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Mit 97 immer noch dabei: Künstlerin freut sich auf ihren 45. Grafikmarkt in Radebeul

Lieselotte Finke-Poser ist Künstlerin der ersten Stunde des Radebeuler Grafikmarktes. Auch beim 45. Mal am Sonntag wird sie ausstellen. Ihr Motto: "Die Farbe gehört aufs Papier".

Von Lucy Krille
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Liselotte Finke-Poser malt auch mit 97 Jahren noch in ihrer Wohnung in Radebeul, die einem Atelier gleicht. Für manche Motive schaltet sie auch mal den Fernseher ein.
Liselotte Finke-Poser malt auch mit 97 Jahren noch in ihrer Wohnung in Radebeul, die einem Atelier gleicht. Für manche Motive schaltet sie auch mal den Fernseher ein. © Norbert Millauer

Radebeul. Die Wohnung von Lieselotte Finke-Poser ist ein einziges Atelier. An den Wänden hängen eingerahmte Porträts, auf dem Boden stapeln sich Mappen mit Drucken, daneben stehen Kisten mit Postkarten und Kalendern. "Ich bereite mich schon auf den Grafikmarkt vor", sagt Finke-Poser und setzt sich an den Tisch, an dem sie noch immer malt. Eine Staffelei nutzt sie mittlerweile nicht mehr, denn die Arthrose setzt der 97-Jährigen zu. Doch ihr Geist ist hellwach. "Und meine Finger sind noch fit, warum sollte ich da keinen Pinsel bewegen?", so die Künstlerin.

Am Sonntag wird sie beim 45. Radebeuler Grafikmarkt einige ihrer Werke ausstellen. Bunte Drucke auf Postkartenformat, Porträts von Dirigenten und natürlich die 13 Radebeuler Aquarell-Motive sind mit dabei. "Die Leute sammeln die", weiß Finke-Poser. In dem Jahreskalender finden sich nicht die typischen Postkartenmotive der Stadt, sondern unbekannte Ecken und ungewohnte Perspektiven. "Damit die Leute ihre Stadt kennenlernen", sagt Poser.

Der Grafikmarkt findet am Sonntag, dem 5. November, von 10 bis 18 Uhr An der Festwiese 4b in Altkötzschenbroda statt. Der Eintritt ist frei.

Sie selbst hat sich schon vor über 70 Jahren in die Stadt verliebt, die ihr vergangenes Jahr den Kunstpreis verliehen hat. In den 50er-Jahren ist sie ihrem Mann Willi Finke nach Radebeul gefolgt, als der eine Anstellung als Flötist an den Landesbühnen bekam. Die Musik ist auch ihre Leidenschaft, beim Malen hört sie oft Klassik. An erster Stelle stand aber immer die Kunst. "Ich hatte schon mit drei Jahren angefangen zu malen", sagt Finke-Poser. So wollte sie etwa die Stühle anstreichen und mit Nägeln in die Tischplatte kratzen. "Das gab natürlich auch mal Ärger", sagt Finke-Poser mit einem Schmunzeln.

Zwischenzeitlich wurde die Künstlerin exmatrikuliert

Nach dem Krieg ging sie auf die Hochschule in Leipzig, um Grafik und Kunst zu studieren. Sie war mit einer anderen Künstlerin das einzige Mädchen unter Jungs. Die haben Finke-Poser gar nicht interessiert. "Ich wollte nur malen", sagt sie und lacht. Doch ihr Studium stand auf wackeligen Beinen. Denn Finke-Poser war zwar eine, wie sie sagt, schüchterne Frau, doch sie hatte Prinzipien.

Einem Professor verweigerte sie sich, als er übergriffig wurde. Marxismus-Leninismus schwänzte sie. Und dann war sie auch noch in der Studentengemeinde in Leipzig. Dass ihre politischen und persönlichen Einstellungen der eigentliche Grund für ihren Ausschluss war, gab die Schulleitung erst später zu.

"Der offizielle Grund war, dass ich ein Bild nicht selbst gemalt hätte", sagt Finke-Poser. Also kümmerte sich die junge Frau selbst. Sie ging etwa zu einem Lithografen und einem Kupferdrucker, um das Handwerk zu lernen. Das besagte Bild hängt noch heute neben der Tür in Finke-Posers Wohnung. Später durfte sie das Studium wieder aufnehmen. Nach dem Abschluss malte sie viele Tiere als Illustratorin bei Meyers Lexikon und anderen Buchverlagen. Ihre Leidenschaft galt aber schon immer den Porträts.

1. Grafikmarkt mit Wäscheleinen im Radebeuler Rathaus

Sie merkt sofort, wenn sich die Menschen verstellen. Männer und Frauen im mittleren Alter würden häufig eine Maske aufsetzen, manchmal auch mit "pfundweise Farbe im Gesicht". Dabei gehöre Farbe doch aufs Papier, ist Finke-Poser überzeugt. "Kinder geben sich so wie sie sind und die Alten auch", sagt die 97-Jährige. Deshalb porträtiert sie gern ihre drei Urenkel oder Menschen im Altenheim. Doch auch Dirigenten wie Christian Thielemann, Kurt Masur oder Sir Simon Rattle haben es ihr angetan. "Wenn die dirigieren, achten sie nicht so auf sich", sagt Finke-Poser. Manchmal setzt sie sich deshalb vor den Fernseher und beobachtet die Musiker in Aktion.

In ihrer Wohnung lebt Finke-Poser allein. Die Schwiegertochter hilft ihr einmal die Woche mit dem Haushalt und den Einkäufen, ansonsten sorgt sie für sich. In diesem Jahr wird die Radebeulerin 98. An das Ende ihres Kalenders hat sie wie immer eine persönliche Widmung mit Wünschen für das kommende Jahr geschrieben. Dabei ist ihr etwas aufgefallen: "2025 wäre ich 100, das ist schon ein bisschen komisch."

Doch bis dahin ist noch etwas Zeit, erstmal steht der Grafikmarkt an. Finke-Poser hat dort, wie ihr Mann Willi früher, ihren festen Platz, an dem sie die Stammgäste schon suchen. Sie erinnert sich noch an den ersten Markt, als sie ihre Gemälde auf Wäscheleinen im Rathaus aufhing.

Werke aus dem Kreis Meißen und ganz Sachsen

Doch die Leute suchten eher kleine Dinge, als Dank für die "Westpakete", erinnert sie sich. Deshalb druckte sie fürs nächste Jahr kleine Radierungen. Der Grafikmarkt wuchs immer weiter. Heute ist er der älteste ohne Unterbrechung durchgeführte Grafikmarkt in Sachsen. Am Sonntag erwartet die Stadt reichlich 100 Künstler, die meisten von ihnen aus der Region.

Die über 4.000 Exponate, mittlerweile in der Elbsporthalle ausgestellt, zeigen Landschaften, Sehenswürdigkeiten und figürliche oder abstrakte Darstellungen. Auch Stillleben, Blumenstücke oder Tierporträts werden gezeigt. Von der Miniatur bis zum Großformat ist alles dabei, so die Stadt. Auch Lieselotte Finke-Poser wird dabei sein. Zum 45. Mal.