauensanker sind. Es geht um seriös recherchierte Fakten, um Einordnung. Es geht darum, dass sich alle auf der Basis von Fakten eine eigene Meinung bilden können. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk war nie wichtiger als in dieser Zeit, in der so viele Desinformationen und Fake-News vorherrschen. Aber natürlich müssen wir uns in der digitalen Welt weiterentwickeln. Wie schaffen wir es, weiterhin alle Menschen in der Gesellschaft zu erreichen, ihnen Qualität anzubieten und für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit wollen wir beispielsweise die Christvesper in der Frauenkirche und ein Krippenspiel senden.

Wann kommt die Tagesschau, wie ostdeutsche Rundfunkpolitiker fragen, aus Leipzig?

Entscheidender ist, dass der Anteil und die Vielfalt an Berichten über Ostdeutschland im überregionalen Programmangebot der ARD gestiegen ist und Sichtweisen aus unserer Region – auch aus Sachsen - stärker einfließen. Bei den Tagesthemen gibt es beispielsweise in diesem Jahr eine Steigerung um 20 Prozent.

Das Gespräch führte Thilo Alexe.