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Das sind die Reisetrends 2024

Luxusurlaub boomt – trotz Inflation. Und nachhaltiges Reisen ist kaum gefragt – trotz guter Vorsätze. Ein Tourismusprofessor erklärt, warum das so ist und welche neuen Trends das Reisen bestimmen.

Von Steffen Klameth
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Spot an für Tartu: Die zweitgrößte Stadt Estlands ist 2024 – neben Bad Ischl in Österreich und Bodø in Norwegen – Europäische Kulturhauptstadt.
Spot an für Tartu: Die zweitgrößte Stadt Estlands ist 2024 – neben Bad Ischl in Österreich und Bodø in Norwegen – Europäische Kulturhauptstadt. © Steffen Klameth

Für ihn ist das Reisen ein Beruf: Professor Harald Zeiss forscht und lehrt an der Hochschule Harz in Wernigerode mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit und Internationaler Tourismus. Zudem leitet er das von ihm gegründete Institut für Nachhaltigen Tourismus GmbH. Zeiss ist eines von sechs Mitgliedern einer Expertenjury, die regelmäßig die Trendziele des nächsten Jahres bestimmen.

Herr Professor Zeiss, wohin geht Ihre Reise im nächsten Jahr?

Sie führt mich im kommenden Frühjahr für meine Forschung nach Südafrika. Es ist für mich nicht nur eine wissenschaftliche Aufgabenstellung, sondern auch ein Eintauchen in eine reichhaltige Kultur und Geschichte. Ich freue mich schon sehr darauf.

Liegen Sie damit im Trend?

Absolut. Bildungsreisen liegen im Trend. Eine Untersuchung von booking.com vom letzten Jahr unter mehr als 30.000 Befragten zeigte, dass 66 Prozent lokale Kultur und Traditionen auf Reisen erleben möchten. Erlebnisreisen repräsentieren eine tiefere Suche nach Sinn und Verständnis, die über den üblichen touristischen Rahmen hinausgeht. Warum nur am Strand liegen, wenn man in die Gesellschaft eines Landes eintauchen kann? Das ist die Frage, die sich viele Reisende heute stellen und zu solchen Reisen inspiriert.

Harald Zeiss ist Professor an der Hochschule Harz und dort verantwortlich für den Studiengang International Tourism Studies.
Harald Zeiss ist Professor an der Hochschule Harz und dort verantwortlich für den Studiengang International Tourism Studies. © Harald Zeiss

Was sind 2024 überhaupt die Reisetrends?

Da empfehle ich einen Blick in das Marco-Polo-Buch „Wohin geht die Reise?“ Zusammen mit der Redaktion, lokalen Autoren und weiteren Jurymitgliedern haben wir die angesagtesten Destinationen ausgewählt. Rotterdam gehört genauso dazu wie eine 3.000 Kilometer lange Wanderroute vom Hochland Armeniens nach Georgien. Selbst eine Handvoll Badeseen in Kärnten haben es ins Buch geschafft, weil es dort neben der Erholung am Ufer auch viel zu sehen gibt und es auch nachhaltiger ist, in der Region zu bleiben.

Wer bestimmt, was zum Trend wird?

Abgesehen von dem Buch sind es ganz verschiedene Akteure, die hier ihren Einfluss ausüben. Von Influencern mit Geheimtipps bis hin zu großen Reiseveranstaltern, die zusammen mit lokalen Leistungsträgern neue Ziele in den Vordergrund rücken. Soziale Medien haben einen entscheidenden Einfluss auf künftige Trends, weil ihre Reichweite so massiv ist. Innerhalb kurzer Zeit gelangen so unbekannte Orte auf die internationale touristische Landkarte.

Gelten diese Trends weltweit?

Nicht immer. Was in Europa beispielsweise als nachhaltig angesehen wird, könnte in Asien oder Afrika ganz anders interpretiert werden. Reisetrends sind ein komplexes Zusammenspiel aus globalen Einflüssen und lokalen Besonderheiten. Mallorca liegt in Deutschland seit einer gefühlten Ewigkeit im Trend. Franzosen hingegen werden der Insel auch nicht mehr abgewinnen können als anderen Inseln im Mittelmeer. Wichtig ist sicherlich auch, dass Reisende mit dem Trend gehen können, das Reiseziel erreichbar und bezahlbar ist und mit der Reise nach der Rückkehr gesellschaftliche Pluspunkte in ihrem sozialen Umfeld sammeln können.

Wie schnell ändern sich die Trends?

