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Wegen steigender Lebensmittelpreise: Dresdner Paar kocht nach Rabatten

Die Preise für Gemüse, Teigwaren und Öl steigen unaufhörlich. Franzi und Paul wählen ihre Rezepte jetzt nach den Angeboten in den Discountern aus – und teilen ihre Idee mit allen.

Von Henry Berndt
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„Günstig, aber nicht das Billigste“: Franziska Naumann und Paul Winkler achten seit Beginn der Krise mehr auf die Angebote der Discounter.
„Günstig, aber nicht das Billigste“: Franziska Naumann und Paul Winkler achten seit Beginn der Krise mehr auf die Angebote der Discounter. © Sven Ellger

Der Tisch ist schon liebevoll gedeckt mit bunten Tellern, Löffeln und Tassen. Es gibt Weißbrot mit Eiern. Dazu Brezeln und Melone. In Lenis Spielküche ist alles vorrätig. Die Vierjährige hat zwar auch ihr eigenes kleines Portemonnaie, das ist allerdings immer voll, wie sie stolz zeigt. Das könnte ihren Eltern auch gefallen, doch Franziska Naumann und Paul Winkler müssen ihr Geld zusammenhalten, so wie das in der Welt der Erwachsenen nun mal leider ist.

Auf ihrem Briefkasten unten an der Tür steht: „Werbung, ja bitte“. Das haben sie vor einiger Zeit geändert. Praktischerweise musste der kleine Vordruck mit der Aufschrift „Keine Werbung“ einfach nur umgedreht werden. In den bunten Prospekten finden Franzi und Paul die wichtigsten Infos für ihren Einkauf: Wann und wo gibt es was günstiger? Ob „Samstagskracher“, „Sparsturz“ oder „Framstag“ – alle Discounter werben mit wöchentlich wechselnden Rabatten um das Interesse der hungrigen Kundschaft. Wenn einige Zutaten im Angebot kombiniert ein gutes Rezept ergeben, dann freuen sich Franzi und Paul besonders. Gesund und trotzdem halbwegs günstig zu kochen, das ist ihr Credo - und ihre Rabatt-Rezepte teilen sie gern mit allen.

Einsammeln und Abhaken: Im Supermarkt sind Paul und Franzi ein eingespieltes Team.
Einsammeln und Abhaken: Im Supermarkt sind Paul und Franzi ein eingespieltes Team. © Sven Ellger

Der 30-jährige Paul arbeitet als selbstständiger IT-Berater, auch wenn er auf den ersten Blick so gar nichts von einem Computer-Nerd hat. Die 33-jährige Franzi ist ausgebildete Erzieherin, allerdings noch bis zum Sommer in Elternzeit. Ausnahmsweise geht die Familie heute mal zu viert einkaufen. Der kleine Johann ist erst acht Monate alt und schlummert in der Trage vor Papas Bauch.

Von ihrer Wohnung in der Dresdner Innenstadt aus sind es zu Fuß nur ein paar Minuten bis in den Netto-Markt. Gleich am Eingang grüßt ein hoher Aufsteller: „Willkommen beim 4-fach Preissieger.“ Diese Woche ist Franzi und Paul aufgefallen, dass unter anderem Möhren, Zwiebeln, Crème fraîche und Lasagneplatten im Angebot sind. Für sie hört sich das nach Gemüselasagne an. „Gefühlt werden die Zutaten ja jeden Tag teurer“, sagt Franzi. „Da wollen wir schon schauen, wo wir etwas Geld sparen können, ohne Abstriche bei der gesunden Ernährung zu machen.“ Und so richtet sich ihr Blick vor allem auf die gelben Schilder an den Regalen.

Mit der Handy-App noch mal sparen

Normalerweise kosten drei Dosen gehackte Tomaten der Marke „Mutti“ mehr als 5 Euro, im Angebot in dieser Woche aber nur 3,29 Euro. Mit der App des Discounters auf seinem Handy spart Paul weitere 20 Cent. Auch 500 Gramm roter Paprika für 1,79 Euro sind ein Schnäppchen. Eine Woche später ist der wieder mehr als doppelt so teuer. Neben den Zwiebeln und Champignons landet auch Knoblauch im Korb. „Ganz schön schwer“, stöhnt Leni, die die große Tüte Möhren heranschleppt.

