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Eine neue Verfassung für Sachsen? Die Koalition versucht es in allerletzter Minute

Seit 2019 streiten CDU, Grüne und SPD ergebnislos über Änderungen in der Verfassung. Wenige Monate vor der Landtagswahl gibt es jetzt einen neuen Anlauf, aber auch ein Riesenproblem.

Von Gunnar Saft
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An diesem Donnerstag legt Sachsens Regierungskoalition im Landtag einen Gesetzentwurf für zahlreiche Verfassungsänderungen vor. Was dabei fehlt, ist eine Neuregelung der Schuldenbremse sowie die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament.
An diesem Donnerstag legt Sachsens Regierungskoalition im Landtag einen Gesetzentwurf für zahlreiche Verfassungsänderungen vor. Was dabei fehlt, ist eine Neuregelung der Schuldenbremse sowie die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament. © Ronald Bonß

Erst war es Dauerärger, dann zunehmender Frust und nun kommen noch Hektik und Eile dazu. Dabei hatte Sachsens Regierungskoalition aus CDU, Grünen und SPD ausreichend Zeit, als sie 2019 per Koalitionsvertrag vereinbarte, während ihrer ersten gemeinsamen Legislaturperiode umfangreiche Änderungen an der Landesverfassung vorzunehmen.

Doch drei Jahre wurde danach ergebnislos über die Details gestritten. Vor allem beim Thema Schuldenbremse lagen die Beteiligten so weit auseinander, dass die koalitionsinternen Verhandlungen mit einem Eklat endeten. Im April kündigte die CDU einseitig und überraschend an, dass man beschlossen habe, in ein solches Reformpaket auf keinen Fall eine Überarbeitung der bestehenden Schuldenbremse aufzunehmen – rumms. Für diese klare Absage an den mit Abstand wichtigsten Verhandlungspunkt gab es von den Koalitionspartnern Grüne und SPD sowie vom Gewerkschaftsbund zwar scharfe öffentliche Schelte, doch das war es dann auch.

Und so dümpelte das Thema Verfassungsänderung lange vor sich hin und galt eigentlich als gescheitert, da die Koalition für eine solche Reform ohnehin oppositionelle Unterstützung braucht – allein kommen CDU, Grüne und SPD nämlich nicht auf eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Umso mehr verblüffte aber die CDU-Fraktion, als sie Anfang November 2023 (!) plötzlich einen Teilrückzug von ihrer einstigen Reformabsage erklärte. Fraktionsgeschäftsführer Sören Voigt verkündete nach einer Klausur in Bad Muskau, dass die Christdemokraten nun zumindest geneigt sind, über die anderen angedachten Verfassungsänderungen – außer der Schuldenbremse – noch einmal neu zu verhandeln. Zur Begründung für das unerwartete Zugeständnis gab er dabei genüsslich an, dass die beiden Koalitionspartner ja nunmehr auf 18 der zuvor rund 25 zur Verfassungsreform verhandelten Forderungen verzichten würden. Die derart vorgeführten Grünen und die SPD bedankten sich dennoch öffentlich für diesen Schritt.

Vorstoß ohne Zweidrittelmehrheit

Vermutlich auch, weil sie ahnen, dass nun jede weitere Verzögerung das plötzlich wieder aufgenommene Projekt nur akut gefährdet. Da die letzte Parlamentssitzung vor der Landtagswahl bereits im Juni 2024 stattfindet, bleiben für eine Verfassungsänderung kaum sieben Monate Zeit.

Und diese knappe Frist zwingt die Regierungskoalition zu ungewöhnlichen Risiken. So legt man an diesem Donnerstag dem Parlament erstmals einen Gesetzentwurf vor, der unter anderem die Einführung des Klimaschutzes als neues Staatsziel, eine modernere Gleichberechtigungsklausel sowie Veränderungen bei der gültigen Volksgesetzgebung vorsieht. Was bisher aber nicht passiert ist: Mit der Linksfraktion, dem einzig denkbaren Unterstützer für eine Zweidrittelmehrheit, hat man bisher in keiner Weise gesprochen, geschweige denn, eine Einigung über eine parlamentarische Unterstützung erzielt.

Und das könnte sich neben dem enormen Zeitdruck noch als entscheidender Fehler erweisen. Denn Linksfraktionschef Rico Gebhardt will sich bei diesem Thema nicht als bloßer Stimmenbeschaffer vereinnahmen lassen. „Wenn es die Koalition mit einer Verfassungsänderung ernst meint, muss sie beginnen, mit uns zu reden.“ Tatsächlich hatten die Linken schon 2020 eine eigene Wunschliste zu möglichen Verfassungsänderungen vorgelegt – 18 Punkte. Auch wenn sie die jetzt nicht offiziell einfordern, sang- und klanglos kann die Koalition daran nicht vorbeigehen. Doch über mögliche Zugeständnisse muss man reden. Ohne Gespräche, so warnt Gebhardt, werde eine Zustimmung der Linksfraktion zu „einer ganz schwierigen Gewissensfrage“. Tatsächlich frage sich dort mancher Abgeordneter, weshalb man der Regierungskoalition im bevorstehenden Wahljahr ohne Not derart entgegenkommen sollte.

Linke skeptisch: Bisher nur Verfassungskosmetik

Zumal es im neuen Gesetzentwurf Dinge gibt, an denen sich die Linksfraktion vorab reibt. „Der bisherige Vorschlag hat nichts mit einer modernen angepassten Verfassung zu tun. Das ist eher Verfassungskosmetik.“ So ist man ebenfalls der Auffassung, dass eine Reform der Schuldenbremse mit auf die Tagesordnung gehört. Und während Die Linke solche vorgeschlagene Änderungen wie zum Klimaschutz und der Gleichberechtigung „durchaus mittragen kann“, ist man sich beim Punkt Volksgesetzgebung eher unsicher. Zwar will die Koalition die Quoren für Volksanträge und Volksbegehren quasi halbieren. Gleichzeitig soll aber bei einem dadurch initiierten Volksentscheid nicht mehr allein die Mehrheit der Abstimmenden entscheiden, sondern es wäre künftig noch eine Zustimmungsquote von mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten nötig. Ein Umstand, der die Erfolgshürde für ein solches Verfahren enorm hoch hängt.

Was damit bleibt, sind viele ungeklärte Fragen und kaum noch Zeit. Rico Gebhardt setzt dennoch vorerst auf kleine Schritte. Die Frage, was er nun tun wolle, beantwortet er ganz praktisch: „Jetzt warten wir erstmal den Donnerstag und die erste Debatte über den Gesetzentwurf ab. Vielleicht sagt die Koalition ja dann etwas dazu, wie das alles noch rechtzeitig funktionieren soll.“