Die Trends im Tourismus können sich erstaunlich schnell ändern, oft beeinflusst durch globale Ereignisse, technologische Entwicklungen und sich wandelnde Verbraucherwünsche. Nehmen Sie zum Beispiel die rasche Verschiebung zu abgelegenen, naturnahen Reisezielen nach der Covid-19-Pandemie. Auf einmal waren die Naturparks in Deutschland sehr beliebt. Dies zeigt, wie flexibel und adaptiv der Tourismus auf globale Veränderungen reagiert. Oder besondere Naturschauspiele wie eine Sonnenfinsternis. Es gibt eingefleischte „Eclipse Chasers“, die bei jeder Sonnenfinsternis zur rechten Zeit am richtigen Ort sein wollen – weltweit, Jahr für Jahr.

Große Reiseveranstalter wie DER Touristik bemerken einen Trend zu hochpreisigen Reisen. Wie passt das zusammen mit dem Klagen über die Inflation?

Es ist ein interessantes Paradoxon. Trotz wirtschaftlicher Herausforderungen existiert eindeutig ein Markt für luxuriöse, hochpreisige Reisen. Mir scheint, dass trotz Inflation und finanzieller Unsicherheiten eine nicht ganz kleine Gruppe von Reisenden bereit ist, für exklusive und einmalige Erfahrungen deutlich mehr zu bezahlen. Ich glaube aber, dass die meisten Urlauber einfach keine Wahl haben, weil die Preise über alle Produkte stark gestiegen sind. Für manche heißt die Alternative vermutlich Urlaub auf Balkonien, wenn sie die hohen Preise nicht bezahlen können.

Seit einigen Jahren wird auch nachhaltiges Reisen zum Trend ausgerufen. Umfragen zeigen jedoch, dass Nachhaltigkeit beim Buchen eher eine untergeordnete Rolle spielt. Ein Widerspruch?

Das ist ein perfektes Beispiel für die sogenannte kognitive Dissonanz und den Attitude-Behavior Gap. Das bedeutet, dass wir zwar etwas wollen, es aber nicht in die Tat umsetzen. Einerseits bekunden 50 Prozent der Urlauber den Wunsch, nachhaltig zu reisen – das Interesse und das Bewusstsein für nachhaltiges Reisen ist also stark vorhanden. Andererseits sehen wir in der Realität, dass nur etwa vier Prozent der Urlauber tatsächlich nachhaltige Reisen buchen.

Haben Sie dafür eine Erklärung?

Dieser Widerspruch zwischen Einstellung und Verhalten beschäftigt uns schon lange. Es scheint, dass trotz des wachsenden Bewusstseins für Umweltfragen praktische Überlegungen wie Kosten, Komfort und Bequemlichkeit oft dominieren. Hier sind Reisebüromitarbeiter, Reiseführer und auch die Sozialen Medien gefragt, um Aufklärung zu betreiben. Indem sie das Thema Nachhaltigkeit ansprechend und praktikabel darstellen, tragen sie dazu bei, diese kognitive Dissonanz bei Reisenden zu verringern und den Weg für mehr nachhaltige Entscheidungen im Tourismus zu ebnen. An dieser Stelle setzen der Deutsche Reiseverband mit seinem „Green Counter“ an oder die Organisation „Klimalink“ bei klimafreundlicheren Reisen. Hoffen wir, dass es funktioniert, denn vier Prozent sind einfach viel zu wenig, um den Tourismus zukunftsfähig zu machen.

Fünf von 40: Diese Trendziele empfehlen die Experten des Marco Polo Trendguides im neuen Jahr:

