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Radebeul: Wer hängt sich schon fremde Menschen ins Wohnzimmer?

Viele Besucher nutzten den Radebeuler Grafikmarkt, um mit Erschaffern von Grafiken, Zeichnungen und Collagen ins Gespräch zu kommen.

Von Ines Mallek-Klein
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Andre Uhlig hatte seine Presse mitgebracht, arbeitete während des 44. Radebeuler Grafikmarktes und erklärte wissbegierigen Besuchern das Tiefdruckverfahren.
Andre Uhlig hatte seine Presse mitgebracht, arbeitete während des 44. Radebeuler Grafikmarktes und erklärte wissbegierigen Besuchern das Tiefdruckverfahren. © Norbert Millauer

Radebeul. Wieder und wieder gleitet das Papier über die Kupferplatte. In ihren kaum sichtbaren Vertiefungen bleibt die gelbe Farbe zurück, die dem Bild seine Grundlage geben wird. Das Motiv zeigt Natur mit sanften Hängen, viel Gras, Büschen und Bäumen. In der Mitte thront ein einsames Haus. Andre Uhlig hat die Ansicht aus dem Böhmischen mitgebracht, bei einer seiner vielen Wanderungen entdeckte der den Ausblick, so Uhlig, der als einer von 108 Künstlern bei dem Grafikmarkt am Sonntag in Radebeul vertreten war.

Er hat eine im Internet bei Ebay ersteigerte Druckpresse mitgebracht, an der er das Tiefdruckverfahren erklärt. Die Technik hat sich seit dem Mittelalter nicht verändert. Mittlerweile liegt die zweite Kupferplatte in seinen Händen. Ihre Konturen bekommen einen blauen Farbanstrich. Es wird noch eine dritte und letzte folgen, auf der mit tiefem Schwarz die Bildakzente gesetzt werden. Uhlig ist gelernter Drucker, weiß um das Zusammenspiel von Platten, Farben und Papier. Mit Winkeln werden die Platten exakt positioniert. Die Bütten sind leicht angefeuchtet, nur so können sie die Farbe aus den feinen Linien ziehen. Es muss schnell gehen. Denn das Papier lebt und wenn es trocknet, schrumpft es. Die Proportionen würden verloren gehen.

Ältester Grafikmarkt Sachsens

Der 44. Radebeuler Grafikmarkt in der Elbsporthalle in Radebeul-West war sehr gut besucht. Dicht drängten sich die Kunstfreunde vor den Ausstellungsflächen der über 100 Künstler.
Der 44. Radebeuler Grafikmarkt in der Elbsporthalle in Radebeul-West war sehr gut besucht. Dicht drängten sich die Kunstfreunde vor den Ausstellungsflächen der über 100 Künstler. © Norbert Millauer

Andre Uhlig ist der einzige Künstler, der an diesem Sonntag in der Radebeuler Elbsporthalle „arbeitet“. Und seine Werke, sie werden gerne gekauft. Damit erfüllt der Grafikmarkt einen wichtigen Teil seines Zwecks. Wenige Wochen vor Weihnachten bietet er den Besuchern Gelegenheit, sich nach besonderen Geschenken umzusehen - und dabei auch noch dem Erschaffer der Kunstwerke persönlich zu begegnen.

Zum 44. Mal fand der Radebeuler Grafikmarkt in diesem Jahr statt. Er ist damit der Kunstmarkt in Sachsen, der es unterbrechungsfrei nicht nur von der DDR-Zeit in die Nachwendezeit geschafft hat. Nein, auch die beiden Coronajahre habe man überstanden, mit Abstandsregeln und begrenzten Besucherzahlen, aber die Fangemeinde sei dem Markt treu geblieben, erklärt die Radebeuler Stadtgaleristin Magdalena Piper. Und so war es auch in diesem Jahr richtig voll. Teils mit Mundschutz schob sich das kunstinteressierte Publikum durch die Halle, in der die Künstler ihre Werke präsentierten: Hier reihten sich Collagen an Druck, Zeichnungen an farbenprächtige Malereien. Die Aussteller, so Magdalena Piper, seien jünger geworden. „Wir bemerken einen Generationswechsel“, so die Stadtgaleristin, die sich um die Zukunft des Grafikmarktes nicht sorgen braucht.

