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Einmal Gänsehaut bitte – im Dentalmuseum

Wie schmerzhaft es früher beim Zahnarzt zuging, ist in Deutschlands wohl unterschätztesten Museum im sächsischen Zschadraß zu sehen.

Von Katrin Saft
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Andreas Haesler mit einem Vorläufer des heutigen Bohrers, der mit dem Fuß angetrieben wurde.
Andreas Haesler mit einem Vorläufer des heutigen Bohrers, der mit dem Fuß angetrieben wurde. © Katrin Saft

Andreas Haesler fasst die hölzerne Mönchsfigur nur mit weißen Handschuhen an. Wenn er den Fuß der Figur nach hinten schiebt, fährt vorne ein Schwengel aus. Ein Schelm, wer dabei an einen Penis denkt. Denn der Schwengel diente als Zahnstocher – vor etwa 160 Jahren. Die Menschen mussten damals Humor gehabt haben. Und den brauchten sie auch, wenn sie Zahnprobleme plagten. Galgenhumor und viel Mut, wie Haeslers Sammlung beweist.

Der Zahntechniker trägt seit mehr als 20 Jahren alles zusammen, was die Geschichte der Zahnheilkunde so hergibt: Brenneisen zum Ausbrennen von Karries, wobei oftmals auch der Zahnnerv nicht überlebt hat. Schmelzlöffel, mit denen flüssiges Blei in geöffnete Zähne gegossen wurde – und manchmal halt auch daneben. Oder einen Hammer zum Einklopfen von Füllungen. Wohl nicht ohne Grund heißt eine Figurengruppe aus Meissener Porzellan in seiner Sammlung „Der Zahnreißer“.

Die historischen Stücke präsentiert Haesler in dem wohl unterschätztesten Museum Deutschlands in Zschadraß, auf dem Gelände einer ehemaligen Psychiatrie. Selbst viele Sachsen haben noch nie von Zschadraß gehört, einem Ortsteil des Städtchens Colditz im Landkreis Leipzig. Um so größer ist die Überraschung, wenn Haesler die Türen seines Dentalhistorischen Museums öffnet. Geschätzte 500.000 Exponate hat er inzwischen gesammelt – darunter die älteste Zahnarztpraxis der Welt aus der Zeit um 1750, das älteste Dentallabor von 1873, allerlei Werkzeuge, Zahnanomalien und eine Bibliothek mit Tausenden Büchern und wissenschaftlichen Schriften aus der ganzen Welt. Bei Weitem nicht alles kann er auf den 250 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigen.

Auch den erotischen Mönch noch nicht. Denn der lag bis vor einem reichlichen Jahr noch in einem Container, den die Bundeszahnärztekammer nach ihrem Umzug von Köln nach Berlin abgestellt hatte. Für die historische Sammlung der deutschen Zahnärzteschaft war in der Bundeshauptstadt kein Platz mehr. Nun hält Haesler im sächsischen Zschadraß den Mönch in der Hand. Er wird dort gemeinsam mit Tausenden Exponaten von einer Museologin erfasst und von einem Fotografen dokumentiert. „Noch Anfang dieses Jahres wollen wir mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Sammlung beginnen“, sagt Haesler. Den Grundstein dafür habe Anfang des 19. Jahrhunderts Zahnarzt Curt Proskauer gelegt.

Schöner reinigen: Zahnstocher waren im Mittelalter wertvolle Schmuckstücke, wie diese Originale belegen.
Schöner reinigen: Zahnstocher waren im Mittelalter wertvolle Schmuckstücke, wie diese Originale belegen. © Katrin Saft
Der erotische Mönch: ausklappbare Spitze zum Reinigen der Zähne um 1860. Ein Schelm, wer an anderes dabei denkt.
Der erotische Mönch: ausklappbare Spitze zum Reinigen der Zähne um 1860. Ein Schelm, wer an anderes dabei denkt. © Katrin Saft
Multitalent Kolibri aus Bronzeguss von 1470 bis 1500: der Schnabel zum Reinigen des Zahns, das Ende für die Ohren.
Multitalent Kolibri aus Bronzeguss von 1470 bis 1500: der Schnabel zum Reinigen des Zahns, das Ende für die Ohren. © Katrin Saft