Noch unentdeckt: Wer an Italien denkt, hat die Region Basilikata selten auf dem Schirm. Weit im Süden, an der Stiefelsohle zwischen Apulien, Kampanien und Kalabrien, erwarten die Besucher außergewöhnliche Geschichte (die Höhlenstadt Matera gehört zu den ältesten Siedlungen auf der Erde) und ungewöhnliche Abenteuer wie der sogenannte Engelsflug (eine Zipline) zwischen den abgeschiedenen Dörfern Pietrapertosa nach Castelmezzano (Foto).
Noch unentdeckt: Wer an Italien denkt, hat die Region Basilikata selten auf dem Schirm. Weit im Süden, an der Stiefelsohle zwischen Apulien, Kampanien und Kalabrien, erwarten die Besucher außergewöhnliche Geschichte (die Höhlenstadt Matera gehört zu den ältesten Siedlungen auf der Erde) und ungewöhnliche Abenteuer wie der sogenannte Engelsflug (eine Zipline) zwischen den abgeschiedenen Dörfern Pietrapertosa nach Castelmezzano (Foto). © Steffen Klameth
Neuer Glanz: Schön und vergänglich – das sind die Kreidefelsen von Rügen. Ihrem Schutz zuliebe wurde in diesem Jahr ein ganz besonderer Aussichtspunkt eröffnet; auf dem Skywalk schweben die Besucher 118 Meter über der Erde. Zu Lebzeiten von Caspar David Friedrich war an solche Bauwerke natürlich nicht zu denken. Seine Geburtsstadt Greifswald feiert den 250. Geburtstag des Malers mit Sonderausstellungen und zeigt auch das Gemälde von den Kreidefelsen.
Neuer Glanz: Schön und vergänglich – das sind die Kreidefelsen von Rügen. Ihrem Schutz zuliebe wurde in diesem Jahr ein ganz besonderer Aussichtspunkt eröffnet; auf dem Skywalk schweben die Besucher 118 Meter über der Erde. Zu Lebzeiten von Caspar David Friedrich war an solche Bauwerke natürlich nicht zu denken. Seine Geburtsstadt Greifswald feiert den 250. Geburtstag des Malers mit Sonderausstellungen und zeigt auch das Gemälde von den Kreidefelsen. © TMV/Timm Allrich
2024 erleben: Seit nunmehr 30 Jahren steht die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft als Biosphärenreservat unter dem besonderen Schutz der Unesco. Wer ahnt schon, dass es sich dabei um eine von Menschen geformte Landschaft handelt? Mönche verbanden im Mittelalter Hunderte von Teichen mit Kanälen, um Karpfen als Fastenspeise zu züchten. Heute finden Seeadler, Eisvögel und Kraniche hier ein ideales Refugium – und Menschen ihre Ruhe.
2024 erleben: Seit nunmehr 30 Jahren steht die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft als Biosphärenreservat unter dem besonderen Schutz der Unesco. Wer ahnt schon, dass es sich dabei um eine von Menschen geformte Landschaft handelt? Mönche verbanden im Mittelalter Hunderte von Teichen mit Kanälen, um Karpfen als Fastenspeise zu züchten. Heute finden Seeadler, Eisvögel und Kraniche hier ein ideales Refugium – und Menschen ihre Ruhe. © TMGS/Katja Fouad Vollmer
Nachhaltig: Früher war mehr Schnee. Deshalb setzen in den Alpen immer mehr Gemeinden auf „Grünen Wintersport“. In Kaiser-Brixental werden die Schneekanonen mit Ökostrom betrieben, das Berchtesgadener Land setzt komplett auf Naturschnee. Die Region Weißensee wurde dieses Jahr als nachhaltigste in ganz Österreich ausgezeichnet. Der Weißensee (Foto) ist ein Paradies (nicht nur) für Eisläufer – er friert im Winter zuverlässig zu.
Nachhaltig: Früher war mehr Schnee. Deshalb setzen in den Alpen immer mehr Gemeinden auf „Grünen Wintersport“. In Kaiser-Brixental werden die Schneekanonen mit Ökostrom betrieben, das Berchtesgadener Land setzt komplett auf Naturschnee. Die Region Weißensee wurde dieses Jahr als nachhaltigste in ganz Österreich ausgezeichnet. Der Weißensee (Foto) ist ein Paradies (nicht nur) für Eisläufer – er friert im Winter zuverlässig zu. © Gert Steinthaler/Kärnten Werbun
Spot an für Tartu: Die zweitgrößte Stadt Estlands ist 2024 – neben Bad Ischl in Österreich und Bodø in Norwegen – Europäische Kulturhauptstadt. In der Studentenstadt sind die meisten Attraktionen zu Fuß zu erreichen. Das Rathaus (Bildmitte) wurde nach einem Großbrand im 18. Jahrhundert im klassizistischen Stil wiederaufgebaut, ebenso viele Wohn- und Geschäftshäuser im Stadtzentrum. Eine ehemalige Fabrik dient kreativen Künstlern heute als Werkstatt und Ausstellungsort. Und das Estnische Nationalmuseum macht Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes erlebbar. Vom Veranstaltungsmarathon im Kulturhauptstadtjahr ganz zu schweigen.
Spot an für Tartu: Die zweitgrößte Stadt Estlands ist 2024 – neben Bad Ischl in Österreich und Bodø in Norwegen – Europäische Kulturhauptstadt. In der Studentenstadt sind die meisten Attraktionen zu Fuß zu erreichen. Das Rathaus (Bildmitte) wurde nach einem Großbrand im 18. Jahrhundert im klassizistischen Stil wiederaufgebaut, ebenso viele Wohn- und Geschäftshäuser im Stadtzentrum. Eine ehemalige Fabrik dient kreativen Künstlern heute als Werkstatt und Ausstellungsort. Und das Estnische Nationalmuseum macht Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes erlebbar. Vom Veranstaltungsmarathon im Kulturhauptstadtjahr ganz zu schweigen. © Steffen Klameth
  • Buchtipp: „Wohin geht die Reise? – Der Marco Polo Trendguide 2024“, Mairdumont, 192 Seiten, zwölf Euro.