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Putin und Sachsen: Ende einer Beziehung

Wladimir Putin galt vielen im Osten als respektabel. Russlands Krieg gegen die Ukraine erschüttert nun sorgsam gepflegte Weltbilder. Begegnung mit drei Enttäuschten.

Von Tobias Wolf
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Heimatgefühle? Dresden sei neben Hamburg seine Lieblingsstadt in Deutschland, hat Putin mal gesagt. Bei seinem Besuch in der Stadt, in der er früher mal gelebt hatte, spazierte er 2006 auch über die Brühlsche Terrasse.
Heimatgefühle? Dresden sei neben Hamburg seine Lieblingsstadt in Deutschland, hat Putin mal gesagt. Bei seinem Besuch in der Stadt, in der er früher mal gelebt hatte, spazierte er 2006 auch über die Brühlsche Terrasse. © Dmitry Astakhov/dpa/ITAR-TASS

Dresden. Schmerz, Wut und eine gewisse Hilflosigkeit kennzeichnen in Beziehungen meist das Ende. Egal, ob man verlassen wurde oder sich getrennt hat. Der Zauber des Anfangs scheint schlaglichtartig durch verletzte Gefühle, macht sie noch schwerer. Enttäuscht zu werden, tut weh. Sich selbst getäuscht zu haben noch mehr. Das Selbsteingeständnis, manches Verhalten bis zum großen Knall, der keine Wahl mehr lässt, übersehen zu haben. Wladimir Putins Angriffsbefehl auf die Ukraine hat für viele Ostdeutsche solche Gefühle ausgelöst. Ein Ehepaar aus dem Erzgebirge und ein Mann aus Dohna bei Heidenau erzählen über Stationen einer gescheiterten Beziehung.

Das Grundmuster

Sympathien und Erfahrungen bestimmen Zuneigung. In einem Haus im Erzgebirge gießt Inge Schmidt ihrem Mann Rudolf einen Schluck Wasser ein. Gerade hat sie noch nach dem Fasan gesehen, der jeden Tag an die Terrassentür klopft. Die Namen sind Pseudonyme, weil die Senioren im 300-Seelen-Dorf, in dem ein Großteil die putinnahe AfD wählt, nicht zur Zielscheibe werden wollen. Beide sind um die 80.

Als Kind erlebte Rudolf Schmidt die Bombenangriffe des 13. Februar 1945 in Dresden. Die Nacht im Luftschutzkeller hat er nie vergessen, und dass es Amerikaner und Briten waren und keine Russen. "Als Kind ist es furchtbar, das so hautnah zu erleben. Krieg ist das Schlimmste, was es gibt, und für mich galt danach: Nie wieder Krieg." Auch wenn er in der DDR bei der Nationalen Volksarmee diente.

Inge Schmidts Großmutter wurde bei einem US-Tieffliegerangriff nahe Erfurt verletzt und verblutete. "Die Amis waren die erste Besatzungsmacht. Mein Opa wurde angewiesen, nicht publik zu machen, dass sie von ihnen erschossen wurde." Vor den nach dem Besatzungszonen-Tausch einrückenden Russen habe man Angst gehabt, musste einen Offizier einquartieren, der nicht dem Bild des plündernden Russen entsprach, sondern Brot und Speck mitbrachte. Russen, von Anfang an Freunde. Den Amis hätten beide von Beginn an misstraut. Persönliche Prägungen, die durch die DDR-Ideologie bestätigt wurden.

Hier die Guten, dort der Klassenfeind, dem man misstraut. Rudolf Schmidt unterhielt als Technischer Leiter eines Elektromaschinenbetriebs gute Kontakte zu Handelspartnern am Kaspischen Meer oder zum örtlichen Kommandanten der Sowjetarmee, der Soldaten für einfache Arbeiten in den Betrieb schickte. Amerikaner erlebte er bei Dienstreisen ins westliche Ausland als arrogant. "Wenn ich denen gesagt habe, dass ich aus Dresden komme, haben die immer gesagt, das liegt in Russland."

Dohna bei Heidenau. Bernd Körner sitzt auf einer beige-orangefarbenen Couch und bewegt die ineinander verschränkten Finger. Im Bücherregal hinter ihm reiht sich Buch an Buch: Geschichtsbände, eine Abhandlung über Imperien, dazwischen der DDR-Roman "Daniel Druskat", Reiseführer. Er sei DDR-sozialisiert, sagt der Elektrotechnik-Ingenieur. "Man dachte, man ist auf der Seite des Guten, weil man das in Kindergarten und Schule so gelernt hat." Russlands Kultur sei ihm immer näher gewesen, Figuren und Geschichten russischer Schriftsteller wie Dostojewski und Tolstoi berührender als die amerikanischer Autoren wie Hemingway. Die Sowjetunion selber nicht ganz so, bei einer Reise nach Moskau 1978 habe er eher schlechte Erfahrungen gemacht. So richtig beschäftigt habe er sich mit Russland erst nach der Wende.

