Update Radebeul
Merken

Moritzburg: Es ist Weihnachten und die Störche sind noch da

Im Moritzburger Wildgehege sind Adam und Eva zu Hause. Warum sie nicht nach Süden fliegen, wie die anderen, erzählt ihr „Chef“ Ronald Ennersch.

Von Udo Lemke
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Eva zeigt den typischen Storchentrick: Sie steht auf einem Bein. Schaut eine Maus aus dem Loch, dann wittert sie keine Gefahr, denn ihre Feinde haben mindestens zwei Beine. Sie kommt heraus, und es ist um sie geschehen.
Eva zeigt den typischen Storchentrick: Sie steht auf einem Bein. Schaut eine Maus aus dem Loch, dann wittert sie keine Gefahr, denn ihre Feinde haben mindestens zwei Beine. Sie kommt heraus, und es ist um sie geschehen. © Norbert Millauer

Frieren die beiden nicht, lautet die Frage an Ronald Ennersch. „Nein.“ Auch nicht wie kürzlich bei Minus elf Grad? „Nein.“ Ist wenigstens ihr Stall geheizt? „Nein, auch das nicht.“ Der studierte Förster und Leiter des Moritzburger Wildgeheges erklärt, dass die Weißstörche durch ihr Gefieder gut gegen die Kälte geschützt sind. Was dies betrifft, müssten sie auch nicht in den Süden nach Spanien oder ganz weit bis nach Südafrika fliegen. Was sie dazu zwingt, ist die Tatsache, dass sie im Winter bei uns kein Futter finden. Ist der Boden gefroren haben sich Käfer, Schnecken und Würmer verkrochen und kommen erst im Frühjahr, wenn es wieder warm wird, heraus. Immerhin muss ein ausgewachsener Storch täglich etwa ein Siebtel seines Körpergewichts an Nahrung zu sich nehmen, das sind 500 bis 700 Gramm Futter pro Tag - oder 500 bis 700 Regenwürmer oder 16 Mäuse! Aber: „Große Beutestücke bis knapp 1.000 Gramm können nur als ganzes Stück verschlungen werden, da der Storchenschnabel für das Zerlegen von Beute und Aas nicht geeignet ist“ - weiß das schlaue Internet. Übrigens: Die Jungstörche sind noch „gefräßiger“ als ihre Eltern, müssen sie doch bis August stark sein, um sich auf den Vogelzug zu begeben. Sie brauchen etwa 1.600 Gramm Nahrung pro Tag, also fast 40 Mäuse! Bei bis zu vier Jungvögeln eine Menge Arbeit für die Eltern.

Mäuse - aber keine Frösche

Apropos Futter. Was fressen Adam und Eva, so sind die beiden Weißstörche getauft worden, eigentlich im Moritzburger Wildgehege? „Sie bekommen Mäuse, Küken und Fisch - das, was sie in der freien Wildbahn auch fressen“, antwortet Ronald Ennersch. Und immer mal einen Eimer Frösche? „Nein, Frösche haben wir nicht. Sie fangen sich manchmal selbst welche.“ Immerhin sei ihre Anlage ja ein Feuchtbiotop, „ein richtiger kleiner Erlenbruch“.

Und wie sind Adam und Eva nach Moritzburg gekommen? Um diese Frage zu beantworten, muss Ronald Ennersch etwas ausholen. Danach waren in der Anlage, wo die beiden Störche jetzt sind, zuvor Rehe. Aber keine aus der freien Wildbahn, sondern von Hand aufgezogene. In der Brunst haben sie die Tierpfleger angegriffen, „so dass wir uns von ihnen trennen mussten“. Deshalb stand die Frage, was mit dem Gehege wird. „Wir haben uns gedacht, wir könnten uns dort Störche hinstellen.“ Der Tierpark Riesa war dafür bekannt, verletzte Tiere aufzunehmen, und dort wurde Ronald Ennersch dann auch fündig - zwei Störche waren dort zu haben.

Und welcher Art waren ihre Verletzungen? „Adam ist in eine Hochspannungsleitung geflogen und seitdem auf einem Auge blind. Und Eva ist mit einem Lkw kollidiert, seitdem ist ein Flügel kaputt.“ Deshalb können beide nicht mehr fliegen, oder nicht mehr richtig, und deshalb können sie sich nicht mit ihren Artgenossen im Herbst auf den Weg nach Süden machen.

