Radeberg
Merken

"Der Himmel ist überall blau": Ein Radeberger Flüchtling erzählt seine Geschichte

Seid Mojtaba Mohseni ist 2015 aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Mittlerweile spricht er perfekt Deutsch, ist gelernter Medizinischer Fachangestellter und ehrenamtlicher Kickbox-Trainer in Radeberg.

Von Verena Belzer
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
CDU-Stadtrat Holger Wedemeyer (l.) hat Seid Mojtaba Mohseni viel unterstützt. "Ich musste immer kämpfen", sagt der 28-Jährige. Seit zwei Jahren ist er in Deutschland anerkannt.
CDU-Stadtrat Holger Wedemeyer (l.) hat Seid Mojtaba Mohseni viel unterstützt. "Ich musste immer kämpfen", sagt der 28-Jährige. Seit zwei Jahren ist er in Deutschland anerkannt. © Marion Doering

Radeberg/Stolpen. "Mojtaba ist unser großer Glücksgriff." Das sagt seine Chefin über ihn: Berit Rasche, Hausärztin aus Stolpen. Seid Mojtaba Mohseni arbeitet seit 2018 in ihrer Praxis, mittlerweile ist er gelernter Medizinischer Fachangestellter. "Er ist wahnsinnig freundlich und hat so schnell die Sprache gelernt", zeigt sich Berit Rasche begeistert. "Die Patienten lieben ihn. Wenn er mal im Urlaub ist, fragen sie nach ihm."

Seid Mojtaba Mohseni ist 2015 nach Deutschland gekommen, mit seiner Herkunft ist es ein bisschen kompliziert. "Meine Eltern stammen aus Afghanistan", berichtet er. Noch vor seiner Geburt seien sie jedoch nach Teheran in den Iran geflohen, weil sein Vater der muslimischen Glaubensrichtung der Schiiten angehöre und seine Mutter den Sunniten. "Diese Verbindungen waren in Afghanistan verboten."

Der heute 28-Jährige kam, ebenso wie seine Schwestern, im Iran zur Welt. "Ich fühle mich als Iraner, ich hatte keine Berührung mit der afghanischen Kultur", sagt er. "Aber im Iran habe ich keinen Pass bekommen, weil meine Eltern ja aus Afghanistan sind."

Also blieb er ohne Pass, lebte im Iran jedoch ein relativ normales Leben. "Als Nicht-Iraner hat man Nachteile im Land, aber ich hatte mir ein Leben aufgebaut", sagt er. "Der Himmel ist überall blau." Soll heißen: Man kann überall glücklich werden.

Flucht vor dem Krieg in Syrien

Auch in Radeberg. Hier wohnt er seit 2015. "Ich habe in Teheran mein Abitur gemacht und hatte schon eine kleine Goldschmiede und mein Chemie-Studium begonnen, doch dann sollte ich in den Krieg nach Syrien", berichtet er. "Vom Fronteinsatz bin ich dann abgehauen."

Der 28-Jährige beschreibt seine Situation wieder in einem Bild: "Der Baum wurde gegossen, man wartet darauf, dass er Früchte trägt. Doch dann ist alles kaputt." Der Baum, das ist sein Leben im Iran. Urplötzlich vorbei, aus den Fugen gerissen.

Es folgte der gefährliche und beschwerliche Weg über die Türkei, das Mittelmeer, Griechenland, die Balkanroute - bis ins Rödertal. Er berichtet von schlagenden Polizisten in Serbien, von menschenunwürdigen Zuständen in Ungarn. Von Bildern, die er nie wieder aus seinem Kopf bekommen wird. Zwei Monate hat er gebraucht, um nach Deutschland zu gelangen. Zwei Monate, die er nie vergessen wird.

Der 28-Jährige spricht perfekt Deutsch

Deutschland sei dabei nie das klare Ziel gewesen, erzählt er. "Andere wussten ganz genau, wo sie hinwollen. Ich habe abgewartet, was das Schicksal bringt." In Chemnitz beantragte er schließlich Asyl und kam über Meißen nach Radeberg.

Mithilfe der Videoplattform Youtube brachte er sich selbst Deutsch bei - heute beherrscht er die Sprache nahezu perfekt, das regelmäßige "Nu" verrät, dass er nun in Sachsen zu Hause ist.

Ihm von Anfang an eine große Stütze war Holger Wedemeyer, CDU-Stadtrat in Radeberg und Vorsitzender des Vereins "Radeberger Land hilft". Er hat dem 28-Jährigen auch bei etlichen Behördengängen geholfen.

"Da haben wir viel mitgemacht", sagt Wedemeyer. "Die Botschaften sind auch keine große Hilfe. Die iranische sagt, er sei Afghane. Und die Afghanen sagen, es gäbe keinen Beweis, dass er Afghane sei." Und überhaupt: Mit der Machtübernahme der Taliban sei alles noch viel komplizierter geworden.

In Seid Mojtaba Mohsenis Worten klingt das so: "Ich musste immer kämpfen."

Seit 2021 in Deutschland anerkannt

Seit 2021 hat Seid Mojtaba Mohseni eine Anerkennung in Deutschland. Eine Tatsache, die Holger Wedemeyer freut: "Ich bin richtig stolz auf ihn."

Und auch seine Chefin ist glücklich. "Ich war anfangs skeptisch, wie die Patienten ihn wohl aufnehmen", erzählt sie. "Aber er ist sich wirklich für nichts zu schade, denkt mit und ist eine große Bereicherung für uns alle."

Die Ärztin kann es nicht nachvollziehen, wenn andernorts gut integrierte Menschen abgeschoben würden, die hier arbeiten. "Wir haben unser Glück hier nicht gepachtet", sagt sie. "Ohne Zuzug kommen wir doch überhaupt nicht mehr klar. Diese Menschen sind eine unglaubliche Chance für uns."

Kickboxtraining in Radeberg

Seid Mojtaba Mohseni ist glücklich in Radeberg, er hat Freunde, eine deutsche Lebensgefährtin, einen Job. Er ist nicht auf die finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen. "Das ist natürlich meine Ambition in diesem Land, dass ich für mich selbst sorgen kann", sagt er.

Und doch vermisst er seine Heimat. "Die Heimat kann man nicht vergessen."

Was ihm hilft, ist sein Kickboxtraining. Der 28-Jährige hat diesen Sport bereits im Iran betrieben, jetzt hat er ihn auch in Radeberg ins Leben gerufen. Immer mittwochs und samstags trainiert er ehrenamtlich eine Erwachsenen-Gruppe in der Alten Turnhalle in der Pulsnitzer Straße. "Da kann auch jeder vorbeikommen und einfach mal schnuppern oder zuschauen."

In diesem Jahr hat er in seiner Gewichtsklasse sogar einige Titel erkämpfen können: Bei den sächsischen Meisterschaften wurde er Zweiter, bei den deutschen Meisterschaften Dritter.

Seid Mojtaba Mohseni - er ist angekommen in Deutschland.

Haben Sie Anregungen, Wünsche oder Themen, die Sie bewegen? Dann kontaktieren Sie uns gerne per E-Mail [email protected].