Riesa. Ein salutierender Junge, darunter eine Gruppe marschierender Jugendliche in Uniform: Mit diesen Bildern führt die neue Sonderausstellung im Stadtmuseum Riesa zu ihrem Thema. In das Gruppenfoto lasse sich schon einiges hineinlesen, erklärt Museumsmitarbeiterin Brigitte Bock: Der eine sei vielleicht schon etwas erschöpft vom Marsch, ein anderer wirke entschlossen, ein dritter dagegen alles andere als begeistert.
Mit dem Foto lässt sich auch erklären, warum die neue Schau mit einem Ausrufe- und einem Fragezeichen endet: "Jugend im Gleichschritt!?" widmet sich ab Freitag, 8. April, der Hitlerjugend in Deutschland - und stellt dabei auch die Frage, inwieweit sich Jungen und Mädchen eigentlich der Jugendorganisation des NS-Staates entziehen konnten.
Im Stadtmuseum haben die Sonderausstellung anlässlich des Holocaustgedenkens Tradition. Wegen Corona musste die neue Schau vom Januar ins Frühjahr verschoben werden. Es ist eine Premiere: Erstmals kommt die Ausstellung nach Ostdeutschland.
"Im Grunde war die Hitlerjugend der verlängerte Arm des Regimes", erklärt Jens Nagel. Der Historiker leitet die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, die gemeinsam mit weiteren Mitstreitern an der Schau und dem Begleitprogramm mitwirkt. Die Organisation sollte für Ordnung suchen. Beispiele gibt es auch aus der Region. Bei der Suche in alten Zeitungen haben die Museumsmitarbeiterinnen viele Berichte gefunden, etwa von Aufmärschen der HJ. "Die Kundgebungen führten etwa vom HJ-Haus nahe dem Krankenhaus zur Stadthalle Stern, zum Schwarzen Platz an der heutigen Kasernenstraße. Es gibt auch Erlebnisberichte, etwa von einem Mädchen, das Adolf Hitler getroffen hatte und beschreibt." In Auszügen ist das im Riesaer Museum dokumentiert. "Die Ausstellung ist schon viel Text", erklärt Bock, "deshalb sind aus der Masse nur Bruchstücke dokumentiert."
Historiker Jens Nagel verweist dazu noch auf den Vortrag von Martin Clemens Winter im Jahr 2020 über die Todesmärsche Ende des Zweiten Weltkriegs. Als einige Gefangene im Riesaer Umland flüchteten, da seien an der Suche auch Hitlerjungen beteiligt gewesen. "Einige nahmen dann auch bei den Erschießungen teil."
Gleichzeitig sei es aber nicht unmöglich für junge Deutsche gewesen, sich der Hitlerjugend zu entziehen, betont Nagel. Die Ausstellung gibt das ebenfalls wieder. Sie zeichnet anhand konkreter Biografien nach, aus welchen Gründen sich Kinder und Jugendliche überhaupt entschlossen, der Hitlerjugend beizutreten. Das Elternhaus sei ein entscheidender Faktor gewesen.
Neben Schautafeln und vielen Fotos gibt es in der Dokumentation auch kleine Filme und historische Dokumente zu sehen - geordnet nach verschiedenen Bereichen des damaligen Jugendlebens. Erster fester Termin des Begleitprogramms ist eine Lesung mit Autorin Renate Preuß. Sie erzählt am 12. April eine Geschichte vierer Pausitzer Hitlerjungen. Weitere Projekte für Jugendliche und Erwachsene sind ebenfalls geplant. Die Ausstellung wird bis zum 29. Mai 2022 zu sehen sein.
- Ein Interview zur Ausstellung gibt es auch zum Anhören auf Podigee.
- Vollständiges Begleitprogramm auf der Internetseite des Hauses am Poppitzer Platz.