10.000 Kilometer bis nach Afrika

Denn dieser Weg hat es in sich: „Störche gehören zu den bekanntesten Zugvögeln. Wenn sie Ende August nach Afrika fliegen, lassen sie mehr als 10.000 Kilometer hinter sich. Das ist fast so viel wie der Durchmesser der gesamten Erde!“ Das schreibt der Staatsbetrieb Sachsenforst, zu dem das Moritzburger Wildgehege gehört. Für die Störche kommen dabei nur zwei Flugrouten in Frage, schreibt die Behörde weiter: Die sogenannten „Westzieher“ fliegen nach Südwesten - über Belgien, Frankreich und Spanien. Die „Ostzieher“ hingegen zieht es in Richtung Polen, Rumänien, die Türkei und Israel. Störche sind Segelflieger und nutzen warme aufsteigende Winde, um Energie zu sparen. Weil auf großen Gewässern wie dem Mittelmeer diese Winde fehlen, fliegt kein Storch auf direktem Weg nach Afrika.

So weit, so gut. Doch was machen die Schafe im Gehege von Adam und Eva? Das seien sogenannte Skudden, erzählt Roland Ennersch. Eine selten gewordene Haustierart, die das Gras bei den Störchen kurz hält und nebenbei vom Aussterben bewahrt wird: „Die Ostpreußische Skudde gehört zu den ältesten Hausschafrassen. Sie steht auf der Roten Liste der bedrohten Nutztierrassen“, weiß auch hier das schlaue Internet.

Schutz vor Fuchs und Marder

Normalerweise kehren die Störche im April von ihrer langen Reise zurück, die ersten werden schon im Februar gesichtet, ja selbst im Januar sind schon Frührückkehrer beobachtet worden. Sind sie wieder da, dann bringen sie ihre riesigen, manchmal mehrere Meter hohen Nester, die bis zu zwei Tonnen wiegen können, wieder in Ordnung. Ob Adam und Eva auch brüten, werde er manchmal gefragt, so Ronald Ennersch. Sie können weder Nistmaterial heranfliegen noch überhaupt ein auf einem Baum oder Haus gelegenes Nest erreichen. Aber theoretisch wäre es möglich, ein Nest auf einer leichten Erhöhung für sie anzulegen. Aber dann müsste es stark gegen Raubwild wie Füchse oder Marder, die nicht nur die Eier, sondern im Zweifel auch die Eltern holen, abgesichert sein. Etwa mit einem Elektrozaun. Aber das wolle man im Wildgehege nicht, so dessen Leiter.

Die Gefahr, dass Adam und Eva dem Fuchs zum Opfer fallen, ist auch der Grund dafür, „dass wir sie nachts einstallen müssen“. Dazu, so Ronald Ennersch, würden sie mit Futter angelockt und mit Locktönen, „so, wie wenn man abends die Hühner reinholt“. Nur manchmal, im Sommer, wenn sie draußen so viel Futter gefunden haben, dass sie satt sind, mache es etwas Mühe, sie in den Stall zu bekommen.

Theater mit Wildstörchen

Gefahr lauert für Adam - weniger für Eva - auch noch aus einer anderen Richtung. „Vor zwei Jahren ist ein wilder Storch im Gehege gelandet, der sich in Eva verguckt hatte.“ Er hat Adam dermaßen verprügelt, „dass wir ihn einsperren mussten, weil er keine Chance hatte“. Später ist dann noch ein zweiter wilder Storch gelandet, und es gab einen Kampf um Eva. Für wen sie sich entschieden hat, ist nicht klar.

Adam und Eva könnten noch lange im Wildgehege bleiben, denn immerhin können Störche bis zu 35 Jahre alt werden und die Beiden werden erst auf sechs bzw. sieben Jahre geschätzt. Ronald Ennersch ist froh, sie zu haben: „Ich hätte nicht gedacht, dass sie bei unseren Gästen so ziehen.“ Und was machen sie, wenn richtig hoher Schnee liegt? „Dann schieben wir ihnen eine Bahn frei, so wie wir es ja auch für uns selbst machen.“