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Ärztemangel in Sachsen: Wie Mediziner aus dem Ausland Abhilfe schaffen

Der Ärztemangel in Sachsen ist allgegenwärtig. Abhilfe schaffen Arbeitskräfte aus dem Ausland. Eine Klinik in Görlitz zeigt sich dabei als Musterbeispiel für gelungene Integration.

Von Simon Lehnerer
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Die beiden, in Polen geborenen, Ärzte Monika Rajtor und Kamil Tkacz haben in Görlitz ihr neues Zuhause gefunden.
Die beiden, in Polen geborenen, Ärzte Monika Rajtor und Kamil Tkacz haben in Görlitz ihr neues Zuhause gefunden. © Foto: SZ/Veit Hengst

Der beißende Geruch von Desinfektion liegt in der Luft. Hinter einem Bett auf Rollen piept und blinkt ein rotes Lämpchen auf einem der Bildschirme. Zwei Männer und eine Frau in petrolblauen Kasacks betreten den Raum, einer von ihnen hält ein Klemmbrett und einen Kugelschreiber in den Händen. Im Bett vor ihnen liegt ein Mann mit grauen Haaren, dünn und faltig, fast nur noch Haut und Knochen. Die Rückenlehne ist ein Stück hochgefahren, sodass er beinahe sitzt. Sein Blick ist starr gegen die Wand gerichtet. Ein Schlauch im Mund führt zu einem der Apparate hinter ihm.

Einer der Ärzte trägt ein Schild mit dem Namen Tkacz. Er setzt sein Stethoskop an die weiß behaarte Brust und hält inne. Dann lehnt er sich zu dem Patienten vor und sagt mit leichtem osteuropäischem Akzent: „Können Sie mich hören, Herr Huber? Soll ich etwas lauter sprechen? Wenn Sie mich verstehen, geben Sie mir ein Zeichen mit den Augen.“ Ein deutliches Blinzeln. Die Kollegin notiert etwas auf dem Klemmbrett.

Ausländische Ärzte gegen den Ärztemangel

Eine alltägliche Szene in der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie des Städtischen Klinikums Görlitz. Chefarzt ist Jörg-Uwe Bleyl. Von den 19 in seinem Team angestellten Ärzten kommen inzwischen zwölf aus dem Ausland – also knapp zwei Drittel. Die Fachkräfte aus Polen, Tschechien, Belarus und Litauen sind für die Klinik von unschätzbarem Wert. Ohne sie wäre der Alltag nicht mehr denkbar, die Versorgung nicht mehr zu leisten.

Das Thema Ärztemangel begleitet Sachsen schon länger. Zwar steigt die Anzahl der Ärzte im Freistaat und auch in Deutschland seit Jahren minimal, jedoch werden sie im Schnitt immer älter. Laut Bundesärztekammer reicht das leichte Wachstum bei Weitem nicht aus, um den Bedarf auf Dauer decken zu können. Das große Problem ist die Demografie. Bereits heute hat fast die Hälfte aller Ärzte in Deutschland das 50. Lebensjahr überschritten. Die Anzahl der Ärzte im Ruhestand stieg seit 2019 bundesweit um 12 Prozent.

Es fehlt an Nachrückern. Maßnahmen wie das 20-Punkte-Programm "Medizinische Versorgung 2030" haben für erste Fortschritte gesorgt, beispielsweise die Landarztquote oder Medizinstudienplätze im Ausland, dennoch gibt es Bedarf in Kliniken und Niederlassungen.

Abhilfe schaffen wenigstens ein Stück weit die Ärzte aus dem Ausland. „Gerade in ländlichen Regionen leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung. In vielen Kliniken käme es ohne sie zu erheblichen personellen Engpässen“, sagt eine Sprecherin der Bundesärztekammer.

Wie viele andere Krankenhäuser ist auch das Klinikum Chemnitz vom Ärztemangel betroffen. „Unser ärztliches Personal ohne deutsche Staatsangehörigkeit trägt maßgeblich dazu bei, dem Ärztemangel ein wenig entgegenzuwirken“, berichtet die Presseabteilung der Einrichtung.

"Hier in Görlitz fühle ich mich wie zu Hause"

Am Städtischen Klinikum Görlitz leistet Kamil Tkacz seinen Beitrag. Der 32-Jährige wurde in Oberschlesien geboren, ist polnischer Staatsbürger und Teil des Anästhesie-Teams von Chefarzt Bleyl. Tkacz hat kurze braune Locken, ein leicht verschmitztes Lächeln und hat seinen Kollegen sofort das „Du“ angeboten. Nach dem Studium arbeitete er zunächst für sechs Monate in Görlitz. Da die Grenzstadt es ihm schnell angetan hatte, bewarb er sich auf eine Stelle. Hier schätzt er besonders die ähnliche Kultur, immerhin habe beides früher zu Schlesien gehört. „Hier in Görlitz fühle ich mich wie zu Hause“, betont er.

Die ganze Region liege ihm sehr am Herzen und er bemerke bislang keine großen Unterschiede zwischen diesen Ecken von Deutschland und Polen. Eine Kleinigkeit sei aber doch anders auf der westlichen Seite der Neiße. „Ich fühle mich hier entspannter und weniger gehetzt. In Polen ist alles etwas hektischer, ob im Studium, bei der Arbeit oder im Supermarkt“, sagt Kamil Tkacz.

