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Dieses Haus ist ein Statement aus Beton

Moderne Architektur bekommt in Sachsen immer mehr Zuspruch. Die SZ stellt fünf Projekte vor – heute das Turmhaus von Trachenberge.

Von Peter Ufer
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Ein tatsächlich herausragender Neubau ist das Turmhaus in Dresden-Trachenberge.
Ein tatsächlich herausragender Neubau ist das Turmhaus in Dresden-Trachenberge. © Matthias Rietschel

Wenn der Hausherr gemeinsam mit seiner Frau und den zwei Kindern ganz oben auf der Dachterrasse seines Hauses steht, dann hält er inne. Er blickt wie ein Feldherr über Dresden, zeigt auf die Frauenkirche im Zentrum, die aus seiner Perspektive wirkt wie ein Modell-Gotteshaus auf einer TT-Eisenbahnplatte.

Unter den Füßen steht fest, was sich das Ehepaar als Neubau gewünscht hat: Ein Statement aus Beton. Es wurde ein Ausrufezeichen in einer gewachsenen Siedlung, kraftvoll in seiner unverstellten Rohbauattitüde. „Wir wollten eine außergewöhnliche Optik, verbunden mit einer strengen Struktur“, sagt der 40-jährige Jurist. Seine Frau ergänzt, dass ihnen dabei völlig klar war, dass hier mitten im Stadtteil Trachenberge derartige Architektur als ungewöhnlich wahrgenommen werde. 

Die Räume des Hauses sind offen gestaltet.
Die Räume des Hauses sind offen gestaltet. © Matthias Rietschel

Doch auf der Weinbergstraße existiert schon seit Jahrzehnten ein Mix ganz unterschiedlicher Stile, großzügige Villen aus den 1920er- und 1930er-Jahren, Einfamilienhäuser und Bungalows aus der DDR-Zeit, sanierte und neu gebaute Mehrfamilienhäuser mit Balkons, die aussehen wie renditeoptimierte Nachwende-Investitionen.

Das neue Gebäude mit der Dachterrasse ragt auf besondere Weise heraus, denn es ist in einer Baulücke am Hang als zwölf Meter hoher Block mit einer Fassade aus pur belassenem Sichtbeton mit haptischen Oberflächen platziert. Kaum ein anderes Baumaterial ist so sehr mit der modernen Architektursprache verknüpft wie der Baustoff aus Zement, Sand oder Kies. Die schlichte Materialität ist sinnfällig und einfach, selbstbewusst und zeitlos. 

Große Fenster, tolle Aussicht - und viel Platz für die Kinder.
Große Fenster, tolle Aussicht - und viel Platz für die Kinder. © Matthias Rietschel

Als verbindendes Element und klares Prinzip dominiert es auch die Innenraumgestaltung. Dennoch blieb es selbst in der Familie umstritten, denn der elfjährige Sohn merkte beim Einzug 2018 an, dass er erst einziehen würde, wenn das Haus wirklich fertig sei. Inzwischen fühle er sich allerdings sehr wohl. Die Räume mit ihren insgesamt 230 Quadratmetern sind zum einen offen und luftig gehalten, vom Eingang gehen die Bewohner oben von der Straße direkt in die offene Küche und eine Treppe nach unten ins Esszimmer. 

Zum anderen gibt es abgeschlossene Zimmer als Rückzugsorte. In der Mitte schraubt sich eine Art Wendeltreppe, unterbrochen durch Absätze, um den Kaminschlot herum. Jeder Raum befindet sich auf einer halben Etage und somit auf seiner eigenen Ebene. Dadurch entsteht ein verblüffender Effekt, eine feine Leichtigkeit und nach außen hin eine Durchbrechung der strengen Symmetrie der scheinbar wahllos angeordneten Fenster. 

Ausgeklügelte Wärmedämmung

Doch alles hat eine bemerkenswerte Logik, ähnlich wie bei einem der bekanntesten deutschen Bauwerke der Moderne. Das Gebäude bewegt sich vom gestalterischen Ansatz in der Tradition des kurz nach dem Ersten Weltkrieg 1921 von Erich Mendelsohn fertiggestellten Einsteinturms in Potsdam. Der markiert den Schritt zur plastisch-dynamischen Auffassung von Betonarchitektur, mit der die technische und konstruktive Idee zum ästhetischen Konzept erhoben wurde. 

Das Dresdner Turmhaus gestaltete das Berliner Architekturbüro von Johannes Lott und Katharina Löser, die 1981 in Annaberg-Buchholz geboren wurde und an der Technischen Universität Dresden studierte. Die Bauherren kannten sie und baten ihr Büro sowie zwei andere Architekten um Entwürfe. Das war wie eine kleine private Ausschreibung auf unkonventionellem Weg. Die Turmhaus-Idee von Löser-Lott überzeugte am Ende.

© Matthias Rietschel
© Matthias Rietschel
© Matthias Rietschel
© Matthias Rietschel

Ein Grund, sich für diese Bauweise zu entscheiden, ist jedoch nicht nur die verblüffende Gestaltung gewesen, sondern zudem das Bauprinzip. Hinter der Betonaußenschale befindet sich im Inneren eine aufgemauerte zweite Wand und dazwischen eine Füllung aus Styroporperlen, was zu einer hocheffizienten Wärmedämmung führt. Eine interessante Variante des Architekturbüros im derzeit permanenten Nachdenken über Klimaschutz und Nachhaltigkeit. 

Das Haus steht auf einem 700 Quadratmeter großen Grundstück, das leicht terrassiert ist. Vom Garten aus lässt sich die Idee des Projektes besonders gut nachvollziehen. Es ergänzen sich die geschlossenen Bereiche perfekt mit Offenheit. Die untere Ebene ist versehen mit einem großen an der Fassade bündigen Fenster sowie einer zurückgesetzten Glasschiebetür. Die Familie findet es schön, sich im Inneren auf die Fensterbank setzen oder legen zu können. Gleichzeitig kann die Tür vor dem großen Wohnzimmer geöffnet werden und es entsteht ein barrierefreier Übergang auf die Wiese.

Nicht das Wohnzimmer ist der zentrale Ort

Ohne Zweifel hat das Turmhaus einen entscheidenen Nachteil. Um die Zimmer zu erreichen, muss die Familie immer Treppen laufen. „Altersgerecht haben wir nicht gebaut“, sagt der Bauherr. „Aber wir sind ja auch noch jung und so bleiben wir fit.“ Dennoch habe sich herausgestellt, dass der zentrale Ort für die Familie nicht das Wohnzimmer ist. Es sind vielmehr die Küche, das Esszimmer und die angeschlossene Loggia. 

Immer wenn der Hausherr das Gefühl von Freiheit genießen möchte, dann steige er aufs Dach und erfreue sich an der traumhaften Aussicht. „Ich wollte schon immer Weitblick haben“, sagt er. Diese Architektur ist wegweisend und wagt etwas. Die Weinbergstraße in Trachenberge bekommt damit eine echte Sehenswürdigkeit und einen Impuls für weitere moderne Gebäude. Platz dafür ist noch an einigen Stellen.

Alle bisher erschienenen Teile der Serie finden Sie hier