Der Zauber des Anfangs

Bernd Körner hat Putins Auftritt im September 2001 im Bundestag gut in Erinnerung, dessen Rede auf Deutsch, die er als wohltuend und entgegenkommend empfand. Als Putin von der Gewährleistung von Demokratie und Freiheit als wichtigster Aufgabe russischer Innenpolitik sprach, vom gemeinsamen europäischen Haus, von vollwertiger Partnerschaft. "Das war ja nach den Jelzin-Jahren auch ein ganz anderer Typ, nicht direkt unsympathisch." Und dann diese zufällige wie unwahrscheinliche Beziehung zu Dresden und Sachsen.

Erst als sowjetischer Geheimdienstoffizier in Dresden, nun auf Staatsbesuch in Berlin und Sachsen. "Klar, hat das für die Sympathie eine Rolle gespielt. Wäre er als KGB-Agent in Rostock gewesen, wäre das bestimmt ein bisschen anders gewesen."

Für Rudolf Schmidt ist Putins Bundestagsrede legendär, die Dresden-Nähe habe aber für ihn nie eine Rolle gespielt. Inge Schmidt sagt, sie sei skeptisch gewesen. "Als Putin von Jelzin eingeführt wurde, dachte ich: Was wird dieses Riesenreich mit diesem kleinen Birnenmännel anfangen? Aber die Russen sind ja ein stolzes Volk, und der gibt ihnen so ein Gefühl zurück: Wir sind wieder auf der Weltbühne." Und Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde zu einem persönlichen Freund und noch später zu einem Profiteur Putins, was bis heute harsche Kritik auslöst.

Jelzin sei kein Staatsmann gewesen und ständig betrunken, sagt Inge Schmidt, sogar vor Kameras. Trotzdem habe niemand etwas gesagt, wenn er mit Helmut Kohl in der Sauna saß. Oder als Willy Brandt gegen jedes Protokoll mit KPdSU Generalsekretär Leonid Breschnew auf der Krim zusammentraf und in dessen Privatpool badete.

Verstehen und Verständnis

"Es war ein Fehler aller im Bundestag vertretenen Parteien, auf Putins Angebot von 2001 nicht einzugehen", sagt Rudolf Schmidt. Als Rentner habe er sich verstärkt mit Putins Russland beschäftigt und Verständnis entwickelt. "Mehr und mehr hat mich gestört, dass nach der Einheit die Nato-Osterweiterung vorangetrieben wurde, weil das Bündnis mit meinem damaligen Blick nichts Gutes war." Er habe es mit den Begriffen der DDR als aggressives Bündnis gesehen, das seiner Vorstellung von "nie wieder Krieg" zuwiderlief.

Der Dohnaer Bernd Körner hat das immer ähnlich gesehen. Russland habe Teil einer Sicherheitspartnerschaft mit dem Westen sein sollen, aber die Nato stellte Raketen in Osteuropa auf, obwohl den Russen das nicht gefallen habe. "Für mich ist das ein bisschen wie in der Demokratie, wo ich zwar eingeladen bin, sie mit auszugestalten, aber sich am Ende nicht meine Meinung durchsetzen muss." Das sei eben auch normal. Nur Russland sei das immer wieder so gegangen. "Die Wende war die Rede auf der Sicherheitskonferenz in München 2007, da war bei Putin ein Füllstand erreicht, den ich gut nachvollziehen konnte." Russland sei als Vielvölkerstaat fragiler, die innere Ordnung schwerer aufrechtzuerhalten. "Ganz anders als hier, wo wir uns drauf verlassen können, dass jeder seine Fahrkarte bezahlt." Man müsse akzeptieren, dass Russland gezwungen sei, innenpolitisch Entscheidungen zu treffen, die vielleicht nicht besonders demokratisch seien, aber ein Auseinanderfallen des Staates verhindern. Was passieren kann, lasse sich am Schicksal anderer Imperien erkennen. Der Zerfall der Sowjetunion sei da relativ glimpflich verlaufen.

Selbsttäuschung

Bernd Körner sagt, dass er allen Menschen eine gewisse Rechtschaffenheit unterstelle. Man müsse die Meinung anderer verstehen lernen, ohne sie gleich zu akzeptieren, auch die Putins oder Russlands. Auf der anderen das Streben der Ukraine nach Europa, das er habe nachvollziehen können, aber auch, dass Menschen aus der Ostukraine lieber ihre eigene, Russland zugeneigte Lebensart behalten wollen und von Putin darin paramilitärisch unterstützt wurden.