"In Görlitz war ich nicht mehr diese eine polnische Kollegin"

Ebenfalls in Bleyls Ärzteteam ist Monika Rajtor. Die 33-jährige Fachärztin spricht zunächst etwas leiser, macht einen zurückhaltenden Eindruck, doch nach wenigen Augenblicken taut sie auf. Monika kommt aus einfachen Verhältnissen und wuchs auf einem kleinen Bauernhof nahe der polnischen Stadt Oppeln auf. Wegen der besseren beruflichen Chancen kam sie nach Deutschland. „Es gab nichts, was mich in meiner Heimat gehalten hätte, also habe ich alles auf eine Karte gesetzt“, sagt sie.

Zunächst arbeitete sie im Städtischen Klinikum Dresden. „Ich war die einzige Ärztin aus Polen in der Klinik für Anästhesie und hatte gerade erst Deutsch gelernt. Ich hatte sehr viel Heimweh in dieser Zeit“, erinnert sich die Ärztin, senkt den Blick und knetet ihre Hände.

Anzahl ausländischer Ärzte in Sachsen

Nach Angaben der Sächsischen Landesärztekammer waren 2022 in Sachsen insgesamt 26.986 Ärzte gemeldet, wovon 3.084 Ausländer waren. Mit 422 (13,7 Prozent) kommen die meisten von ihnen aus Tschechien, gefolgt von 356 Ärzten aus Syrien (11,5 Prozent), 271 aus Polen (8,8 Prozent) und 245 aus der Slowakei (7,9 Prozent).

Während Tschechien als Herkunftsland seit über zehn Jahren den ersten Platz belegt, hat Syrien den rasantesten Anstieg hingelegt. Von einst 52 Ärzten 2013, stieg die Zahl auf 230 im Jahr 2018 bis hin zum heutigen zweiten Platz unter den Herkunftsländern. Seit 2012 ist außerdem die Gesamtanzahl der ausländischen Ärzte im Freistaat, abgesehen von 2021, immer gestiegen.

„Wir müssen diese Offenheit leben und tun das hier auch“

Es ist frühmorgens 7.15 Uhr. Täglich findet um diese Uhrzeit die Sitzung der Ärzte in der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie im Aufwachraum statt. Im Kreis sitzen einige der Mediziner auf blau gepolsterten Klappstühlen, andere stehen, manche kommen gerade aus Operationen, tragen noch Mundschutz und OP-Hauben.

Sie tauschen sich aus, was in der Nacht passiert ist, welche Patienten operiert wurden, wo es Komplikationen gab, wann dieser und jener Patient behandelt wird, was das Tagesziel der Genesung ist. Medizinische Fachbegriffe fliegen durch den Raum und im Gespräch sind verschiedene Akzente zu hören.

Chefarzt Jörg-Uwe Bleyl ist stolz auf sein multinationales Ärzteteam.
Chefarzt Jörg-Uwe Bleyl ist stolz auf sein multinationales Ärzteteam. © Foto: SZ/Veit Hengst

Klinikchef Bleyl ist froh darüber, Ärzte aus verschiedenen Ländern in seinem Team zu haben, die als Einheit gut funktionieren. Er hat eine klare Haltung dazu, wie es ohne sie in der Klinik laufen würde: „Ohne unsere ausländischen Mitarbeiter könnten wir keineswegs alle OP-Säle bedienen. Um unser Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, dass wir uns auf den Arbeitsmärkten im Ausland umsehen. Wir müssen diese Offenheit leben und tun das hier auch“, sagt der 62-Jährige.

Laut der Sächsischen Landesärztekammer besteht in vielen Regionen auch weiterhin Bedarf. Ohne die Ärzte aus dem Ausland wäre die Personallücke in den Krankenhäusern und Praxen noch weitaus größer. Allerdings habe man bislang noch nie aktiv ausländische Ärzte angeworben, weil man die Ansicht vertrete, dass diese Fachkräfte in ihren Heimatländern gebraucht werden. Willkommen sind sie hierzulande dennoch, betont die Ärztekammer. „Wenn in einer globalisierten Arbeitswelt und durch Fluchtbewegungen ausländische Ärzte nach Sachsen kommen, dann bieten wir ihnen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten an.“

Monika Rajtor ist nach ihrem Wechsel aufgeblüht, was an der Stadt, ihren Aufgaben, vor allem aber auch am Team liege. „In Görlitz war ich nicht mehr diese eine polnische Kollegin“. Dass sie beide Sprachen beherrscht, komme ihr hier oft zugute, weil immer wieder Patienten eingeliefert werden, die nur Polnisch sprechen. Hier fühle sie sich gebraucht und angenommen. Hier möchte sie bleiben.

Unterwegs im Notdienst sei es durchaus schon vorgekommen, dass Patienten sie auf ihren Akzent angesprochen hätten. Sie reagiere dann stets mit einem Lächeln und antworte: „Stimmt, ich bin aus Polen. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie mich nicht verstehen. Dann spreche ich gern langsamer.“ Nach dieser Erklärung habe es nie Probleme gegeben.