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Weinböhla: Punk in der DDR – wie war das eigentlich?

Der Autor Geralf Pochop ist in der Bibliothek Weinböhla zu Gast und berichtet über die Punk-Bewegung in der DDR und seine Erfahrungen. Der SED-Staat wollte ihn loswerden, dann für die Stasi anwerben.

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Geralf Pochop kommt nach Weinböhla, um über den Untergrund in der DDR zu sprechen. Er liest aus seinem Buch, spricht aber auch über eigene Erfahrungen und zeigt viele historische Bilder.
Geralf Pochop kommt nach Weinböhla, um über den Untergrund in der DDR zu sprechen. Er liest aus seinem Buch, spricht aber auch über eigene Erfahrungen und zeigt viele historische Bilder. © PR

Weinböhla. Er war verfeindet mit Stasi-Leiter Erich Mielke, wurde mehrfach ohne Vorsatz verhaftet, sollte als Inoffizieller Mitarbeiter für die DDR arbeiten und wurde über 100-mal verhört – und das alles nicht aufgrund einer politischen Einstellung, sondern nur, weil er Punk-Musik hörte und sich der Bewegung der 1970er-Jahre zugehörig fand. Als Zeitzeuge schildert der heutige Autor Geralf Pochop seine Erlebnisse in dem Buch "Untergrund war Strategie – Punk in der DDR zwischen Rebellion und Repression" und berichtet darüber in einer multimedialen Präsentation am Montag, 11. März 2024, in der Bibliothek Weinböhla.

Herr Pochop, seit Ihrem 13. Lebensjahr sind Sie Punk-Fan. Wie entstand überhaupt Ihr Interesse am Punk?

1977 saß ich vor meinem Radio und habe neue, West-Musik mit meinem Kassettenrecorder aufnehmen wollen. Damals habe ich viel Glam-Rock und Bands wie "T-Rex" gehört. Die Musikszene war ja noch nicht so breit gefächert wie heute. An die Sendung "Musik für junge Leute" bei NDR2 erinnere ich mich noch sehr genau, und der DJ sagte "Ich habe hier etwas ganz Neues für euch, ist gerade ganz beliebt in England." Dann hörte ich zum ersten Mal die Sex Pistols, hatte schnell alles aufgenommen und mich in den rotzigen Gesang und das Gitarrenspiel verliebt. Ab da verfolgte ich den Punk.

Wann haben Sie Punk denn zum ersten Mal live miterlebt?

In der Lutherkirche in Halle 1982 fand das erste Punk-Konzert in der DDR statt. Damals spielte die Gruppe "Wutanfall". Das sorgte für großes Aufsehen und es war ein Meilenstein für mich. Alles, was ich irgendwie sammeln und hören konnte, passierte plötzlich live vor meinen Augen. Es waren nur 20 Punks im Publikum, aber es war laut und wild. Die Leute sprangen auf. Ich war hin und weg von dieser Energie.

Wieso fand das Konzert in einer Kirche statt?

Weil es ein geschützter Raum war. Trotzdem wurde nicht so richtig verstanden, was wir da alle machten. Ich weiß noch, dass es immer wieder zu Unterbrechungen kam und der Stecker gezogen wurde. Ewige Diskussionen folgten. Wir sollten uns im Schneidersitz vor die Bühne setzen, sonst ginge das Parkett kaputt. In 45 Minuten hat die Band vielleicht fünf Lieder spielen können.

Geralf Pochop im Jahr 1986 steht in der Mitte von zwei Freunden.
Geralf Pochop im Jahr 1986 steht in der Mitte von zwei Freunden. © Geralf Pochop
Konzert der Thüringer Punkband Schleimkeim bei der Punkwerkstatt in Erfurt im Jahr 1986.
Konzert der Thüringer Punkband Schleimkeim bei der Punkwerkstatt in Erfurt im Jahr 1986. © Geralf Pochop
Eine Szene der Punkwerkstatt im Rudolstadt aus dem Jahr 1986.
Eine Szene der Punkwerkstatt im Rudolstadt aus dem Jahr 1986. © Geralf Pochop
Das Verhörfoto von Geralf Pochop.
Das Verhörfoto von Geralf Pochop. © Geralf Pochop

Als Staatsfeinde eingestuft

Wurden Sie als Punker in der DDR geduldet?

Nein, ganz im Gegenteil. Punker wurden in der DDR massiv verfolgt. Unsere öffentlichen Räume – wie Disko, Jugendclubs, Kneipen oder Kinos – wurden gesperrt. Punk wurde persönlich von Erich Mielke untersagt. Mitte 1983 gab er den Befehl "Härte gegen Punk" raus. Somit wurden wir in den Rang der Staatsfeinde erhoben, obwohl wir nur zerrissene Jeans tragen, coole Musik hören und uns die Haare färben wollten.

Mielke sagte damals, dass die "Samthandschuhe ausgezogen" werden müssten und dass man "mit diesen Figuren nicht zimperlich umgehen" sollte. Die Bands wurden zersetzt – also aufgelöst, Konzerte verhindert, Kirchenzugänge blockiert. Ich persönlich wurde auch bespitzelt und so oft verhört, dass es ganz locker im dreistelligen Bereich landet. Je länger wir durchhielten, desto mehr steigerte sich die Repression.

Wollten Sie deshalb 1986 aus der DDR ausreisen?

Damals wollte ich nicht ausreisen, sondern dabei bleiben. Bei einem Verhör wurde ich sogar darum gebeten, auszureisen. Das war vollkommen irre – die DDR wollte einen loswerden. Aber ich war jung und meine Freunde waren im Osten.

Als Sie nicht ausreisen wollten, sollten Sie ein "Inoffizieller Mitarbeiter" der Stasi werden.

1986 gab es dann diverse Anwerbungsversuche, korrekt. Ich wurde erpresst und sollte Spitzel werden. Mehrfach wurde ich entführt, von der Straße in ein Auto geladen und in den Wald gefahren. Man drohte mir mit Schlägerei, Verhaftung und Mord. Doch ich habe nicht unterschrieben und wurde dann in einer Isolationszelle mit nichts in dem Raum, inhaftiert – schön symbolträchtig am 7. Oktober 1987, dem 38. Geburtstag der DDR.

Ihre Erlebnisse werden Sie am Montag in Weinböhla schildern. Was darf das Publikum erwarten?

Natürlich lese ich aus meinem Buch und berichte aus meinem Leben. Doch ich gestalte meinen Vortrag multimedial, bringe Bilder aus der alten Zeit, DDR-Dokumente und Hörbeispiele mit. Es wird ein bunter Mix werden, denn ich möchte möglichst anschaulich erklären, wie es damals war, anders zu sein. Mit dem Publikum komme ich natürlich auch sehr gern ins Gespräch.

  • Das Interview führte Julian Wolf.
  • Die Lesung mit Gespräch "Punk in der DDR" findet am 11. März 2024, 19 Uhr, in der Bibliothek Weinböhla, Kirchplatz 2, statt. Weiterführende Informationen zu Geralf Pochop sind online auf www.untergrund-war-strategie.de zu finden.