Wenn der 60-Jährige über Zähne erzählt, ist er nicht mehr zu stoppen. „Hier haben wir zum Beispiel einen original Kolibri aus Bronzeguss um 1470 bis 1500“, sagt er. „Mit dem Schnabel hat man sich die Zähne gereinigt, mit dem löffelartigen Ende die Ohren.“ Noch älter sei der Pelikan, ein mittelalterliches Instrument, mit dem man sich an den gesunden Nachbarzähnen abstützen und den faulen Zahn wegbrechen konnte. Haesler: „Manchmal waren freilich auch die Nachbarzähne mit weg. Und wenn im Oberkiefer mit dem Zahn noch ein Stück Knochen rausbrach, ist die Suppe fortan aus der Nase gelaufen.“ Einige Patienten seien dabei ohnmächtig geworden. Gut für den Zahnarzt, denn der habe dann in Ruhe weiterarbeiten können. Betäubungen gab es erst ab 1844, mittels Lachgas. Die nächste Revolution in der Zahnheilkunde war für Haesler die Verwendung von Kautschuk, der 1852 den ersten funktionierenden und bezahlbaren Zahnersatz ermöglicht habe. „Und ein weiterer Meilenstein war 1871 eine Tretmaschine, mit deren Hilfe sich erstmals Löcher bohren ließen.“

Andreas Haesler ist überzeugt, schon heute über die weltgrößte historische Sammlung der Zahnheilkunde zu verfügen. Angefangen hatte alles nach der Wende, als die staatlichen Dentallabore der DDR abgewickelt wurden. Haesler, ein gebürtiger Weimarer, kam damals als Zahntechniker aus Hannover nach Grimma und begann, Zeitzeugen aufzuheben. „Das hatte sich schnell herumgesprochen“, sagt er, „und es kamen immer mehr Stücke, ja komplette Praxiseinrichtungen, Labore und Schriften von Universitäten, Firmen oder Zahnärzten hinzu.“ Im September 2000 machte Haesler seine Sammlung zugänglich und eröffnete im Schloss Colditz ein kleines Museum. Doch mit dem Übergang des Schlosses an den Freistaat Sachsen musste er aus den Räumen raus und gründete einen gemeinnützigen Verein. Denn als Hobby war das Ganze nicht mehr zu finanzieren. Mit Mut zum Risiko kaufte er in Zschadraß vier leere Häuser der früheren psychiatrischen Klinik. Die sind in großen Teilen sanierungsbedürftig.

Auch wenn die Einnahmen aus Spenden und den Eintrittsgeldern der jährlich etwa 2.000 Besucher für diese Aufgabe längst nicht reichen, weiß Haesler bereits, wie er die Häuser einmal nutzen will. Er träumt von einem Deutschen Dentalhistorischen Museum mit internationaler Ausstrahlung, einer Bibliothek, einem wissenschaftliches Zentrum und einem Gästehaus. „Wir haben hier einen einzigartigen Schatz“, sagt er. Das sieht auch der Präsident der Landeszahnärztekammer Sachsen, Thomas Breyer, so. „Aber ein solcher kulturhistorischer Schatz gehört an einen prominenteren Ort, in eine Stadt mit Ausstrahlung“, sagt Breyer. Als Vereinsmitglied hofft die Kammer, auch die Staatsregierung für die Sammlung begeistern zu können.

Filmteams zumindest sind bereits auf das ungewöhnliche Museum aufmerksam geworden. Für die Bavaria-Neuverfilmung der Buddenbrooks zum Beispiel hat es ein Behandlungszimmer um 1880 ausgestattet. Manchmal finden auch Gäste aus Japan, Argentinien oder Russland den Weg nach Zschadraß. Für Fachleute ein Lehrstück, für Laien ein unterhaltsamer Exkurs, der selbst eine Wurzelbehandlung heute gar nicht mehr so schlimm erscheinen lässt.

Das Museum:

  • Adresse: Dentalmuseum 04680 Colditz/Zschadraß, Im Park 9
  • Öffnungszeiten: Mi–So 10-17 Uhr oder nach Vereinbarung, im Dezember/Januar Winterpause.
  • Eintritt: Erwachsene 5 €/mit Führung 7€, ermäßigt 4€.
  • www.dentalmuseum.eu
  • Gesucht werden als Spende noch weiße Bettlaken für die Museumsfenster und historische Lampen/Leuchten, möglichst von vor 1940.
  • Kontakt per Mail: [email protected]