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Russen im sächsischen Exil: "Putins Regime ist nicht Russland"

Sie haben ihr Land verloren und leiden unter den aktuellen Zuständen. Für viele von ihnen war Kremlkritiker Nawalny ein Hoffnungsträger. Nun müssen sie ohne ihn auf ein besseres Russland hoffen.

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Ekaterina Beljankina und Konstantin Kosow  mussten Russland wegen drohender Repressalien verlassen. Nun versuchen sie sich in Sachsen eine neue Heimat aufzubauen.
Ekaterina Beljankina und Konstantin Kosow mussten Russland wegen drohender Repressalien verlassen. Nun versuchen sie sich in Sachsen eine neue Heimat aufzubauen. © dpa/Jörg Schurig

Dresden. Wenn es nach Ekaterina Beljankina und Konstantin Kosow aus dem sächsischen Freiberg ginge, wären sie jetzt eigentlich an einem anderen Ort, etwa 1.800 Kilometer entfernt.

Die Journalistin (31) und der 39 Jahre alte Feuerwehrmann stammen aus St. Petersburg. Seit einem halben Jahr hat das Ehepaar seine Heimatstadt nicht mehr gesehen. Beide mussten Russland verlassen. "Damals haben Freunde von uns gemeint: 'Ihr werdet Russland spätestens in einem halben Jahr vergessen haben.' Aber das ist nicht so", sagt Beljankina. Wenn sie an Russland denke, können sie bis heute nicht gut schlafen.

Kosow, der als unabhängiger Kandidat im Stadtbezirksrat des St. Petersburger Viertels Puschkin saß, hatte im September 2022 eine Petition russischer Lokalpolitiker gegen Putin unterzeichnet. "Wir glauben, dass die Handlungen von Präsident Wladimir Putin Russlands Zukunft und seinen Bürgern schaden. Wir fordern den Rücktritt von Wladimir Putin vom Amt des Präsidenten der Russischen Föderation!" Auch seine Frau Ekaterina hatte sich als Wahlbeobachterin und Journalistin unliebsam gemacht. Über Georgien reiste das Ehepaar mit einem humanitären Visum für Deutschland aus und landete in Freiberg.

Sehnsucht nach St. Petersburg

Der Verlust der alten Heimat schmerzt sie schwer. "Wir sind nicht einfach weggezogen, das war keine freiwillige Entscheidung", sagt Kosow. Er habe nur die Wahl zwischen Gefängnis und Armee gehabt und sich entschieden, das Land zu verlassen. Das System habe Leute wie ihn nicht mehr gewollt. Wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen für den vor Kurzem in russischer Haft gestorbenen Kremlkritiker Alexej Nawalny sei er schon 2021 mehrfach verhaftet worden. Kosow räumt ein, dass er St. Petersburg vermisst und manchmal wütend ist, weil er aus dem Land gedrängt wurde. "In nur einem Augenblick hat sich für mich alles verändert, habe ich mein Leben auf null stellen müssen."

Ekaterina Beljankina beschreibt es ähnlich. Früher, vor der Annexion der Krim durch Russland, sei sie viel gereist und auch in Westeuropa unterwegs gewesen. "Dabei habe ich ein Gespür dafür bekommen, wie ein freies Land aussehen kann." Doch das sei nun Motivation für ihr Engagement in der neuen Heimat. Man gebe nicht auf, wolle sich weiter mit russischer Politik beschäftigen und für Veränderungen dort eintreten. "Putins Regime ist nicht Russland", sagt Kosow. Die Menschen in Deutschland sollten erfahren, dass es dieses "andere Russland" gibt, nicht alle Menschen hinter Putin stünden.

Wenn Konstantin Kosow über Alexej Nawalny redet, spricht er von Mord. Die Russen würden dessen Schicksal sehr unterschiedlich empfinden. "Die Ermordung hat viele Menschen mobilisiert. Das hat einen Impuls im Kampf gegen Putin gebracht. Nawalnys Erbe ist deutlich mehr, als man vielleicht denkt. Er hat den Menschen ein Beispiel gegeben. Das macht sehr viel Hoffnung." Beljankina zufolge hat die Nachricht vom Tod Nawalnys viele Landsleute am Boden zerstört. "Es gibt aber auch diese Auffassung: 'Nawalny ist nicht mehr da. Nun müssen wir selbst etwas unternehmen.'"

Mahnwachen in Dresden und Chemnitz

Fast wirkt es so, als wollten sich die beiden selber Mut machen. Trauer und Wut über die Entwicklung in Russland haben sie in Energie umgesetzt. Nach dem Tod Nawalnys organisierten sie in Dresden und Chemnitz Mahnwachen.

Sie habe schon einen vollen Terminkalender für Aktionen in den kommenden Monaten, sagt Beljankina. Man wolle Treffen organisieren, wo Menschen Briefe an politische Gefangene in Russland schreiben können, und auf Veranstaltungen über das Schicksal Betroffener aufklären. Auf ihrem Youtube-Kanal führe sie Interviews mit Aktivisten, außerdem schreibe sie für diverse Medien.

Zunächst aber möchte das Ehepaar die deutsche Sprache richtig erlernen. Sie seien sehr freundlich in Sachsen aufgenommen worden und hätten viel Hilfsbereitschaft gespürt, sagt Kosow. Die Frage, wo er sich in zehn Jahren sieht, beantwortet er so: "Noch vor eineinhalb Jahren hätte ich darauf gesagt: im Gefängnis. Heute wünsche ich mir nur ein freies, ehrliches Russland, ein ganz normales Land." Mit seinem Herzen glaube er daran, nur der Kopf bleibe manchmal skeptisch. Doch nach dem Tod Nawalnys sei man geradezu verpflichtet, an eine bessere Zukunft Russlands zu glauben. (dpa)