SZ + Feuilleton
Merken

Wenn der Krieg ins Hotelzimmer einbricht

Bei der Premiere von Sarah Kanes Skandalstück "Zerbombt" zeigen drei Darsteller an den Landesbühnen in Radebeul extreme Schauspielkunst.

Von Kathrin Krüger
 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Sandra Maria Huimann und Maximilian Bendl in "Zerbombt" an den Landesbühnen in Radebeul. Die Premiere war am 23. Februar.
Sandra Maria Huimann und Maximilian Bendl in "Zerbombt" an den Landesbühnen in Radebeul. Die Premiere war am 23. Februar. © Landesbühnen Sachsen

Radebeul. Wie kann man dieses Stück spielen?! Also, wie schafft man es, das darzustellen, was die britische Autorin Sarah Kanes in ihrem Skandal-Schauspiel "Zerbombt" verfasste? Diese Frage stellt man sich die ganze Zeit bei der Premiere am Sonnabendabend auf der Studiobühne der Landesbühnen in Radebeul. Diese extreme Anspannung. Extreme körperliche Herausforderung. Extreme Darstellung von Gewalt und sexueller Lust. Wie kommen Schauspieler in die Lage, dies über zwei Stunden durchzuhalten? Sandra Maria Huimann, Maximilian Bendl und Matthias Avemarg leisten in dieser Aufführung Unglaubliches.

Anfangs ist es nur ein schräges Paar in einem Hotelzimmer. Ian (Bendl) säuft und raucht in einem fort, ist lüstern in seinem durchsichtigen Oberteil. Aber auch irgendwie liebenswert als sehnsuchtsvoller Eingesperrter. Cate (Huimann) besucht ihn im übergroßen rosa Tütü, und so scheint auch ihr Gemüt: etwas schlicht und püppihaft. Dann fängt sie an zu stottern und bekommt epileptische Anfälle. Was als zutiefst destruktive Beziehung noch Stirnrunzeln hervorrufen mag, entwickelt sich vor dem Hintergrund von immer näherkommenden Bombengeräuschen und Sirenengeheul zu einer menschlichen Apokalypse. Erst werden Vasen und Teller samt Inhalt zu Boden geworfen, dann fliegen ganze Wände um. Und mit einem aufmunitionierten Soldaten bricht auch der Wahnsinn eines Krieges ins Hotelzimmer ein.

Nichts Menschliches und auch Ekliges wird in diesen zwei Stunden ausgelassen. Cate und Ian lieben sich und schreien sich an, fallen und stehen wieder auf, immer wieder. Sie bewegen sich wie Zombies in diesem engen Raum. Und doch gelingt es den Schauspielern, letzte Reste von Normalität in diesen Aberwitz zu bringen. So läuft auf dem Bildschirm überm Bett ein Schlagervideo, und der Sänger singt "Nein heißt ja." Derweil macht Cate Ian an und zieht sich dann doch zurück. Er fühlt sie wie ein Idiot und wird brutal. Er outet sich als Killer, brüllt rassistische und frauenfeindliche Beleidigungen. Sie versucht immer wieder das Gute in ihm zu stärken.

Doch dann knallt es endgültig, als der Soldat (Avemag) ins Hotelzimmer eindringt. Er erzählt von grausamen Morden und Vergewaltigungen, und lässt diese Destruktivität dann auch an Ian aus. Cate kommt unbemerkt auf der dunklen Szene aus dem Badezimmer zurück und tritt gespenstisch immer weiter in den Vordergrund. Diese Situation ist so eindringlich, so abschreckend, so unglaublich und unbehaglich, dass wieder die Frage aufkommt: Wie schafft man solche Schauspielkunst, um diese Intensität heraufzubeschwören? "Dass ich dieses Stück mal spielen darf", hatte sich Sandra Maria Huimann schon im Vorab gefreut. Eine grandiose Herausforderung.

"Hier wird das Gewehr geboren und wird nicht mehr sterben", sagt der Soldat. Und man versteht, dass dieses Schauspiel gerade nicht ein krankes, apokalyptisches Produkt einer jungen Autorin ist, die sich früh selber das Leben nahm. Es ist der Versuch, zu zeigen, was in Kriegs- und Gewaltsituationen wirklich passiert. Wozu Menschen tatsächlich mutieren können. Dass diese Perversionen real sind, sieht man täglich in den Medien oder erlebt sie in Ballerspielen, deren Schritt von der Fantasie zur Realität nur klein zu sein scheint. Am Ende isst Ian kurz vorm Verhungern ein totes Baby. Und Cate kommt von draußen zurück mit einem Kind von ihm im Bauch. Sie setzen sich nebeneinander, er sagt zu ihr "Danke". Und über ihnen zeigt der Bildschirm eine Winterlandschaft und die Worte "The End".