Rudolf und Inge Schmidt haben viel auf Bücher von Gabriele Krone-Schmalz gegeben, vielleicht auch, weil sie an ihnen bekannte Deutungsmuster anknüpften, wonach der Westen für alles verantwortlich sei und man Russland nur verstehen lernen müsse. Selbst noch bei Putins Annexion der Krim. Sie hätten damals gedacht, es könne nicht sein, dass die Schwarzmeerflotte Russlands in der Ukraine ist, sagt Inge Schmidt. "Wir waren froh, dass das ohne großes Blutvergießen abging und wir waren vielleicht ein bisschen blauäugig, weil wir dachten, mit dem Referendum ist das durch eine reguläre Moral entschieden." Dass das Referendum vielleicht nicht zu 100 Prozent rechtens, aber die Mehrheit wahrscheinlich damit einverstanden ist.

Die Sache mit der Krim habe sie jedenfalls nicht so beunruhigt wie der Wunsch der Ukrainer, in die EU oder die Nato zu kommen. Es ist wie in einer echten Beziehung, aus Sympathie können Dinge durchgehen, die, von Dritten ausgeführt, inakzeptabel wären.

Enttäuschung

Mit dem Angriff auf die Ukraine fällt Inge Schmidt Putins Bundestagsrede wieder ein und, was ihr damals durch den Kopf ging: "Nimm dich in Acht vor kleinen Männern, die sind die Gefährlichsten." Als vor Wochen Warnungen der USA vor einem Angriff kamen, da hätten sie das nicht ernst genommen. "Typisch Amerikaner. Ich hätte Stein und Bein geschworen, das macht der nicht, aber so richtig kann man Geheimdiensten nicht glauben. Im Irak haben sie Sachen gesagt, die nicht stimmten." Das alte Misstrauen ist stärker als die Truppenaufmärsche. "Das Putin das getan hat, ist immer noch unfassbar. Aber er ist das nicht allein, das ist wie bei Hitler, der brauchte auch eine Blase um sich herum."

Bernd Körner sagt: "Am Anfang habe ich das nicht geschnallt, die ‚Friedensmission‘ konnte ich irgendwie noch einordnen, auch wenn mir das nicht gefiel." Gewundert habe ihn, dass das russische Parlament einstimmig votierte. "Ich bin dort bisher von einer gewissen, echten Parlamentstätigkeit ausgegangen." Die Unruhe vor dem Krieg, "die USA, die mit ihren Warnungen als Kriegstreiber hingestellt wurden, die aber die ganze Zeit bis ins letzte Detail gestimmt haben, das alles beunruhigt mich."

Sein Weltbild habe sich massiv verschoben, nicht im Großen, aber in der kurzfristigen Entwicklung schon. "Das ist wie ein Gebäude, in dem die Einzelteile Beziehungen zueinander hatten, Erklärungen, die Dinge rechtfertigten. Der Krieg ist ein Erdbeben, das die Verbindungen kappte, die nun neu geknüpft werden müssen." Dinge, die er bis vor Kurzem anders dachte, Erinnerungen, die jetzt anders klingen.

Die Trennung

Enttäuschungen können sich aufstauen, ohne, dass es zum großen Knall in der Beziehung kommt. Bis zu dem einen nicht zu ignorierenden Fehlverhalten. "Ich hätte niemals gedacht, dass es Krieg gibt", sagt Bernd Körner. "Das ist ein Verbrechen." Davor habe er gedacht, Putin lebe im Einklang mit dem russischen Volk in einer Art Gegenmodell zum Westen. Auch deshalb habe er Putin respektiert. "Putin versucht, diese Lebensart anderen aufzuzwingen und nimmt unermessliches Leid und Zerstörung in Kauf. Das verdient tiefe Verachtung. Es ist der Fluch der bösen Tat, die immer mehr böse Taten nach sich zieht." Er fiebere jetzt mit der Ukraine.

Rudolf Schmidt ist genauso geschockt wie seine Frau, die seit Kriegsbeginn nicht mehr richtig schlafen kann. "Das ganze Weltbild bekommt einen großen Riss, weil man Putin das eigentlich nie zugetraut hat, dass er so einen brutalen und verbrecherischen Krieg anzettelt", sagt der Rentner. "Die beste Lösung wäre, er würde zurücktreten, er könnte gesundheitliche Gründe vorgeben." Ein Staatsstreich könnte Dinge verhindern. "Aber dann hat man vielleicht eine Militärdiktatur."

Seine Frau sagt, sie könne ihre Enttäuschung nicht einmal richtig in Worte fassen. "Dafür gibt es kein Wort, mindestens hoch 100.000. Findet sich denn keiner mit einem Gewehr, der losmacht?"