7 Euro gespart: Bis auf den Broccoli gab es alle Zutaten für die Lasagne im Angebot.
7 Euro gespart: Bis auf den Broccoli gab es alle Zutaten für die Lasagne im Angebot. © Sven Ellger

Paul und Franzi sind ein eingespieltes Team. Auf ihren Handys haben sie synchronisierte Einkaufslisten, die sie routiniert abhaken. Nur nach den Lasagneplatten müssen sie etwas länger suchen. Für ihren Einkauf zahlen sie am Ende 22 Euro – rund 7 Euro weniger als ohne die Angebote. Im Korb haben sie mehr als Zutaten, als sie für das eine Gericht brauchen.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind die Preise für Lebensmittel in Deutschland immens gestiegen. Im November 2022 hatten sie sich im Vergleich zum Vorjahresmonat laut Statistischem Bundesamt um mehr als 20 Prozent erhöht. Damit war der Preisanstieg bei Lebensmitteln doppelt so hoch wie die Gesamtteuerung. Besonders spürbar war das bei Speiseölen, die um mehr als 40 Prozent teurer wurden. Bei Molkereiprodukten und Eiern waren es immerhin 34 Prozent und auch bei Obst und Gemüse über 20 Prozent. Manchmal sind die Preiserhöhungen auch kaum logisch nachvollziehbar. So warf der Edeka-Chef Markus Mosa jüngst großen Markenherstellern vor, ihre Preise unter dem Vorwand des Krieges unverhältnismäßig anzuheben.

Im Vergleich zu anderen Ländern geben die Deutschen zwar immer noch einen relativ geringen Teil ihrer Gesamtkosten für Lebensmittel aus. Dennoch ist das Krisenbewusstsein für viele Menschen seit Monaten ein ständiger Begleiter beim Einkaufen. „Für eine normale Familie summieren sich die Mehrkosten übers Jahr gesehen schnell auf mehr als 1.000 Euro, die dann im Portemonnaie fehlen“, sagt Paul. „Die Angebote aus den Discountern spielen für uns als Familie inzwischen eine deutlich größere Rolle als früher.“

Schnippelmarathon in der heimischen Küche.
Schnippelmarathon in der heimischen Küche. © Sven Ellger

Daheim angekommen, räumt Paul die Einkäufe aus und legt sich schon mal die Zutaten zurecht. Kochprofis sind sie beide nicht, probieren aber viel aus. Jeden Tag Nudeln, das wäre nichts für sie. Gaststätte oder Lieferdienst werden wiederum schnell richtig teuer. Zu Hause ernährt sich die Familie überwiegend pflanzlich, ohne Fleisch und Fisch ganz wegzulassen. Da mittags selten Zeit bleibt, verlegen sie ihre Kücheneinsätze meist auf den Abend, wenn die Kinder schlafen, und auf das Wochenende. Dann sind gerade die neuesten Angebote rausgekommen und müssen umgehend ausgewertet werden.

An einer Wand in der Küche hängt ein Speiseplan, auf dem bereits die Gerichte für die ganze Woche vorgemerkt sind. Unter anderem wird es noch Süßkartoffelsuppe und Bratwurst geben – natürlich beides abgestimmt auf die Rabatte. Das muss nicht immer der Netto sein. Auch die Aktionen bei Lidl, Aldi, Kaufland und Penny bieten Möglichkeiten zu immer neuen kreativen Zusammenstellungen.

Rezepte auf eigener Website

Vor einigen Monaten kam Franzi und Paul spontan der Gedanke, dass sie all diese Rezepte in Verbindung mit den Angeboten aus den Discountern doch auch mit anderen teilen könnten. Im August setzte Paul eine Website auf, die sie angebotsgerichte.de tauften. Das Prinzip: Jede Woche veröffentlichen sie hier eine Reihe von Rezepten, die bundesweit zu den Rabatten passen. Die angezeigte Auswahl lässt sich sowohl nach der Lieblings-Supermarktkette als auch nach Kinderessen, veganen oder vegetarischen Gerichten eingrenzen.

Neben der Gemüselasagne gehörten zuletzt Nudeln mit Avocado-Zitronen-Sauce und gefüllte Paprikaschoten zu den angepriesenen Spar-Kreationen. Insgesamt umfasst ihr virtuelles Kochbuch bereits mehr als 100 Gerichte. Wer seine E-Mail-Adresse angibt, der bekommt jeden Sonntag einen Newsletter mit den besten Angebotsgerichten für die kommende Woche.

Ihre Rezepte teilen sie nun online mit anderen Hobbyköchen.
Ihre Rezepte teilen sie nun online mit anderen Hobbyköchen. © Sven Ellger

Da drängt sich der Gedanke auf, dass man die Haushaltskasse ja prima zusätzlich füllen kann, wenn die Discounter für so tolle Werbung regelmäßig Geld überweisen. Allerdings bekommen Franzi und Paul für ihre Idee keine Provision. Auch Werbung ist auf ihrer Seite bislang keine zu sehen. „Für uns ist das wie ein Hobby“, sagt Franzi. „Als Mutter zweier Kinder habe ich nicht länger dabei zusehen können, wie die Lebensmittelpreise immer weiter steigen und viele Familien Abstriche bei ihrer Ernährung machen müssen.“

Der Deutsche Bauernverband erwartet, dass sich die Lebensmittelpreise in diesem Jahr auf hohem Niveau halten werden. Das liege an den massiv gestiegenen Kosten in vielen Bereichen, wie Energie und Verpackungen. Düngemittel kosteten momentan mehr als dreimal so viel wie vor Beginn des Krieges. Dazu komme der Mindestlohn, der sich beispielsweise auf die Preise für Spargel und Erdbeeren auswirken werde.