Mehr Bewerber als Plätze

Die Radebeuler Stadtgaleristin Magdalena Piper bemerkt einen Generationswechsel bei den Künstlern, die junge, frische Ideen und Kunstwerke mitbringen.
Die Radebeuler Stadtgaleristin Magdalena Piper bemerkt einen Generationswechsel bei den Künstlern, die junge, frische Ideen und Kunstwerke mitbringen. © Norbert Millauer

Auch in diesem Jahr gab es wieder mehr Bewerber als Standflächen in der Halle. 35 Euro müssen die Künstler für ihre Ausstellung zahlen. 2023 könnte es etwas mehr werden, denn die Hallenmiete ist schon in diesem Jahr gestiegen - schuld ist die Energiepreissteigerung. Für Gäste ist der Besuch des Grafikmarktes kostenlos, ob das so bleiben könne, müsse man diskutieren, so Magdalena Piper. Immerhin, nicht wenige Besucher nehmen weite Wege auf sich, um die Künstler und ihre Macher zu treffen, wie ein Spaziergang über den Parkplatz verrät. Dort sind thüringische genauso wie brandenburgische Kennzeichen zu finden.

Andre Uhlig hat sein Büttenblatt positioniert, lässt den dicken hellen Filz darüber gleiten und dreht dann an der Presse, die das Kunstwerk langsam von rechts nach links bewegt. Es seien Goldschmiede gewesen, die das Tiefdruckverfahren entwickelt hätten und das schon im 14. Jahrhundert, erzählt er den wissbegierigen Besuchern. Immer wieder kommt auch die Frage nach dem Motiv. „Ich bin viel zu Fuß in der Natur unterwegs, schlage draußen unter einer Plane mein Lager auf und mein Skizzenbuch habe ich immer dabei“, so Uhlig. Im Atelier überträgt er dann die Zeichnung auf das Kupfer und ätzt die Konturen aus. Wie vieler Platten es für ein einzelnes Kunstwerk brauche, werde immer erst während des Schaffensprozesses deutlich.

Das Motiv fasziniert. Nicht wenige nehmen es, handsigniert vom Künstler, mit nach Hause. Die Natur hat es Andre Uhlig angetan, wie auch ein Blick an die kleine Galerie hinter seinem Arbeitsplatz zeigt. Hier die Radebeuler Weinberghänge, dort der Lausitzer Forst. „Sehnsucht nach draußen“, heißt auch sein neuer Kalender für 2023. Draußen in der Natur, da mache er sich keine Sorgen, auch wenn die Zeit genügend Anlass dazu biete.

Dem Paar einen Kalender gewidmet

Auf der gegenüberliegenden Seite der Halle hat die Grand-Dame der Dresdner Kunstszene Angela Hampel ihren Tisch. So als wollte sie den Wirren des Alltags einen harmonischen Kontrapunkt setzen, hat sie ihren neuen Kalender dem Thema „Paare“ gewidmet. Die Auflage von 30 Stück war fast komplett verkauft, viele ihrer Kunden seien Sammler, so die Dresdner Künstlerin.

Zu der jungen Generation gehört Theresa Wenzel. Sie hat Bildhauerei studiert und arbeitet jetzt mit Linoleumdrucken. Auch wenn das Material kleiner und weicher sei, gelte hier der gleiche Grundsatz wie in der Bildhauerei. Weg ist weg. Ihre Motive zeigen Tiere, Fabelwesen, die Führungsansprüche, Rollenverteilungen und Triebkräfte des Lebens symbolisieren. „Eigentlich zeichne ich Menschen, aber wer hängt sich schon gerne fremde Menschen ins Wohnzimmer. Also bin ich auf Tiere ausgewichen“, sagt die Künstlerin, die mit ihrer Familie in Dresden lebt.