Zwar wurde die Inflation zuletzt ein wenig gebremst und Butter kostet inzwischen nicht mehr drei Euro wie zuletzt, entspannen dürfte das die Lage für die meisten Familien allerdings nicht. Deshalb wird in der Politik gerade wieder intensiv darüber diskutiert, ob man denn nicht gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte von der Mehrwertsteuer befreien müsse. Dadurch würden die privaten Haushalte in Deutschland um vier Milliarden Euro entlastet, rechnete der Präsident des Umweltbundesamtes vor, verbunden mit der Forderung, dass sich „jeder und jede in Deutschland eine gesunde und gleichzeitig klimafreundliche Ernährung leisten“ können sollte. In anderen Ländern wie Polen und Spanien sei die Mehrwertsteuerbefreiung bereits umgesetzt worden.

Der Wochenplan hilft bei der Zusammenstellung der Einkaufsliste.
Der Wochenplan hilft bei der Zusammenstellung der Einkaufsliste. © Sven Ellger

Abseits dieser Diskussionen glauben Franzi und Paul, mit ihrem Service einen Nerv getroffen zu haben. Genauso wichtig wie die Zusammenstellung möglichst lukrativer Angebote ist für sie eine vollwertige Ernährung. Fertiggerichte kommen nicht infrage, Bio dagegen schon, selbst wenn die Alternative am Ende noch einige Cent günstiger wäre. „Im Idealfall sollen die Zutaten auch saisonal ausgewählt werden“, sagt Paul. „Kürbis im Herbst, Rosenkohl im Winter. Es sollte nicht das Billigste sein, aber günstig.“

Das hört sich nach Bildungsauftrag an. Künftig wollen Franzi und Paul ihr Angebot in diese Richtung erweitern. Blogbeiträge, Hintergründe, Statistiken, vielleicht sogar Videos. Ideen gibt es jede Menge, die knappste Ressource ist momentan die Zeit.

Inzwischen liegt das Gemüse startklar auf der Arbeitsplatte. Nach dem Schnippelmarathon wird alles in der Pfanne vorgegart und gewürzt. Im Topf daneben köcheln die gehackten Tomaten vor sich hin. Die genaue Anleitung gibt es auf der Website – inklusive Geheimtipps wie: „Wer genug Käse hat, kann einen Teil schon zum Gemüse in die Pfanne geben. So wird der Auflauf noch cremiger.“

Koch-Expertin Carola Arnold aus der Oberlausitz hilft dem Projekt auf die Sprünge.
Koch-Expertin Carola Arnold aus der Oberlausitz hilft dem Projekt auf die Sprünge. © Wolfgang Wittchen

Viele dieser Erfahrungen haben Franzi und Paul selbst gesammelt, einige stammen jedoch auch von Carola Arnold, einer befreundeten Koch-Expertin, die sie seit Herbst bei ihrem Vorhaben unterstützt. „Ich glaube an diese Idee und denke, sie könnte Interessenten aller Schichten ansprechen“, sagt die Frau, deren eigenes Kochbuch „Carola kocht“ ein Bestseller geworden ist. In ihrer Koch- und Kulturwerkstatt in Cunewalde in der Oberlausitz bietet Carola Verkostungen, Themenabende und Workshops an. „Das Grundkochwissen hat durch die Industrialisierung dermaßen abgenommen, dass ich bei meinen Kursen regelmäßig tief durchatmen muss“, sagt sie und spricht sich für eine stärkere Rückbesinnung auf Gemüse, Kartoffeln, Getreide und Hülsenfrüchte aus.

Am eigenen Herd müsse es keine Sterneküche mit Dutzenden Zutaten sein, von denen am Ende die Hälfte im Abfall landet. Eine von Carolas Lieblingsweisheiten: „Einmal kochen, zweimal essen.“ Das spare Zeit, Geld und Energie. Schon beim Einkauf sollten die Pläne für die kommende Woche bei den Mengen beachtet werden. „Ich habe mindestens zwei Restetage in der Woche. Da wird der Kühlschrank aufgeräumt.“

Hunger auf Rabatte

Franzi und Paul sind froh, Carola an ihrer Seite zu wissen. Immer wieder holen sie sich ihren Rat ein, besonders bei den Fleischgerichten. Die Gemüselasagne beherrscht Paul dagegen inzwischen aus dem Effeff, wobei sie gern jedes Mal ein wenig anders schmecken darf. Bei der Auswahl des Gemüses gibt er sich selbst und den Nutzern alle Freiheiten.

Nach einer Stunde in der Küche melden Mama und Leni langsam Hunger an, müssen sich zunächst jedoch mit einem Stückchen Paprika begnügen. Die fertig gebastelte Lasagne kommt nun nämlich noch für eine halbe Stunde in den Ofen. Dann endlich wird sie dampfend und duftend auf dem Tisch platziert. Bevor es aber ans Essen geht, macht Paul mit seinem Handy schnell noch ein paar Fotos fürs Internet. Der ganze Aufwand soll sich ja gelohnt haben. Nicht nur für sie.

angebotsgerichte.de